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Hauser dachte an die entscheidende Fünfzig-Tages-Tour durch den Urwald, an die qualvollen Zeiten, die er in seinem Leben nie vergessen würde. Sie hatten erfahren, dass es irgendwo in den Cerros Escondidos im Tiefland von Guatemala einen Maya-Tempel gab. Fünfzig Tage und Nächte hatten sie sich einen Weg durch zugewucherte Pfade gebahnt. Sie waren gestochen, gebissen und zerkratzt worden, hatten gehungert und waren erkrankt. Die Bewohner des Lacandonen-Dorfes, in das sie gestolpert waren, hatten nicht reden wollen. Na schön, der Tempel war irgendwo in der Umgebung. Daran gab es keinen Zweifel.

Aber die Dörfler hatten geschwiegen. Hauser war gerade im Begriff gewesen, ein Mädchen zum Reden zu bringen, als Max seine Pläne durchkreuzt hatte. Der Scheißkerl hatte ihm eine Kanone an den Schädel gedrückt und ihn ent-waffnet. Das war der Bruch gewesen; der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Max hatte ihm befohlen, sich zu verziehen. Als wäre er irgendein Köter. Hauser hatte keine Wahl gehabt. Er hatte die Suche nach den versunkenen Städten abbrechen müssen und war nach Hause gereist. Max war weitergezogen und hatte die Weiße Stadt gefunden. Dort oben hatte er eine reich bestückte Gruft geplündert. Und jetzt, vierzig Jahre später, war sie zu seiner eigenen Gruft geworden.

Der Kreis hatte sich geschlossen, nicht wahr?

Hauser zog genüsslich an seiner Zigarre. In den Jahren des Krieges hatte er etwas Wichtiges gelernt: Wenn die Lage richtig schwierig wurde, wusste man nie, wer es schaffte und wer nicht. Die großkotzigen Army-Ranger mit den I-gelfrisuren und aufgepumpten Arnold-Schwarzenegger-Armen fielen manchmal in sich zusammen wie zu lange gekochtes Fleisch, während die Schmalhänse der Kompa-nie, die Typen von Intel oder die Elektronikfritzen, sich als wahre Stehaufmännchen erwiesen. Man konnte nie wissen.

Dies galt auch für die Broadbent-Jungs. Hauser musste es ihnen neidlos zugestehen:

Sie hatten sich wacker geschlagen. Sie würden ihm noch einen letzten Dienst erweisen, aber dann war Feierabend für sie.

Hauser verharrte lauschend. In der Ferne hörte er ein leises Heulen, Johlen und Rufen. Er hob das Fernglas. Weit links vom Steinfort sah er eine aus dem Dschungel heran-fliegende Pfeilsalve. Ein Pfeil traf mit einem leisen Fing!

eine Jupiterlampe.

Die Indianer griffen an. Hauser lächelte. Das war natürlich nur ein taktisches Manöver. Es sollte dazu dienen, die Aufmerksamkeit der Soldaten von der Brücke abzulenken.

Er sah, wie sich seine Leute mit gezückten Kanonen hinter die Steinmauern duckten. Sie luden die Granatwerfer. Er hoffte, dass sie sie auch einsetzen konnten. Schließlich hatten sie den Auftrag, das vorzutäuschen, was sie sowieso sehr gut konnten: die Nieten mimen.

Noch mehr Pfeile segelten aus dem Wald heran. Ihnen folgte lautes Kriegsgeschrei. Die Soldaten antworteten mit einer panischen Geschosssalve. Eine Granate knallte in den Wald, ohne jemanden zu treffen. Sie blitzte nur auf und krachte.

Zum ersten Mal gingen die Soldaten richtig vor.

Nun, da die Broadbents ihren Zug gemacht hatten, wusste Hauser genau, wie es weitergehen würde. Es war vor-herbestimmt, wie eine Abfolge erzwungener Züge beim Schach.

Und da waren sie auch schon, genau nach Plan. Hauser hob erneut das Fernglas. Die drei Brüder und ihr indianischer Führer liefen geduckt hinter den Soldaten durch das freie Gelände und jagten auf die Brücke zu. Für wie gerissen hielten sie sich? Sie liefen mit aller Kraft mitten in eine Falle hinein.

Hauser musste einfach lachen.

62

Sally war bis auf zweihundert Meter an den Soldaten he-rangerobbt, der die Brücke bewachte. Sie lag nun hinter einem umgestürzten Baum. Ihre Springfield ruhte auf dem glatten Holz. Alles war still. Sie hatte sich nicht von Tom verabschiedet. Sie hatten sich nur geküsst und dann getrennt. Sie wollte nicht darüber nachdenken, was passieren würde. Der Plan war verrückt. Sie bezweifelte, dass die Männer es schaffen würden, die Brücke zu überqueren.

Selbst wenn es ihnen gelang, selbst wenn sie Maxwell Broadbent retten konnten - sie würden nie mehr zurückkehren.

