Philip hielt am Eingang inne. Was er sich auch immer unter dem Büro eines Privatdetektivs vorgestellt hatte, dieses farblose postmoderne Innere aus grauem Klinker, indus-triell gefertigten Teppichläufern und glattem schwarzem Granit jedenfalls sicher nicht. Wie konnte man nur an einem so sterilen Ort arbeiten? Der Raum wirkte leer.
»Yeah?«, tönte eine Stimme hinter einer halbmondförmi-gen Mauer aus Glasbausteinen hervor.
Philip umrundete sie und musterte den Rücken eines Mannes, der hinter einem großen nierenförmigen Schreibtisch saß.
Statt der Bürotür zugewandt zu sein, blickte er in die Ge-genrichtung auf eine Wand voller nach Westen ausgerichte-ter Fenster, die über den stumpfen Zinkglanz des Hudson River hinwegschauten. Ohne sich umzudrehen, deutete der Mann auf einen Lehnstuhl. Philip durchquerte den Raum, nahm Platz und machte es sich bequem, um Marcus Hauser zu mustern. Er war als Green Beret in Vietnam gewesen. Er war Ex-Grabräuber und Lieutenant im Manhattaner Stabs-quartier des Amtes für Tabak, Alkohol und Schusswaffen gewesen.
In den Fotoalben seines Vaters hatte Philip unscharfe und verschwommene Bilder des jungen Hauser gesehen - in Dschungelkhaki gekleidet, irgendein Schießeisen auf der Hüfte balancierend. Er hatte ständig gegrinst. Philip fühlte sich etwas außer Fassung, ihm nun persönlich zu begegnen.
Hauser sah kleiner aus, als er ihn sich vorgestellt hatte, und war übertrieben mit einem braunen Anzug mit Krawatten-nadel, Weste, Goldkettchen und Uhrkette bekleidet. Einer aus der Arbeiterklasse, der die Vornehmen nachäffte. Au-
ßerdem roch er nach Rasierwasser. Die wenigen Haare, die er noch hatte, waren übermäßig pomadisiert und gelockt, jede Strähne genau gelegt, um die kahle Stelle maximal zu tarnen. An Hausers Fingern blitzten nicht weniger als vier Goldringe. Seine Hände waren manikürt, seine Nägel sauber und poliert, seine Nasenlöcher sorgfältig von jeder Be-haarung befreit. Selbst die unter der Haartarnung glänzende Glatze sah aus, als habe man sie eingewachst und ge-wienert. Philip ertappte sich bei der Frage, ob dies der gleiche Marcus Hauser war, der sich mit seinem Vater auf der Suche nach versunkenen Städten und uralten Gräbern durch den Dschungel geschlagen hatte. Hatte er sich vielleicht geirrt?
Er räusperte sich. »Mr. Hauser?«
»Marcus«, kam die rasche Antwort. Sie knallte wie ein Tennis-Aufschlag. Auch Hausers Stimme brachte Philip aus der Fassung. Sie war hoch und nasal und wies den Akzent der Arbeiterklasse auf. Seine Augen waren so grün und kühl wie die eines Krokodils.
Philip war irgendwie nervös. Er schlug die Beine übereinander, zückte, ohne um Erlaubnis zu bitten, seine Pfeife und stopfte sie mit Tabak. Als Hauser dies sah, lächelte er, öffnete eine Schreibtischschublade, entnahm ihr einen Feuchtbehälter und zog eine riesige Churchill heraus. »Wie schön, dass Sie Raucher sind«, sagte er. Er rollte die Zigarre zwischen seinen vollkommenen Fingern, nahm eine goldene, mit seinem Monogramm versehene Schere aus der Tasche und knipste ein Ende ab. »Wir dürfen nicht zulassen, dass die Barbaren die Welt erobern.« Als die Zigarre brannte, lehnte er sich in seinen Sessel zurück und musterte Philip durch eine Rauchwolke. »Was kann ich für den Sohn meines alten Partners Maxwell Broadbent tun?«
»Darf ich vertraulich mit Ihnen sprechen?«
»Natürlich.«
»Vor einem halben Jahr wurde bei meinem Vater Krebs diagnostiziert.« Philip hielt inne und betrachtete Hausers Gesicht, um zu erfahren, ob er davon wusste. Doch die Miene seines Gegenübers war so undurchdringlich wie die Platte seines Mahagonischreibtisches. »Lungenkrebs«, fuhr Philip fort. »Man hat ihn operiert und die übliche Chemotherapie und Bestrahlung vorgenommen. Er hat den Stum-pen entsagt und um Vergebung gebeten. Eine Weile sah es so aus, als sei er über den Berg, aber dann ging alles wieder los. Er hat sich zwar einer erneuten Chemotherapie unterzogen, allerdings nur widerwillig. Eines Tages hat er die Strippen rausgezogen, einen Krankenpfleger gemimt und ist getürmt. Er hatte damals noch sechs Monate. Davon sind jetzt drei vergangen.«
Hauser hörte ihm zu und paffte seine Zigarre.
