»Und wie?«
»Kein Mensch kann sich ohne Hilfe mit Kunstgegenstän-den im Wert von einer halben Milliarde Dollar begraben lassen. Wir müssen rauskriegen, wer ihm dabei geholfen hat.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte Tom. »Er hat in seinem ganzen Leben niemandem getraut.«
»Allein hätte er es nicht schaffen können«, warf Vernon ein.
»Es ist so ... typisch für ihn«, meinte Philip plötzlich.
»Vielleicht hat er ja Hinweise hinterlassen.« Vernon trat an die Kommoden, zog eine Schublade auf und kramte fluchend darin herum. Er riss die zweite und dritte Schublade auf und wurde dabei so wütend, dass sie herausrutschten und ihr Inhalt sich auf dem Boden verstreute: Spielkarten, Mühle, Dame, Schach. Tom erinnerte sich an alles - die alten Spiele ihrer Kindheit, nun vom Alter vergilbt und schäbig. In seinem Brustkorb war ein kalter Knoten. Das hatte er nun davon.
Vernon versetzte dem verstreuten Chaos fluchend einen Tritt, sodass die Figürchen durch den ganzen Raum flogen.
»Das bringt nichts, wenn du deine Wut am Haus auslässt, Vernon.«
Vernon ignorierte ihn. Er zog weiterhin Schublade um Schublade heraus, verstreute ihren Inhalt auf dem Boden und untersuchte ihn.
Philip holte seine Pfeife aus der Hosentasche und zündete sie mit zitternder Hand an. »Du vergeudest deine Zeit. Ich finde, wir sollten uns mit Marcus Hauser unterhalten. Er ist der Schlüssel.«
Vernon hielt inne. »Hauser? Vater hatte doch über vierzig Jahre keinen Kontakt mehr zu ihm.«
»Er ist der Einzige, der Vater wirklich kennt. Sie haben zwei Jahre zusammen in Mittelamerika verbracht. Wenn jemand weiß, wohin er gegangen ist, dann Hauser.«
»Vater konnte ihn nicht ausstehen.«
»Ich gehe davon aus, dass sie sich wieder vertragen haben, wo Vater doch krank war und so.« Philip schnippte ein goldenes Feuerzeug an und saugte das Flämmchen mit einem gurgelnden Laut in den Kopf seiner Pfeife.
Vernon ging ins Büro. Tom hörte, dass er Schubladen öffnete und schloss, Bücher aus den Regalen zog und Gegenstände auf den Boden klatschte.
»Wetten, dass Hauser in der Sache mit drin steckt? Wir müssen schnell handeln. Ich hab Schulden - und Verpflich-tungen.«
Vernon kam aus dem Arbeitszimmer zurück und schleppte einen Karton voller Papiere herein, den er auf den Kaffeetisch knallte. »Offenbar hast du dein Erbe schon ausgegeben.«
Philip drehte sich gelassen zu ihm um. »Wer hat sich denn erst vor einem Jahr zwanzig Riesen von Vater geliehen?«
»Er hat mir einen Kredit gegeben.« Vernon blätterte die Papiere durch, klappte Aktendeckel auf und verstreute alles auf dem Boden. Tom sah, wie ihre alten Grundschul-zeugnisse aus einem Ordner segelten. Es überraschte ihn, dass ihr Vater sich die Mühe gemacht hatte, sie aufzuheben
- schon deswegen, weil sie eigentlich keine Lobgesänge über sie anstimmten.
»Hast du ihn schon zurückgezahlt?«, fragte Philip.
»Das tue ich noch.«
»Natürlich«, sagte Philip ironisch.
Vernon errötete. »Was ist mit den vierzigtausend, die Vater geblecht hat, damit du die höheren Fachsemester bele-gen konntest? Hast du die schon zurückgezahlt?«
»Das war ein Geschenk. Er hat doch auch Toms Veterinär-
examen bezahlt. Stimmt's nicht, Tom? Wenn du weiterstu-diert hättest, hätte er auch für dich bezahlt. Aber du muss-test ja zu diesem Swami Wu-Wu nach Indiana ziehen.«
Eine angespannte Stille machte sich breit.
»Ach, leck mich doch«, sagte Vernon.
Toms Blick wanderte von einem Bruder zum anderen.
Was hier ablief, hatte er schon tausendmal erlebt. Normalerweise warf er sich dazwischen und versuchte, den Frie-densstifter zu spielen. Meist ging es aber nicht gut.
»Du mich auch«, sagte Philip. Er klemmte sich die Pfeife mit einem Klicken zwischen die Zähne und wandte sich auf dem Absatz um.
