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Niemand konnte ein solches Minenfeld durchqueren, ohne an den Blättern Spuren zu hinterlassen. Hauser sah genau, in welche Richtung die Broadbents gegangen waren. Er folgte der Fährte in ein dichtes Vegetationsgewirr, in dem sie sich zunächst allerdings zu verlieren schien.

Er untersuchte penibel die Erde. Dort, im klammen Gekröse des Waldbodens, befanden sich zwei fast unsichtbare Abdrücke. Menschliche Knie hatten sie geformt. Interessant. Sie waren also über einen Wildwechsel mitten ins Herz dieser Kolonie aus Kletterpflanzen gekrochen. Hauser hockte sich hin, lugte in die grüne Dunkelheit hinein, hob die Nase in den Wind und prüfte den Boden. Welchen Weg hatten sie genommen? Knapp ein Meter vor ihm wuchs ein winziger zertretener Pilz, der kaum größer als eine Zehn-Cent-Münze war. Und dort war ein angekratztes Blatt. Sie waren über den Boden ins Pflanzendickicht gekrochen und warteten auf den Einbruch der Nacht. Zweifellos, dachte Hauser, hat der Indianer mir da drin eine Falle gestellt. Das Ge-

lände bot sich perfekt an.

Er stand auf und nahm die einzelnen Ebenen des Regenwaldes in Augenschein. Ja, der Indianer würde sich irgendwo oberhalb des Pfadlabyrinths auf einem Ast verstecken, seinen Giftpfeil bereithalten und darauf warten, dass er unterhalb herankroch.

Ihm blieb nur eine Möglichkeit: Er musste den Mann von hinten aufs Korn nehmen.

Hauser dachte kurz nach. Der Indianer war schlau. Er rechnete vermutlich mit einem solchen Vorgehen. Er hatte bestimmt eingeplant, dass sein Gegner auf diesem Pfad einen Hinterhalt erwartete. Deswegen lag er vermutlich nicht hier auf der Lauer. Nein, er vermutete bestimmt, dass Hauser um ihn herumgehen und sich ihm von der anderen Seite nähern würde. Er würde folglich auf der anderen Seite der gigantischen Gewächsmasse warten, um ihn von hinten zu packen.

Hauser bahnte sich langsam einen Weg um die Kletterpflanzen. Er bewegte sich so leise und verstohlen, als sei er selbst ein Indianer. Wenn seine Annahme zutraf, musste er am anderen Ende auf den Indianer stoßen, der wahrscheinlich irgendwo hoch oben abwartete, bis er unter ihm aufkreuzte. Da der Indianer die weitaus größere Gefahr darstellte, musste er zuerst ihn kaltmachen. Dann würde er die Broadbents aus dem Urwald zur Brücke treiben, wo man sie leicht in eine Falle locken und töten konnte.

Hauser pirschte in einiger Entfernung um das Gewoge herum, blieb alle paar Minuten stehen und suchte die mittleren Höhen des Urwaldes mit den Augen ab. Wenn der Indianer sich so verhielt, wie er meinte, musste er irgendwo rechts von ihm sein. Hauser bewegte sich mit größter Vorsicht voran. Es kostete ihn zwar Zeit, aber davon hatte er ja genug. Ihm blieben mindestens noch sieben Stunden, bis es dunkel wurde.

Und weiter. Hausers Augen waren in ständiger Bewegung. Da war etwas auf einem Baum. Hauser verharrte, glitt ein Stück weiter, schaute erneut nach oben. Er sah nur einen Fetzen vom roten Hemd des Indianers - auf einem Ast, etwa fünfzig Meter rechts von ihm. Außerdem - er konnte es gerade eben erkennen - zielte dort die Spitze eines kleinen Blasrohrs nach unten. Er wollte Hauser fertig machen, wenn er unter ihm auftauchte.

Hauser ging zur Seite, bis er das Hemd des Indianers gut genug sah, um es als Ziel zu markieren. Er hob das Gewehr, legte sorgfältig an und gab einen einzelnen Schuss ab.

Nichts. Trotzdem wusste er, dass er getroffen hatte. Plötzliche packte ihn Panik. Schon wieder eine Falle. Als der Indianer mit einem angespitzten Stock in der Hand wie eine Katze auf ihn herunterfiel, rollte Hauser sich zur Seite. Mit einer Jiu-Jitsu-Bewegung warf er sich seitlich nach vorn, richtete die Schwungkraft des Angreifers gegen ihn selbst und schüttelte ihn sauber ab. Schon war er wieder auf den Beinen und ließ eine Salve aus dem Automatikgewehr in die Richtung krachen, wo der Indianer gerade noch gewesen war.