Philip hielt inne. »Hat er mit Ihnen Kontakt aufgenommen?«
Hauser schüttelte den Kopf und stieß ein weiteres Wölkchen aus. »Seit vierzig Jahren nicht.«
»Irgendwann im letzten Monat«, fuhr Philip fort, »ist er mit seinem gesamten Krimskrams verschwunden. Er hat uns ein Video hinterlassen.«
Hauser zog fragend die Brauen hoch.
»Es enthält mehr oder weniger sein Testament. Er hat gesagt, er nehme alles mit ins Grab.«
»Was hat er gesagt?« Hauser beugte sich vor. Seine Miene wirkte plötzlich interessiert. Seine Maske war für einen Augenblick gefallen: Er war wirklich verblüfft.
»Er hat alles mitgenommen. Wirklich alles. Das Geld, die Kunstgegenstände, seine ganze Sammlung. Wie ein ägypti-scher Pharao. Er hat sich irgendwo auf der Welt in eine Grabkammer zurückgezogen und uns eine Herausforderung hinterlassen: Wenn wir das Grab finden, können wir es ausrauben. Das nämlich ist seine Vorstellung, wie wir uns unser Erbe verdienen sollen.«
Hauser lehnte sich zurück. Er lachte laut und ausgiebig.
Als er sich erholt hatte, zog er mehrmals träge an seiner Zigarre. Dann streckte er die Hand aus und klopfte fünf Zentimeter Asche ab. »Einen so schrägen Plan kann sich auch nur Max ausdenken.«
»Sie wissen also nichts davon?«, fragte Philip.
»Nichts.« Hauser schien die Wahrheit zu sagen.
»Sie sind doch Privatdetektiv«, sagte Philip.
Hauser schob die Zigarre von einem Mundwinkel in den anderen.
»Sie sind mit ihm aufgewachsen. Sie haben ein Jahr mit ihm im Dschungel verbracht. Sie kennen ihn. Sie wissen besser als jeder andere, wie er gearbeitet hat. Hätten Sie vielleicht Lust, mir als Privatermittler bei der Suche nach seinem Grab behilflich zu sein?«
Eine Wolke blauen Dunstes entströmte Hausers Mund.
»Ich habe nicht den Eindruck, dass dies ein schwieriger Auftrag ist«, fuhr Philip fort. »Eine Kunstsammlung dieser Größe kann man nicht transportieren, ohne dass es jemandem auffällt.«
»In Max' Gulfstream IV würde sie aber reinpassen.«
»Ich bezweifle, dass er sich in seinem Flugzeug begraben lässt.«
»Die Wikinger haben sich in ihren Schiffen bestatten las-
sen. Vielleicht hat Max seine Sammlung in luftdichte und druckfeste Behälter verpackt und die Maschine mitten über der unergründlichen Weite des Pazifik abstürzen lassen, wo sie jetzt unter drei Kilometer Wasser verborgen ist.« Hauser breitete lächelnd die Hände aus.
»Nein«, erwiderte Philip. Er tupfte sich die Stirn ab und versuchte, das Bild des Lippi-Gemäldes zu verdrängen, das drei Kilometer unter dem Meeresspiegel in schlammigen Untiefen eingeklemmt war. »Das glauben Sie doch selbst nicht, oder?«
»Ich sage ja nicht, dass er es getan hat. Ich möchte Ihnen nur verdeutlichen, wozu zehn Sekunden Nachdenken führen können. Arbeiten Sie mit Ihren Brüdern zusammen?«
»Halbbrüder. Nein. Ich habe beschlossen, die Grabkammer allein zu finden.«
»Was sind die Pläne Ihrer Brüder?«
»Ich weiß es nicht. Und offen gesagt, ist es mir auch egal.
Natürlich werde ich das, was ich finde, mit ihnen teilen.«
»Erzählen Sie mir was über sie.«
»Tom ist vermutlich derjenige, vor dem man sich in Acht nehmen muss. Er ist der jüngste. Als wir Kinder waren, war er der wildeste. Er gehört zu denen, die immer als Erster von einer Klippe ins Wasser springen und Steine auf ein Wespennest werfen. Er ist aus mehreren Schulen geflogen, aber im College hat er Vernunft angenommen und sich seither immer wacker durchgeschlagen.«
»Und der andere, Vernon?«
»Er lebt momentan bei einer pseudobuddhistischen Sekte, die ein Ex-Professor aus Berkeley anführt. Vernon war immer ein Wirrkopf. Er hat alles ausprobiert: Drogen, Sekten, Selbsthilfegruppen. Als Kind hat er ständig angefahrene Katzen und Hunde mitgebracht - und Vögelchen, die von ihren größeren Geschwistern aus dem Nest geworfen wurden. So was in der Art. Alle Tiere, die er mit nach Hause brachte, sind eingegangen. In der Schule hatten die anderen Kinder ihn immer auf dem Korn. Er hat das College abgebrochen und hatte noch nie eine feste Stellung. Er ist ein lieber Kerl, aber ... Er kann einfach nicht erwachsen werden.«