»Warte!«, rief Vernon. Aber es war zu spät. Wenn Philip wütend wurde, ging er, und so war es auch diesmal. Die große Tür fiel mit einem Knall hinter ihm ins Schloss.
»Verflucht noch mal, Vernon, musste das jetzt unbedingt sein?«
»Scheiß drauf. Er hat doch angefangen, oder etwa nicht?«
Tom wusste nicht, wer angefangen hatte.
Hutch Barnaby saß wieder in seinem Büro. Auf seinem Bauch thronte ein Becher mit frischem Kaffee, und er schaute aus dem Fenster. Fenton saß mit seinem Becher auf dem anderen Stuhl und stierte finster den Boden an.
»Hör endlich auf, darüber nachzudenken, Fenton. Solche Dinge kommen eben vor.«
»Ich kann's nicht fassen.«
»Ich weiß, es ist völlig irrsinnig, dass dieser Typ sich mit einer halben Milliarde begraben lässt. Aber mach dir keine Sorgen. Irgendwann wird in dieser Stadt jemand ein Ding drehen, das dann auf der ersten Seite der New York Times steht. Und dann wird auch dein Name erwähnt. Diesmal ist es eben schiefgegangen.«
Fenton hielt seinen Kaffee und seine Enttäuschung warm.
»Ich hab's gewusst, Fenton. Schon bevor ich das Video sah. Ich bin von allein drauf gekommen. Als mir klar wurde, dass es kein Versicherungsbeschiss war, ging mir plötzlich ein Licht auf. He, man könnte einen tollen Film aus dem Fall machen, meinst du nicht auch? Reicher Sack nimmt seine Kohle mit in die Kiste.«
Fenton schwieg.
»Wie, glaubst du, hat der alte Knabe es gemacht? Denk mal drüber nach. Er hat Hilfe gebraucht. Er hatte 'ne Menge Zeug dabei. Man kann nicht ein paar Tonnen Kunstwerke durch die Welt schleppen, ohne dass es jemandem auffällt.«
Fenton nippte an seinem Kaffee.
Barnaby warf einen kurzen Blick auf die Uhr. Dann wandte er sich den Papieren auf seinem Schreibtisch zu. »Noch zwei Stunden bis zur Mittagspause. Wieso passiert in dieser Stadt eigentlich nie was Interessantes? Schau dir mal das an: Drogen, nichts als Drogen. Warum rauben diese Saftsäcke zur Abwechslung nicht mal 'ne Bank aus?«
Fenton leerte seinen Becher. »Es ist da draußen.«
Schweigen.
»Was willst du damit sagen? Was soll dieser Kommentar bedeuten? Es ist da draußen. Da draußen sind 'ne Menge Dinge.«
Fenton zerknüllte seinen Becher.
»Das soll doch wohl keine Anspielung auf irgendwas sein, oder?«
Fenton warf den Becher in den Papierkorb.
»Du hast gesagt: Es ist da draußen. Ich möchte wissen, was du damit gemeint hast.«
»Wir krallen es uns.«
»Und?«
»Dann behalten wir's.«
Barnaby lachte. »Fenton, du verblüffst mich. Falls du es noch nicht bemerkt haben solltest: Wir vertreten das Gesetz.
Ist dir diese kleine Tatsache etwa entfallen? Man erwartet von uns, dass wir ehrlich sind.«
»Yeah«, sagte Fenton.
»Genau«, fuhr Barnaby kurz darauf fort. »Ehrlichkeit.
Wenn man die nicht hat, Fenton, was hat man dann?«
»'ne halbe Milliarde Dollar«, erwiderte Fenton.
6
Das Haus war kein alter brauner Sandsteinbau wie in einem Bogart-Film, sondern eine sich über der West 57th Street in den Himmel schraubende Monstrosität aus Glas und Stahl. Einer der hässlichen Wolkenkratzer aus den Achtzigerjahren. Wenigstens, dachte Philip, bringt der Kasten jede Menge Mietzins ein. Wenn die Miete hier hoch war, bedeutete das, dass Marcus Aurelius Hauser zu den erfolgreichen privaten Ermittlern gehörte.
Schlenderte man durch die Lobby, kam man sich vor, als beträte man einen gigantischen glatten Granitwürfel. Das Gebäude stank förmlich nach Reinigungsmitteln. In einer Ecke wuchs ein kränklich aussehender Bambushain. Ein Aufzug beförderte Philip in den dreißigsten Stock. Bald darauf stand er vor den Kirschholztüren, die ins Büro des Privatdetektivs Marcus Hauser führten.