»Du träumst nicht.«
»Wo, um alles in der Welt, hast du das Bild her?«
»Sie hatte es.« Tom drehte sich zu der Greisin um, die zahnlos grinsend im Türrahmen stand. Borabay stellte ihr einige Fragen, die sie ausführlich beantwortete. Er hörte ihr zu und nickte. Dann drehte er sich zu seinem Vater um.
»Sie sagen, ihr Gatte gierig. Halten zurück viele Dinge von Gruft. Er alles verstecken in Höhle hinter Dorf.«
»Was für Dinge?«, fragte Broadbent schnell.
Borabay redete wieder auf Cahs Gattin ein.
»Sie nicht wissen. Sie sagen, Cah fast ganzen Schatz von Gruft gestohlen. Er hat Kisten mit Steine gefüllt. Er sagen, er nicht wollen Schätze von weiße Mann in Tara-Grabkammer bringen.«
»Ich hab's fast geahnt«, sagte Broadbent. »Als ich in der Gruft war, sind mir ein paar Kisten aufgefallen, die hohler klangen, als sie es hätten sein dürfen: fast leer. Ich konnte sie aber im Dunkeln nicht öffnen. Deswegen bin ich kurz vor Hausers Auftauchen noch mal in die Kammer gegangen, um zu sehen, ob ich das Rätsel lösen kann. Cah war ein verdammt schräger Vogel. Ich hätte es ahnen sollen. Er hatte es von Anfang an so geplant. Gott, er war ebenso gierig wie ich!«
Seine Blicke tasteten das Gemälde ab. Das Bild reflektierte das Licht des Feuers. Der flackernde Schein spielte auf dem Gesicht der heiligen Jungfrau. Während er es anschaute, schwieg er. Dann schloss er die Augen und sagte: »Holt mir Schreibzeug. Nun, da ich euch etwas hinterlassen kann, werde ich ein neues Testament aufsetzen.«
84
Sie brachten Maxwell Broadbent einen Stift und eine Rolle Borkenpapier.
»Sollen wir dich allein lassen?«, fragte Vernon.
»Nein. Ich brauche euch hier. Dich auch, Sally. Kommt her. Stellt euch auf.«
Sie kamen und bauten sich um die Hängematte auf. Maxwell Broadbent räusperte sich. »Nun, meine Söhne. Und ...«
Er schaute Sally an. »Meine künftige Schwiegertochter. Jetzt geht's los.«
Er hielt inne.
»Was für tolle Söhne ich doch habe. Es ist 'ne Schande, dass ich so lange gebraucht habe, um das zu begreifen.« Er räusperte sich erneut. »Ich hab nicht mehr viel Kraft, und mein Kopf fühlt sich an wie ein Kürbis, also werde ich's kurz machen.«
Sein noch immer klarer Blick wanderte durch den Raum.
»Herzlichen Glückwunsch. Ihr habt's geschafft. Ihr habt euch euer Erbe verdient und mir das Leben gerettet. Ihr habt mir gezeigt, was für ein absoluter Blödian ich als Vater war ...«
»Vater ...«
»Unterbrecht mich nicht! Bevor ich gehe, hab ich noch einen Ratschlag für euch.« Er rang nach Luft. »Jetzt, da ich auf dem Totenbett liege, wie kann ich da widerstehen?« Er atmete tief durch: »Philip, du bist mir am ähnlichsten. Ich habe in den letzten Jahren gesehen, dass die Erwartung ei-
nes großen Erbes einen Schatten auf dein Leben geworfen hat. Zwar bist du nicht von Natur aus gierig, aber wenn einem eine halbe Milliarde ins Haus steht, wirkt das zerset-zend. Ich weiß, dass du über deine Verhältnisse lebst und in deinen New Yorker Kreisen versucht hast, den reichen und kultivierten Genießer zu spielen. Du leidest an der gleichen Krankheit wie ich früher auch: Du willst das Schöne an sich besitzen. Hör damit auf. Dafür sind Museen da.
Führe ein einfacheres Leben. Du schätzt die Kunst. Das ist schon Lohn genug, nicht Anerkennung und Ruhm. Außerdem habe ich gehört, dass du ein verdammt guter Lehrer sein sollst.«
Philip nickte kurz. Er wirkte insgesamt nicht sehr erfreut.
Broadbent holte mehrmals hektisch Luft. Dann nahm er Vernon ins Visier: »Vernon, du bist ein Suchender. Jetzt wird mir endlich klar, wie wichtig es für dich ist, so zu sein.
Dein Problem ist, dass du dich ausnutzen lässt. Du bist arg-los. Doch es gibt eine alte Faustregel, Vernon: Sobald eine Religion an dein Geld ran will, ist sie einen Scheißdreck wert. Das Beten in Kirchen kostet nichts.«
Vernon nickte.