Doch genau darüber wollte sie nicht nachdenken. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf das Gewehr. Die Springfield 03 stammte zwar aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, aber sie lag gut in der Hand, und ihre Zieloptik war ausgezeichnet. Chori hatte das Gewehr bestens gepflegt. Sally hatte die Entfernung von ihrem Versteck bis zu der Stelle, an der die Soldaten sich in der Fortruine verschanzten, bereits berechnet. Es waren zweihundertzehn Meter. Sie hatte das Zielfernrohr dementsprechend eingestellt. Die Munition, die Chori ihr überlassen hatte, war militärischer Standard: .30-.60 mit 150er Körnung. Somit waren keine weiteren Berechnungen nötig. Aber Justierungstabellen hatte sie keine. Sie hatte den gerändelten Verstellknopf nach ihrer besten Schätzung der Windbedingungen eingestellt. Zweihundertzehn Meter waren wirklich keine große Herausforderung für sie, solange das unbewegliche Ziel so groß war wie ein Mensch.

Seit sie bei dem Baumstamm angelangt war, überlegte Sally, was es bedeutete, einen Menschen zu töten. War sie dazu fähig? Jetzt, da es bis zum Einsatz nur noch Minuten dauern konnte, wusste sie es. Sie würde töten, um Toms Leben zu retten. Kniich saß in einem kleinen Käfig aus geflochtenen Ranken. Sie freute sich, dass er hier war, um ihr Gesellschaft zu leisten, auch wenn seine Laune nicht die beste war. Es behagte ihm nicht, in einem Käfig zu hocken.

Sally zog eine Hand voll Nüsse aus der Tasche, reichte dem Äffchen einige und verzehrte den Rest selbst.

Gleich musste es losgehen.

Pünktlich auf die Minute hörte sie aus dem den Soldaten gegenüberliegenden Wald einen leisen Schrei. Ihm folgte ein jaulender, kreischender, heulender Stimmenchor, der eher nach hundert statt nach zehn Kriegern klang. Eine Pfeilsalve flog aus dem dunklen Wald hervor. Sie war so hoch gezielt, dass sie in einem steilen Winkel auf die Soldaten herabfiel.

Sally drückte ihr Auge fest ans Zielfernrohr, um besser zu erkennen, was sich dort abspielte. Die Soldaten spritzten panisch auseinander, luden Granatwerfer und bezogen hinter der Steinmauer Stellung. Dann erwiderten sie den Beschuss. Die Salven, die sie willkürlich auf den zweihundert Meter entfernten Waldrand abgaben, waren nicht gerade gut gezielt. Eine Granate flog, ohne Schaden anzurichten, auf das Dickicht zu, landete kurz davor auf dem Boden und verging in einem blitzenden Knall. Weitere Granaten folgten. Sie detonierten zwischen den Wipfeln und rissen Äste von den Bäumen. Es war eine ungewöhnlich inkompetente Zurschaustellung militärischer Macht.

Links von sich sah Sally eine Bewegung aufblitzen. Die vier Broadbents liefen über das freie Gelände geduckt auf den Brückenkopf zu. Sie mussten zweihundert Meter Gestrüpp und umgestürzte Bäume überwinden, aber sie kamen recht gut voran. Die Soldaten schienen gänzlich mit dem Scheinangriff an ihrer Flanke beschäftigt zu sein. Sally beobachtete sie weiter durch das Zielfernrohr. Sie war bereit, Tom und den anderen Deckung zu geben.

Ein Soldat stand auf und drehte sich um, um neue Granaten zu holen. Sally zielte auf seinen Brustkorb und legte den Finger auf den Abzug. Der Mann lief los, wich dem Pfeil-hagel aus, entnahm einem Behälter zwei Granaten und kehrte zurück - er hatte nicht einmal aufgeschaut.

Sally ließ ihren Finger locker. Die Broadbents erreichten nun die Brücke. Sie überspannte eine zweihundert Meter breite Kluft. Vier geflochtene Hanftaue - zwei oberhalb, zwei unterhalb des Bodens - hielten sie in der Luft und trugen ihr Gewicht. Auf halber Höhe senkrecht zwischen den Tauen verlaufende Seile verliehen dem aus zusammenge-bundenen Bambusstäben bestehenden Boden Stabilität. Ein Bruder nach dem anderen schwang sich nun unter die Brücke. Sie bahnten sich, seitlich gehend, auf einem der unterhalb verlaufenden Taue einen Weg über die Schlucht, wobei sie die oberen Seile als Halt verwendeten. Sie waren genau zur richtigen Zeit losgegangen: Aus der Schlucht stiegen starke Dunstschwaden auf, die die Brüder nach fünfzig Metern unsichtbar machten. Der Angriff wurde mit Geschrei und Pfeilsalven zehn Minuten lang fortgesetzt, dann kam er allmählich zur Ruhe. Es war ein Wunder. Sie waren auf die andere Seite gekommen. Der verrückte Plan hatte funktioniert.