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»Und das war sein einziges Erbe«, vervollständigte er mühelos das Zitat, bevor er sich in den Sessel zurücklehnte und erneut lächelte. »Obwohl mir, um ehrlich zu sein, Captain Blood besser gefällt.«

Ich hob meinen Füllfederhalter in die Luft, um ihn streng zurechtzuweisen.

»Das stimmt so nicht. Scaramouche verhält sich zu Sabatini wie Die drei Musketiere zu Dumas.« Ich richtete eine kleine Geste der Reverenz an das Porträt. »Er kam mit der Gabe des Lachens zur Welt . In der ganzen Geschichte des Abenteuerromans gibt es keine zwei Anfangszeilen, die diesen vergleichbar wären.«

»Vielleicht haben Sie recht«, gab er nach scheinbarem Nachdenken zu, und dann legte er diesen Aktenordner mit dem Manuskript auf den Tisch. Jede einzelne Seite steckte in einer Plastikhülle. »Was für ein Zufall, daß Sie Dumas erwähnt haben.«

Er schob mir den Ordner zu, wobei er ihn umdrehte, damit ich lesen konnte, was da abgeheftet war. Alle Blätter waren in Französisch und ausschließlich auf einer Seite beschrieben. Sie bestanden aus zweierlei Arten von Papier: Das eine war weiß und über die Jahre vergilbt, das andere blaßblau, fein kariert und ebenfalls unter dem Einfluß der Zeit gealtert. Jeder Farbe entsprach eine eigene Handschrift, obwohl die auf dem blauen Papier, die in schwarzer Tinte ausgeführt war, auch auf den weißen Blättern vorkam, und zwar in Form von nachträglich zur Originalfassung hinzugefügten Anmerkungen. Die Schriftzüge waren kleiner und spitzer. Es handelte sich um insgesamt fünfzehn Blätter, von denen elf blau waren.

»Kurios.« Ich hob meinen Blick und richtete ihn auf Corso.

Er beobachtete mich ruhig und ließ seine Augen zwischen mir und dem Ordner hin- und herwandern. »Wie sind Sie dazu gekommen?«

Der Bücherjäger kratzte sich an einer Augenbraue und überlegte offensichtlich, ob ihn die Information, um die er mich bitten wollte, zu einer Antwort zwang. Schließlich zog er noch eine andere Grimasse, diesmal die eines unschuldigen Häschens. Corso war ein Profi.

»Durch puren Zufall. Über den Kunden eines Kunden.«

»Verstehe.«

Er legte bedächtig eine kurze Pause ein. Bedächtigkeit bedeutet nicht nur Vorsicht und Diskretion, sondern auch Schlauheit. Und das wußten wir beide.

»Klar«, fügte er hinzu, »daß ich Ihnen Namen nenne, wenn Sie das möchten.«

Ich erwiderte ihm, das sei nicht nötig, was ihn zu beruhigen schien. Er rückte mit einem Finger seine Brille zurecht und fragte mich dann, waslch von dem Material hielte, das ich da in der Hand hatte. Ohne ihm gleich eine Antwort zu geben, blätterte ich in dem Manuskript, bis die erste Seite vor mir lag. Die Überschrift war in Großbuchstaben: LE VIN D’ANJOU.

Ich las laut die ersten Zeilen: »Après de nouvelles presque désespérées du roi, le bruit de sa convalescence commençait à se répandre dans le camp ...«

Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Corso forderte mich mit einem beifälligen Nicken auf, mein Urteil auszusprechen.

»Kein Zweifel«, sagte ich, »das stammt von Alexandre Dumas, dem Älteren. Le vin d’Anjou, Der Wein von Anjou oder Der Anjouwein, wie es in verschiedenen Übersetzungen heißt: Kapitel zwei- oder dreiundvierzig der Drei Musketiere, wenn ich mich recht entsinne.«

»Zweiundvierzig«, bestätigte Corso. »Kapitel zweiundvierzig.«

»Ist das hier das Original? Dumas’ persönliches Manuskript?«

»Ehrlich gesagt bin ich hier, um das von Ihnen zu erfahren.«

Ich zuckte leicht mit der Schulter, um eine Verantwortung von mir zu weisen, die mir übertrieben schien.

