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Jemanden, der eine arbeitsame, ehrbare Frau zu sein scheint, sich aber auch rächen will. Da wir den Feind nicht sehen können - weil, wenn wir diese Geschichte zum Äußersten weitertreiben, Gott unser wahrer Feind ist, der uns dies alles durchmachen läßt -, wird unsere Rache nie gestillt, weil sie sich gegen das Leben wendet.«

»Warum reden wir hier eigentlich?« fragte Chantal wütend, weil der Mensch, den sie auf der Welt am meisten haßte, ihre Seele so gut kannte. »Warum nehmen wir nicht einfach das Gold und hauen ab?«

»Weil mir gestern, als ich das vorschlug, was ich am meisten verabscheue - einen grundlosen Mord, wie er an meiner Frau und meinen Töchtern verübt wurde -, deutlich wurde, daß ich mich in Wahrheit selber retten wollte. Erinnern Sie sich an den Philosophen, den ich in unserem zweiten Gespräch erwähnt habe? Der, der gesagt hat, daß Gottes Hölle dessen Liebe zu den Menschen ist, weil die Haltung der Menschen Ihn in jeder Sekunde Seines ewigen Lebens quält.

Derselbe Philosoph hat noch etwas gesagt: Der Mensch braucht seine schlechtesten Seiten, um zu seinen besten Seiten vorzustoßen.« »Das verstehe ich nicht.«

»Vorher dachte ich nur an Rache. Wie die Bewohner Ihres Dorfes stellte ich mir etwas vor, plante Tag und Nacht und tat nichts. Eine Zeitlang habe ich in der Presse die Geschichten von Menschen verfolgt, die unter ähnlichen Umständen ihre Lieben verloren hatten. Ihre Reaktion war genau das Gegenteil von meiner: Sie schufen für die Opfer Selbsthilfegruppen, die Ungerechtigkeiten anprangerten und Kampagnen veranstalteten, um zu zeigen, daß kein Racheakt je den Schmerz über den Verlust tilgen kann und darf.

Ich habe auch versucht, alles aus einer großherzigeren Sicht zu betrachten. Es gelang mir nicht. Aber jetzt, wo ich meinen Mut zusammengenommen habe und bis zu diesem Extrem vorgestoßen bin, habe ich entdeckt, daß es dort ganz weit hinten ein Licht gibt.«

»Weiter«, sagte Chantal, denn auch sie sah eine Art Licht.

»Ich will überhaupt nicht beweisen, daß die Menschheit verdorben ist. Ich will vielmehr beweisen, daß ich unbewußt um die Dinge gebeten habe, dir mir passiert sind - denn ich bin schlecht, ein vollkommen verworfener Mensch, und habe die Strafe verdient, die mir das Leben auferlegt hat.«

»Sie wollen beweisen, daß Gott gerecht ist.«

Der Fremde überlegte.

»Kann sein.«

»Ich weiß nicht, ob Gott gerecht ist. Was mich betrifft, war Er zumindest nicht sehr korrekt, was in mir ein Gefühl der Ohnmacht hervorgerufen hat, die mir in der Seele weh tut. Es gelingt mir nicht, so gut zu sein, wie ich gern wäre, aber auch nicht so böse, wie es not täte. Vor ein paar Minuten dachte ich, Er hätte mich auserwählt, um sich für all die Trauer zu rächen, die die Menschen in Ihm erwecken.«

»Ich glaube, Sie haben die gleichen Zweifel, nur sind Ihre noch größer: Ihre Güte wurde nie belohnt.« Chantal wunderte sich über ihre eigenen Worte. Der Dämon des Fremden sah, wie der Engel der jungen Frau heller erstrahlte und die Dinge sich in ihr Gegenteil verkehrten.

»Nun reagier schon«, drängte er den anderen Dämon.

»Tu ich bereits«, antwortete dieser. »Aber der Kampf ist hart.«

»Ihr Problem ist im Grunde nicht die Gerechtigkeit Gottes«, sagte der Mann, »sondern die Tatsache, daß Sie sich immer zum Opfer der Umstände gemacht haben. Ich kenne viele Menschen, die sich in dieser Situation befinden.«

»Wie Sie selber, beispielsweise.«

»Nein. Ich habe gegen etwas aufbegehrt, was mir passiert ist, und mir ist gleichgültig, ob die Leute meine Haltung gut finden oder nicht. Sie hingegen haben an die Rolle der hilflosen Waise geglaubt, eines Menschen, der um jeden Preis von den anderen anerkannt werden will. Im Grunde wollen Sie sein wie die anderen Einwohner von Bescos - was wir übrigens letztlich alle wollen: so wie die anderen sein. Aber das Schicksal hat Ihnen eine andere Geschichte zugedacht.«

Chantal schüttelte den Kopf.

