Ach, armer Yorick.
Hauser ließ den Lichtstrahl über die Mauern schweifen.
Stumpfe Fresken, von Kalk und Schimmel verhüllt, waren an die Wände gemalt. In einer Ecke lagen Töpfe voller Staub, irgendein Erdbeben hatte sie vor Jahrhunderten ge-geneinander geschlagen und zerbrochen. Kleine Wurzeln hatten die Decke durchdrungen und baumelten in einem Gewirr in die tote Luft hinunter.
Er wandte sich dem Teniente zu: »Ist dies das einzige Grab hier drin?«, fragte er.
»Auf dieser Seite der Pyramide, ja. Wir müssen uns noch die andere ansehen. Wenn sie symmetrisch ist, gibt's da vermutlich noch eine wie die hier.«
Hauser schüttelte den Kopf. Er würde Max in dieser Pyramide nirgendwo finden. Es war zu offensichtlich. Max hatte sich wie König Tutenchamun bestatten lassen, an einem Ort, den man nicht sofort als Grab erkannte. Genau so und nicht anders würde er vorgehen.
»Lassen Sie die Männer antreten, Teniente. Ich möchte zu ihnen sprechen. Wir werden die Stadt von Osten nach Westen durchkämmen.«
»Jawohl, Sir.«
Hauser stellte fest, dass er den Schädel noch immer in der Hand hielt. Er schenkte ihm einen letzten Blick, dann warf er ihn beiseite. Er schlug mit einem hohlen Geräusch auf den Boden und zerbrach, als sei er aus Gips. Der Unterkiefer rollte über den Boden und beschrieb ein paar verrückte Kurven, bevor er im Staub zur Ruhe kam.
Eine brutale Durchsuchung der Stadt mit Dynamit. Einen Tempel nach dem anderen. Hauser schüttelte den Kopf. Er wünschte, sein Späher würde von den Broadbents zurückkehren. Es gab eine bessere Möglichkeit, die Sache durchzuziehen. Eine viel bessere Methode.
51
Vater lebt noch?«, rief Philip laut.
»Ja.«
»Heißt das, er ist noch nicht bestattet worden?«
»Ich Geschichte beenden, bitte. Nachdem Vater bleiben in Tara ein Jahr, meine Mutter mich geboren. Doch Vater reden über Weiße Stadt und gehen zu ihr. Viele Tage oder sogar Wochen. Häuptling sagt, ist verboten, aber Vater nicht auf ihn hören. Er suchen und graben nach Gold. Dann er finden Platz von Gräber, öffnen Grab von alte Tara-König und rauben aus. Schlechte Tara-Männer ihm helfen, er entwischen mit Schatz flussabwärts und verschwinden.«
»Und er ließ deine Mutter mit einem Säugling allein zurück«, sagte Philip ironisch. »Wie auch seine anderen Frauen.«
Borabay drehte sich um und schaute Philip an. »Ich erzählen Geschichte, Bruder. Du machen Gesicht zu.«
Tom empfand plötzlich ein Dejá-vu-Gefühl. Mach das Gesicht zu war ein typischer Maxwellismus, ein Lieblings-ausdruck seines Vaters. Nun kam er aus dem Mund dieses eigenartigen tätowierten, halbnackten Indianers mit den verlängerten Ohrläppchen. In seinem Kopf ging alles durcheinander. Er war praktisch ans Ende der Welt gegangen - und worauf war er gestoßen? Auf einen Bruder.
»Ich Vater nie mehr sehen - bis jetzt. Mutter sterben vor zwei Jahren. Dann vor kleine Weile Vater kommen zurück.
Große Überraschung. Ich sehr freuen, ihn treffen. Er sagen, er sterben. Er sagen, ihm Leid tun. Er sagen, er bringen zurück gestohlenen Schatz zu Tara-Volk. Dafür er wollen sein bestattet in Grabkammer von Tara-König zusammen mit Schatz von weiße Mann. Er sprechen mit Cah, Häuptling von Tara-Volk. Cah sagen yes, okay, wir dich bestatten in Grabkammer. Du kommen zurück mit Schatz; wir dich begraben wie uralte König. So Vater gehen weg und später kommen zurück mit viele Kisten. Cah schicken Männer an Küste, um zu holen Schatz.«
»Hat Vater sich an dich erinnert?«, fragte Tom.