»Und jetzt zu dir, Tom. Von all meinen Söhnen hast du am wenigsten von mir. Ich habe dich eigentlich nie verstanden. Du bist auch am wenigsten materialistisch eingestellt. Du hast mich schon vor langer Zeit abgelehnt, möglicherweise aus guten Gründen.«
»Vater ...«
»Still! Im Gegensatz zu meinem Lebensstil ist der deine diszipliniert. Ich weiß, du wärst eigentlich lieber Paläontologe geworden und hättest nach Dinosaurierfossilien gesucht. Ich habe dich, blöd wie ich bin, in die Medizin gedrängt. Ich weiß, dass du ein guter Tierarzt bist, auch wenn ich nie verstanden habe, warum du dein bemerkenswertes Talent damit vergeudest, irgendwelche abgehalfterten Gäule in Navajo-Reservaten zu verarzten. Aber eines habe ich endlich kapiert: dass ich jede Wahl, die du in deinem Leben triffst, ehren und respektieren muss - egal ob es um Dinosaurier oder um Pferde geht. Tu, was du willst - du hast meinen Segen. Außerdem ist mir deine Rechtschaffenheit aufgefallen. Das ist etwas, woran es mir immer gefehlt hat.
Deswegen hat es mich auch geärgert, dergleichen so ausgeprägt an einem meiner Söhne zu sehen. Ich weiß nicht, was du mit einem riesigen Erbe angefangen hättest. Ich nehme an, dass du es selbst auch nicht weißt. Du brauchst das Geld nicht. Eigentlich willst du es auch gar nicht haben.«
»Ja, Vater.«
»Und jetzt Borabay ... Du bist zwar mein ältester Sohn, aber ich habe dich erst seit kurzer Zeit. Obwohl wir uns erst vor einer Weile begegnet sind, habe ich irgendwie das Gefühl, dich am besten zu kennen. Dir habe ich d eine Bewe-gungsfreiheit gelassen. Ich habe das Gefühl, dass du - wie ich - ein wenig gierig bist. Du kannst es kaum erwarten, von hier zu verschwinden, nach Amerika zu ziehen und ein angenehmes Leben zu führen. Du passt eigentlich nicht zu den Tara. Nun, dagegen ist nichts einzuwenden. Du lernst schnell. Das ist ein Vorteil, denn du hattest eine gute Mutter, und ich war als dein Vater nicht hier, um dich zu verkorksen.«
Borabay wollte etwas sagen, doch Broadbent hob Einhalt gebietend die Hand. »Kann man denn nicht mal auf seinem Totenbett eine Rede halten, ohne dass man ständig unterbrochen wird? Borabay, deine Brüder werden dir helfen, nach Amerika auszuwandern und die Staatsbürgerschaft zu erlangen. Wenn du erst mal dort bist, wirst du zweifellos bald amerikanischer als unsere eigenen Eingeborenen sein.«
»Ja, Vater.«
Broadbent seufzte und schaute Sally an. »Tom, das ist die Frau, die mir leider nie begegnet ist. Wenn du sie von der Angel lässt, bist du ein Trottel.«
»Ich bin aber kein Fisch«, sagte Sally spitz.
»Ah! Genau das hab ich gemeint! Sie ist ja vielleicht ein bisschen widerborstig, aber sie ist eine bemerkenswerte Frau.«
»Da hast du Recht, Vater.«
Broadbent legte eine Pause ein. Er atmete schwer. Das Sprechen bereitete ihm Mühe. Schweiß stand ihm auf der Stirn.
»Ich schreibe jetzt mein Testament. Ich möchte, dass sich jeder von euch einen Gegenstand aus der Höhle aussucht.
Den Rest möchte ich, falls ihr ihn aus dem Land schaffen könnt, dem Museum oder den Museen stiften, die ihr bestimmt. Wir fangen beim Ältesten an. - Borabay, du bist dran.«
»Ich suchen zuletzt aus«, sagte Borabay. »Was ich will, sein nicht in Höhle.«
Broadbent nickte. »Na schön. Philip? Aber das weiß ich auch so.« Sein Blick huschte zur Madonna. »Der Lippi gehört dir.«
Philip wollte etwas sagen, aber ihm fehlten die Worte.
»Und jetzt Vernon.«
Stille machte sich breit. »Ich hätte gern den Monet«, sagte Vernon schließlich.
»Das hab ich mir schon gedacht. Du könntest wohl fünfzig Millionen oder mehr für ihn kriegen. Ich hoffe, dass du ihn wirklich verkaufst. Aber um eines bitte ich dich, Vernon: Gründe keine Stiftungen. Verschenk kein Geld. Wenn du irgendwann gefunden hast, was du suchst, dann vielleicht bist du so klug, um ein wenig von deinem Geld zu verschenken. Ein wenig.«