»Nun tu doch was«, riet Chantals Dämon seinem Kollegen.

»Auch wenn sie nein sagt, versteht es ihre Seele und sagt ja.«

Der Dämon des Fremden fühlte sich erniedrigt, weil der erst kürzlich Angekommene merkte, daß er nicht stark genug war, den Mann zum Schweigen zu bringen.

»Worte führen zu gar nichts«, entgegnete er. »Sehen wir zu, daß die reden, denn das Leben wird sich schon darum kümmern, daß sie anders handeln.«

»Ich wollte Sie nicht unterbrechen«, fuhr der Fremde fort. »Sie sprachen über die Gerechtigkeit Gottes...«

Chantal freute sich über die Frage, weil sie nicht noch weitere Wahrheiten über sich selbst hören wollte.

»Ich weiß nicht, ob es einen Sinn macht. Aber Sie haben vielleicht bemerkt, daß Bescos trotz seiner Kirche kein sehr frommer Ort ist. Der Grund ist, daß Ahab, obwohl er vom heiligen Savinus bekehrt worden war, ernsthafte Vorbehalte hatte was den Einfluß der Priester betraf. Da die meisten Einwohner Banditen waren, meinte er, daß die Priester sie mit ihren Drohungen von der ewigen Verdammnis nur wieder rückfällig machen würden. Menschen, die nichts zu verlieren haben, denken niemals an das ewige Leben.

Natürlich erschien bald der erste Priester, und Ahab spürte die Bedrohung sofort. Um ihr entgegenzuwirken, führte er etwas ein, was er bei den Juden gelernt hatte: den Tag der Vergebung. Nur schuf er ein ganz eigenes Ritual.

Einmal im Jahr schlössen sich die Bewohner in ihren Häusern ein, machten zwei Listen, wandten sich zum höchsten Berg und erhoben die erste Liste gen Himmel.

>Herr, hier sind meine Sünden gegen dich<, sagten sie und lasen die Liste der Sünden, die sie begangen hatten. Betrug bei Geschäften, Ehebruch, Ungerechtigkeiten, derlei Dinge. >Ich habe schwer gesündigt und bitte Dich um Vergebung, weil ich Dich gekränkt habe.<

Anschließend - und das war Ahabs Erfindung - zogen die Bewohner eine zweite Liste aus der Tasche und hoben auch sie gen Himmel, wobei sie sich immer noch demselben Berg zuwandten. Und sie sagten so etwas wie: >Herr, hier ist eine Liste der Sünden, die Du gegen mich begangen hat: Du hast mich mehr als notwendig arbeiten lassen, meine Tochter ist trotz meiner Gebete krank geworden, ich wurde beraubt, obwohl ich versucht habe, ehrlich zu sein, ich habe mehr als nötig gelitten.<

Nachdem die zweite Liste verlesen war, schlössen sie das Ritual mit den Worten: >Ich war ungerecht gegen Dich, und Du warst ungerecht gegen mich. Doch heute ist der Tag der Vergebung, Du wirst meine Sünden vergessen, und ich werde Deine vergessen, und wir können ein weiteres Jahr Zusammensein.<«

»Gott vergeben«, sagte der Fremde. »Einem unerbittlichen Gott vergeben, der die ganze Zeit aufbaut und wieder zerstört.«

»Dieses Gespräch wird für meinen Geschmack zu persönlich«, sagte Chantal und sah in eine andere Richtung. »Ich habe vom Leben noch nicht soviel gelernt, daß ich Ihnen etwas beibringen könnte.«

Der Fremde schwieg.

»Das gefällt mir überhaupt nicht«, dachte der Dämon des Fremden, der neben diesem bereits ein Licht erstrahlen sah, das er dort niemals dulden würde. Er hatte dieses Licht vor zwei Jahren an einen der vielen Strande der Welt verbannt.

Der Priester wußte wohl, daß Bescos wegen der unzähligen Legenden, der keltischen und protestantischen Einflüsse, der gleichzeitigen Anwesenheit von Heiligen und Banditen in der Umgebung, daß der Ort nicht gerade fromm war, obwohl seine Einwohner vor nicht allzulanger Zeit noch zu Taufen und Hochzeiten gingen, zu den immer häufigeren Beerdigungen und zur Christmette. Sonst machten sich nur wenige die Mühe, zu den zwei wöchentlichen Messen am Samstag und Sonntag jeweils um elf Uhr zu kommen. Er las sie trotzdem, schon allein, um seine Anwesenheit zu rechtfertigen und den Eindruck eines frommen und fleißigen Mannes zu machen.