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Ein Kind in einem Bett. Kath, an deren Hals Atemröhrchen befestigt waren. Jinnie, die schlaff auf Kaths Brust lag und ihn mit ihren leblosen Puppenaugen genauso anglotzte wie noch vor wenigen Stunden, als sie unter Kaths Bett im Krankenhaus gerutscht war.

Scott befahl seinen Händen, sich zu rühren, nach dem Klemmbrett zu greifen, es zu schnappen und auf seine Knie zu legen, damit er diese todbringenden Zeichnungen an sich nehmen und zu unzähligen dicken Schneeflocken zerreißen konnte. Aber seine Hände gehorchten ihm nicht. Sie waren kalt, taub und kamen ihm so vor, als gehörten sie ihm gar nicht.

Wie ein Schatten tanzte der Bleistift des Zeichners über das nächste Blatt. Mit jedem teuflischen Kasten veränderte Jinnie ihre Position, gelangte vom Bett auf den Fußboden, vom Fußboden aus hinter die künstliche Lunge. Eine Stummelhand griff nach dem Stecker des Beatmungsgerätes an der Wand...

»Nein!«, schrie Scott und kämpfte mit aller Kraft gegen die Schlaffheit und Taubheit in seinen Muskeln an. »Nein!«

Quälend langsam, Zentimeter für Zentimeter, näherte sich Jinnies Hand dem Stecker. Scott konnte sie hinter dem schattenhaft tanzenden Bleistift des Alten erkennen. Die Hand schloss sich um das Stromkabel ... und hielt plötzlich inne.

Nicholas Rowe starrte Scott in die Augen und lachte - ein scharfes, freudloses Lachen, das Scott bis ins Mark erschütterte. Und dann verzerrte sich das heimtückische Greisengesicht, nahm einen finsteren Ausdruck an, und ein Klümpchen Speichel landete direkt in Scotts Augen, die er aus einem Reflex heraus zugedrückt hatte.

Vor seinem geistigen Auge erschien Kath, in gespenstisches Zwielicht getaucht, und setzte sich im Bett auf. Die riesigen, schwarzen Pupillen hatten den Rest der Augen verschluckt. Das beim Luftröhrenschnitt implantierte Röhrchen ragte wie ein Messergriff aus ihrem Hals. Flehend riss sie die Hände hoch: »Er bringt mich um, Daddy«, flüsterte sie weit entrückt, ohne jede Erregung, ohne jede Angst. »Er bringt mich um.«

Die Hand des Künstlers rührte sich erneut Genau wie die Hand der Puppe.

Heftige Wut, heiß wie geschmolzene Lava, durchströmte Scott Bowman und schwemmte alle Ängste weg, nahm ihnen jede Bedeutung.

Als er sich hochrappelte, hielt der Alte erneut inne. Der Ausdruck triumphierender Rache wich dem bestürzter Verwunderung.

Diese kurze Pause war alles, was Scott brauchte.

Er knallte dem Alten die Faust ins Gesicht, spürte das Wabbeln uralten Fleisches, das Knacken poröser Knochen. Mit der freien Hand packte er das Klemmbrett und zerrte mit ganzer Kraft daran, aber Rowe ließ nicht locker. Wie eine Katze fauchte er durch die schwarzen Zahnstümpfe.

Vor dem Zimmer klopfte jemand an die Tür.

»Machen Sie auf!«, sagte eine gedämpfte Stimme. »Scott, ich bin's, Vince Bateman. Machen Sie sofort die Tür auf!«

Scott und der Alte lieferten sich eine Schlacht um das Klemmbrett, zerrten es zwischen sich hin und her, wie Holzfäller, die gemeinsam einen Baumstamm durchsägen. Vage hörte Scott das Klicken eines Türschlosses. Er hob den Fuß und trat den Alten in den Brustkorb, wobei er selbst fast das Gleichgewicht verloren hätte.

Rippen knackten.

Als sich die Tür leicht öffnete, schrammte das Bett, das als Barrikade davor geschoben war, heftig über die Fliesen. Durch den Spalt war Batemans schrille Stimme zu hören, die kreischte: »Was, zum Teufel, geht da drinnen vor? Machen Sie die Tür auf, verdammt noch mal!«

Scotts Beine wurden schon wieder so weich wie Gummi. Er wandte den Blick von diesen dunklen, hypnotischen Augen ab und zerrte nochmals am Klemmbrett, wobei er vor Anstrengung ebenfalls zu fauchen begann. Inzwischen knurrte der Alte wie eine Wildkatze.

Und während Scott entsetzt zusah, erwachte Kaths Flickenpuppe in ihrem Kasten zum Leben - wie eine animierte Comic-Figur auf einer winzigen Leinwand, die einen Trickfilm in Schwarzweiß zeigte. Ihre stummelartige Hand schloss sich fester um den Stecker an der Wand und zog. Jetzt konnte Scott auch die Metallzinken des Steckers erkennen, die bereits halb herausgerissen waren und im Licht der nicht sichtbaren Neonröhren funkelten.