Doch er war weg. Verschwunden.

Hauser schaute sich um. Der Indianer war ihm trotz allem einen Schritt voraus gewesen. Als er aufschaute, sah er den Baum mit dem kleinen roten Stofffetzen und die Spitze des Blasrohrpfeils. Alles war genau da, wo der Indianer es plat-ziert hatte. Hauser schluckte. Er hatte jetzt keine Zeit, um sich zu fürchten oder zu ärgern. Er musste seinen Auftrag erledigen. Er wollte das Katz-und-Maus-Spiel des Indianers nicht mehr mitmachen, denn er lief Gefahr, es womöglich zu verlieren. Nun war es an der Zeit, die Broadbents mit brachialer Gewalt aus dem Busch ins Freie zu treiben.

Hauser drehte sich um, ging an der Kolonie von Kletterpflanzen vorbei, blieb stehen und hob die Steyr AUG. Er gab ein, zwei Salven ab, dann marschierte er weiter und nahm die dichte Vegetation noch einmal unter Beschuss.

Sein Vorgehen hatte den gewünschten Erfolg: Die Broadbents ergriffen die Flucht. Er hörte ihr panisches Getöse, denn sie machten Lärm wie ein Schwärm Rebhühner. Jetzt wusste er, wo sie waren. Er rannte an dem Pflanzendickicht vorbei, um den Flüchtenden den Weg abzuschneiden, sobald sie ins Freie kamen. Er wollte sie in Richtung Brücke jagen.

Hinter ihm war plötzlich ein Geräusch zu vernehmen. Er wirbelte zu der weit größeren Gefahr herum, betätigte den Abzug und feuerte in die Vegetation, aus der dieser Krach kam. Blätter, Ranken und Zweige wurden von den Bäumen gerissen und spritzten in alle Richtungen. Hauser hörte das Klicken und Klacken der überall einschlagenden Kugeln, sah noch eine Bewegung und nahm die Vegetation erneut unter Beschuss. Dann hörte er ein Kreischen und Krachen.

Ein Coatí, verdammt noch mall Er hatte auf einen Waschbären geschossen!

Hauser wandte sich um, konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf das Terrain vor sich, senkte das Gewehr und feuerte in die Richtung der fliehenden Broadbents. Er hörte den Coat; hinter sich vor Schmerzen heulen. Dann das Knacken von Zweigen. Ihm wurde gerade noch rechtzeitig bewusst, dass es nicht der verletzte Waschbär war, sondern schon wieder der Indianer.

Hauser ließ sich fallen und schoss - nicht um zu töten, denn der Indianer war schon längst im Dickicht des Urwalds verschwunden -, sondern um ihn nach rechts in Richtung auf das freie Gelände vor der Brücke zu dirigie-ren. Er wollte, dass er in die gleiche Richtung lief wie die Broadbents. Nun hatte er auch den Indianer in die Flucht geschlagen und trieb ihn auf die anderen zu. Es war wichtig, dass sie in Bewegung blieben. Hauser schoss pausenlos, um sie am Abbiegen zu hindern, denn sie durften keinesfalls wieder hinter ihm auftauchen. Er lief geduckt voran und gab kurze Feuerstöße nach rechts und links ab, um zu verhindern, dass sie in die Ruinenstadt entwischten. Indem er ihnen von links auf den Pelz rückte, trieb er sie noch dichter an den Abgrund heran. Auf diese Weise würden sie zusammenbleiben, bis er sie auf das freie Gelände ge-scheucht hatte. Als das Magazin leer war, hielt er kurz inne und legte ein neues ein. Dann rannte er weiter. Aus dem Dickicht vor ihm drang der Lärm der fliehenden Broad-

bents. Sie liefen genau dorthin, wo er sie haben wollte.

Jetzt saßen sie in der Falle.

77

Als Tom das Feuerstakkato aus Hausers Gewehr hörte, lag die Hälfte des Plateaus bereits hinter ihm. Aus Furcht vor dem, was die Schüsse möglicherweise bedeuteten, rannte er instinktiv in die Richtung, aus der der Lärm kam. Er schlug Farne und Schlingpflanzen beiseite, sprang über am Boden liegende Baumstämme und kletterte über Mauerruinen hinweg. Dann vernahm er die zweite und dritte Salve - näher und von rechts. Tom hetzte weiter in Richtung Lärm. Er hoffte, seine Brüder und seinen Vater irgendwie verteidigen zu können. Schließlich hatte er eine Machete; er hatte mit ihr einen Jaguar und eine Anakonda getötet - warum also nicht auch Hauser?