»Warum von mir?«

Im Grunde wollte ich mit dieser törichten Frage nur Zeit gewinnen. Corso muß es nach falscher Bescheidenheit geklungen haben, denn er unterdrückte eine mißmutige Geste.

»Sie sind doch Experte«, entgegnete er etwas frostig. »Und abgesehen davon, daß Sie der einflußreichste Literaturkritiker des Landes sind, kennen Sie sich bestens mit dem Unterhaltungsroman des 19. Jahrhunderts aus.«

»Sie vergessen Stendhal.«

»Nein, den vergesse ich nicht. Ich habe Ihre Übersetzung der Kartause von Parma gelesen.«

»Sieh mal an. Sie schmeicheln mir.«

»Mitnichten. Ich ziehe die von Consuelo Berges vor.«

Wir lächelten beide. Er gefiel mir nach wie vor, und ich begann langsam, seinen Charakter zu durchschauen.

»Kennen Sie meine Bücher?« wagte ich zu fragen.

»Ein paar davon. Lupin, Raffles, Rocambole, Holmes zum

Beispiel. Auch Ihre Arbeiten über Valle-Inclan, Baroja und Galdos. Oder Dumas - Die Spur eines Giganten. Und Ihren Essay über den Grafen von Monte Christo.«

»Was? Das haben Sie alles gelesen?«

»Nein. Daß ich mit Büchern arbeite, soll nicht heißen, daß ich sie auch lese.«

Er log. Oder zumindest übertrieb er den negativen Aspekt der Sache. Dieser Mensch gehörte zum gründlichen Schlag. Bevor er gekommen war, hatte er mit Sicherheit alles gelesen, was er nur von mir auftreiben konnte. Corso war einer jener besessenen Leser, die vom zartesten Kindesalter an Bücher aller Art verschlingen, vorausgesetzt - und das war allerdings unwahrscheinlich -, daß Corsos Kindheit zu irgendeinem Zeitpunkt das Attribut »zart« verdient hätte.

»Verstehe«, erwiderte ich, um irgend etwas zu sagen.

Er runzelte einen Moment lang die Stirn, als überlege er, ob er etwas vergessen habe, nahm dann seine Brille ab, hauchte auf die Gläser und begann sie mit einem völlig zerknitterten Tuch zu putzen, das er aus den unergründlichen Taschen seines Mantels zutage gefördert hatte. Dieses viel zu große Kleidungsstück, die nagetierähnlichen Schneidezähne und seine ruhige Art verliehen ihm einen Anschein von Harmlosigkeit, aber in Wirklichkeit war Corso ein knallharter Typ. Sein scharf geschnittenes, eckiges Gesicht und seine aufmerksamen Augen konnten jederzeit eine Naivität vortäuschen, die dem gefährlich wurde, der sich auf sie einließ. Er war eine jener hilflos wirkenden Gestalten, denen die Männer Zigaretten schenken und die Kellner ein Gläschen spendieren, während die Frauen sie am liebsten auf der Stelle adoptieren würden. Wenn man ihnen dann auf die Schliche kommt, ist es meistens zu spät, sie sind längst über alle Berge und lachen sich ins Fäustchen.

»Kehren wir zu Dumas zurück«, schlug er vor, während er mit seiner Brille auf das Manuskript deutete. »Jemand, der in der Lage ist, fünfhundert Seiten über ihn zu schreiben, sollte beim Anblick seiner Originalhandschriften ein Gefühl der Vertrautheit empfinden ... Meinen Sie nicht?«

Ich legte eine Hand auf die mit Plastikhüllen geschützten Seiten, pathetisch wie ein Priester eine Altardecke berührt.

»Ich fürchte, ich muß Sie enttäuschen. Ich empfinde gar nichts.«

Wir brachen beide in Gelächter aus. Corso hatte ein eigentümliches, beinahe etwas verkniffenes Lachen: wie jemand, der nicht sicher ist, ob er und sein Visavis über dasselbe lachen. Ein heimtückisches und distanziertes Lachen, in dem eine Spur von Unverschämtheit anklang, eines jener Lachen, die noch lange in der Luft schwingen, bevor sie endgültig verklingen. Selbst wenn sein Eigentümer längst gegangen ist.