Hinter ihm war lautes Ächzen zu hören; das Bett, das als Barrikade diente, rutschte wieder ein paar Zentimeter vor.

Ohne jede Vorwarnung ließ Scott das Klemmbrett los und streckte die Hände nach der Kehle des Alten aus. Der dürre Greisenhals schwabbelte zwischen Scotts zudrückenden Händen. Es war ein gutes Gefühl.

Ersticke, du Mistkerl, dachte er mit verrückter Fröhlichkeit. Ersticke, so wie ich damals, so wie meine kleine Tochter...

Während er würgte und die schwarzen Augen aus den Höhlen traten, stach der Zeichner mit dem Bleistift zu, trieb dessen Spitze in Scotts linke Schulter. Scott schrie zwar auf, ließ aber nicht locker, im Gegenteiclass="underline" Er schloss die Hände noch ein wenig fester um die Gurgel des Alten und verstärkte den Druck.

Stirb, dachte er, und der Gedanke wurde zur Gebetslitanei: Stirb, stirb, stirb...

Als der Alte erneut mit dem Bleistift ausholte, erwischte er Scott im Gesicht. Aus dem bleigeschwärzten Loch in der Wange schoss sofort Blut Stirb ...

Die Tür schrammte so weit auf, dass Bateman den Kopf hindurchstecken konnte. »Scott!«

Wieder stieß der Bleistift zu - doch Scott hatte inzwischen die Handgelenke des Alten gepackt und drehte sie nach innen, wobei er sich mit dem ganzen Gewicht und voller Kraft gegen dessen verwelkten Arm stemmte.

Was folgte, war ein seltsam knallendes Geräusch und ein gurgelndes Todesröcheln.

Als die Sicherheitsleute Scott mit einem Ruck von Nicholas Rowe wegrissen, steckte der Bleistift bis zum Radiergummi in der Kehle des Alten. Aus dem Loch schoss ein erstaunlich großer, grellroter Strahl Blut, bespritzte Batemans makellosen, grauen Anzug und die teuren, italienischen Schuhe und befleckte sein kreidebleiches Gesicht.

Einen Augenblick lang blieben alle im Zimmer Versammelten schweigend und wie versteinert an Ort und Stelle stehen: Scott, Vince Bateman, Jane Copeland, die drei Sicherheitsleute und die beiden jungen Krankenpfleger.

Gleich darauf begann der Alte laut zu lachen; es war ein schrilles, trockenes Kichern, das in manischen Zyklen kam und ging und so klang, als dringe es direkt aus dem Schlund der Hölle. Während er lachte und aus seinem Hals Blut schoss, gab sich Vince Bateman keine Mühe, aus dem Weg zu treten. Der Alte lachte und lachte, und das Blut besudelte sein Klemmbrett, das böse Instrument seiner teuflischen Rache. Er lachte und lachte, während das Leben aus ihm heraussickerte und auf den Boden tropfte.

Und plötzlich drang neben seinem Lachen, wie ein weit entferntes Echo, auch das helle Lachen eines Kindes durchs Zimmer. Scott hörte es und wusste, dass es auch alle anderen hörten. Aber er merkte, dass sie es ebenso schnell und erfolgreich wieder verdrängten, wie er selbst es mit der Wahrheit getan hatte.

Nach und nach erstarb das Lachen.

Der Zeichner sackte im Rollstuhl nach vorn. Die Leinengurte verhinderten, dass er auf den Fußboden voller Blutpfützen kippte.

Kath!

Mit gespreizten Ellbogen schnellte Scott wie ein heranstürmender Linienrichter zur Tür. Und er hätte sie auch fast erreicht, da die anderen immer noch völlig gebannt dastanden.

Doch dann brüllte Bateman: »Halten Sie ihn auf!« Und fünf Männer kamen gemeinsam auf Scott zu, schlossen wie Kampfhunde einen immer engeren Kreis um ihn, in den Augen seltsame Scheu.

Dann fielen sie über ihn her, packten seinen ganzen Körper. Ein riesiger Unterarm legte sich um seinen Hals und schnürte ihm die Luft ab. Scott biss so lange zu, bis er Blut schmeckte und merkte, wie der Arm weggezogen wurde. Irgendjemand schrie vor Zorn und Schmerzen schrill auf. Gleich darauf griffen andere Arme zu und rangen ihn zu Boden. Eine Faust grub sich so in sein Brustbein, dass seine Lungenflügel zusammenfielen und ihm schwarz vor Augen wurde. Jetzt war der Krankenpfleger, den er gebissen hatte, wieder über ihm. Seine kräftigen Arme nahmen Scotts Oberschenkel in die Zange und hoben ihn hoch, stemmten ihn in die Luft.