»Oh, ja. Er sehr glücklich. Wir angeln gehen.«
»Wirklich?«, sagte Philip. »Angeln? Und wer hat den dicksten Fisch gefangen?«
»Ich«, sagte Borabay stolz. »Mit Speer.«
»Klasse.« Philip schnaubte ironisch.
»Philip ...«, begann Tom.
»Wenn Vater eine gewisse Zeit mit Borabay verbracht hätte«, sagte Philip, »hätte er ihn bestimmt ebenso gehasst wie uns.«
»Philip, du weißt doch, dass Vater uns nicht gehasst hat«, sagte Tom.
»Ich bin fast draufgegangen! Ich wurde gefoltert! Weißt du, was das für ein Gefühl ist, wenn man weiß, dass man stirbt? Das war Vaters Vermächtnis an mich. Und jetzt haben wir plötzlich einen bemalten Indianer als älteren Bruder, der mit Vater zum Angeln geht, während ich im Dschungel im Sterben liege.«
»Du fertig mit Wut, Bruder?«, sagte Borabay.
»Damit werde ich nie fertig.«
»Vater auch wütender Mann.«
»Das kann man wohl sagen.«
»Du echter Sohn von Vater.«
Philip verdrehte die Augen. »Das ist aber jetzt völlig neu: ein Dschungelindianer als Psychoanalytiker.«
»Weil du Vater am ähnlichsten, du ihn am meisten lieben und er dich am meisten verletzen. Und jetzt du wieder verletzt, weil du hören, doch nicht ältester Sohn sein. Ich ältester Sohn.«
Eine Weile sagte niemand ein Wort, dann stieß Philip ein heiser klingendes Gelächter aus. »Das ist zu viel. Wie könnte ich je eifersüchtig auf einen analphabetischen tätowierten Indianer mit angespitzten Zähnen sein?«
Nach einer kurzen Pause sagte Borabay: »Ich Geschichte jetzt weitererzählen.«
»Dann mal los.«
»Cah sorgen für alles - wegen Vaters Tod und Bestattung.
Als Tag kommt, wir machen großes Bestattungsfest für Vater. Großes, sehr großes Fest. Alia Tara-Leute kommen. Vater sein auch da. Vater viel Vergnügen an seine Bestattungsfeier. Er machen viele Geschenke. Alle kriegen Kochtöpfe, Pfannen und Messer.«
Tom und Sally wechselten einen Blick.
»Daran hat er bestimmt seinen Spaß gehabt«, meinte Philip. »Ich sehe es förmlich vor mir, wie der alte Mistkerl über seine eigene Totenfeier präsidiert.«
»Du Recht, Philip. Vater haben Spaß. Er essen, trinken zu viel, lachen und singen. Vater machen Kisten auf, damit alle können sehen heilige Schätze von weiße Mann. Alle lieben heilige Mutter Maria mit Baby Jesus auf Arm. Weiße Menschen haben schöne Götter.«
»Der Lippi!«, schrie Philip. »War er in gutem Zustand?
Hat er die Reise überstanden?«
»Es ist schönstes Ding, ich je sehen, Bruder. Wenn ich sehen, ich sehen etwas in weiße Mann, ich nie gesehen zuvor.«
»Ja, ja, es ist eines der schönsten Bilder, die Lippi je gemalt hat. Wenn ich mir nur vorstelle, dass es in einer feuchten Gruft liegt!«
»Aber Cah Vater foppen«, fuhr Borabay fort. »An Ende von Bestattung er so tun, als geben Vater besonderen Gift-trank, damit er sterben schmerzlosen Tod. Aber Cah nicht wirklich tun. Cah geben Vater Getränk, damit er schlafen.
Niemand außer Cah davon wissen.«
»Das klingt ganz eindeutig nach Shakespeare«, sagte Philip.
»Dann schlafender Vater wird gebracht mit Schatz in Gruft. Leute machen Tür zu, schließen ihn in Grabkammer ein. Wir alle glauben, er tot. Nur Cah wissen, er nicht tot; er nur schlafen. So er später wachen auf in dunkles Grab.«
»Moment mal«, sagte Vernon. »Jetzt komm ich nicht mehr mit.«
»Ich schon«, sagte Philip. »Sie haben Vater lebendig begraben.«
Stille.
»Nicht sie«, sagte Borabay. »Cah! Tara-Leute nichts wissen von Trick.«
»Ohne Nahrung und Wasser«, sagte Philip. »Mein Gott, wie grauenhaft.«
»Brüder«, sagte Borabay, »Tara-Tradition verlangen, viel Essen und Wasser in Grab legen, für Leben in Jenseits.«