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>Stimmt nicht ganz. Oberflächlich schon, aber nicht so leicht zu manipulieren.< Schließlich hatten sie ihn durch ihr Schweigen und durch allerlei rhetorische Schliche so weit gebracht, daß er aussprach, was sie hören wollten: Das Opfer, das Erlösung bringt; das Opfer, das errettet; die Ruinen, aus denen neuer Glanz ersteht. Zugegeben, nach außen hin hatte er sich von ihnen für ihre Zwecke mißbrauchen lassen, doch im Grunde hatte er nur gesagt, was er selber glaubte.

Er war von früh an auf eine Priesterlaufbahn hin erzogen worden, und es war seine wahre Berufung. Mit 21 Jahren wurde er bereits zum Priester geweiht und beeindruckte alle durch seine Gabe des Wortes und durch die Fähigkeit, seine Gemeinde zu führen. Er betete jede Nacht, stand den Kranken bei, besuchte die Zuchthäuser, gab den Hungernden zu essen, genau wie es die Bibel verlangte. Allmählich verbreitete sich sein Ruf in der Region und kam dem Bischof zu Ohren, einem Mann, der für seine Weisheit und seinen Gerechtigkeitssinn bekannt war.

Dieser hatte ihn mit ein paar anderen jungen Priestern zu einem Abendessen eingeladen. Sie aßen, redeten über verschiedenes, und am Ende erhob sich der Bischof, der schon alt war und kaum noch gehen konnte, um allen reihum Wasser einzuschenken. Alle hatten abgelehnt, außer ihm, der das Glas randvoll gießen ließ. Einer der Priester flüsterte so laut, daß der Bischof ihn hören konnte: »Wir haben alle das Wasser abgelehnt, weil wir wissen, daß wir unwürdig sind, aus den Händen dieses heiligen Mannes zu empfangen. Nur einer hat das Opfer nicht begriffen, das unser Superior bringt, indem er mit der schweren Flasche herumgeht.«

Als er wieder an seinem Platz saß, sagte der Bischof:

»Ihr, die ihr mich für heilig haltet, hattet nicht die Demut, etwas zu empfangen, und ich hatte nicht die Freude, etwas zu geben.

Er hat nur geholfen, daß sich das Gute zeigen konnte.«

Daraufhin hatte ihn der Bischof umgehend in eine wichtigere Gemeinde berufen.

Die beiden blieben Freunde und sahen sich häufig. Immer wenn er Zweifel hatte, wandte er sich an den, den er seinen

»geistigen Vater« nannte, und war zumeist mit den Antworten zufrieden. Eines Nachmittags jedoch war er voller Zweifel zum Bischof gegangen, weil er nicht wußte, ob sein Leben und Trachten gottesfürchtig genug waren.

»Abraham nahm die Fremden auf, und Gott war es zufrieden«, war die Antwort gewesen. »Elias liebte die Fremden nicht, und Gott war es zufrieden. David war stolz auf das, was er tat, und Gott war es zufrieden. Der Zöllner vor dem Altar schämte sich dessen, was er tat, und Gott war es zufrieden. Johannes der Täufer ging in die Wüste, und Gott war es zufrieden. Paulus ging in die großen Städte des Römischen Reiches, und Gott war es zufrieden. Wie soll ich wissen, was dem Allmächtigen Freude bereitet? Tu, was dein Herz dir sagt, und Gott wird es zufrieden sein.«

Am Tag nach diesem Gespräch starb der Bischof, sein großer spiritueller Mentor, an einem heftigen Herzanfall. Der Priester deutete den Tod des Bischofs als Zeichen und folgte fortan, wie dieser empfohlen hatte, einzig seinem Herzen. Manchmal gab er ein Almosen, manchmal hieß er die Leute arbeiten gehen. Er hielt abwechselnd ernste Predigten und sang gemeinsam mit den Gläubigen. Sein neues Verhalten kam dem neuen Bischof zu Ohren, der ihn zu sich rief. Er war höchst überrascht, als er im Bischofspalast denjenigen vorfand, der ein paar Jahre zuvor die Bemerkung über das Wasser gemacht hatte.

»Ich weiß, Sie stehen heute einer wichtigen Gemeinde vor«, sagte der neue Bischof hämisch. »Und daß Sie in all diesen Jahren zu einem großen Freund meines Vorgängers geworden sind. Vielleicht sogar dieses Amt angestrebt haben.«

»Nein«, hatte er geantwortet. »Ich strebe Weisheit an.«

»Dann werden Sie jetzt ein sehr gebildeter Mann sein. Aber ich habe merkwürdige Geschichten über Sie gehört: Manchmal geben Sie Almosen, und manchmal verweigern Sie die Hilfe, die unsere Kirche geben muß.«

»Meine Hose hat zwei Taschen, in jeder steckt ein Blatt Papier, und ich stecke Geld nur in meine linke Tasche.«

Der neue Bischof war von dieser Geschichte verwirrt. Was stand auf den Papieren?

»Auf dem Papier in der rechten Tasche steht: Ich bin nichts ah Staub und Asche. Auf dem in der linken Tasche, in der ich auch mein Geld verwahre, steht: Ich bin einer, durch den Gott sich auf Erden offenbart. Wenn ich Elend und Ungerechtigkeit sehe, stecke ich meine Hand in die linke Tasche und helfe. Wenn ich Faulheit und Trägheit sehe, stecke ich die Hand in die rechte Tasche und stelle fest, daß ich nichts zu geben habe. So gelingt es mir, die materielle und die spirituelle Welt im Gleichgewicht zu halten.«

Der neue Bischof dankte für dieses schöne Bild der Barmherzigkeit und hieß ihn wieder in seine Gemeinde zurückkehren. Im übrigen habe er vor, die ganze Region neu zu strukturieren. Kurz darauf erhielt der Priester Nachricht von seiner Entsendung nach Bescos.

Er verstand die Botschaft sofort: Neid. Aber er hatte das Versprechen abgegeben, Gott wo auch immer zu dienen, und machte sich voller Demut und Eifer auf den Weg nach Bescos.

Dies war eine neue Herausforderung, der es gerecht zu werden galt. Ein Jahr verging. Und noch eines. Nach fünf Jahren war es ihm noch immer nicht gelungen, mehr Gläubige in die Kirche zu holen, sosehr er sich auch bemühte. In Bescos ging ein Gespenst mit Namen Ahab um, und der Priester konnte predigen, was und wie er wollte, er konnte gegen die alten Legenden nichts ausrichten.

Zehn Jahre vergingen. Am Ende des zehnten Jahres begriff er seinen Irrtum: Seine Suche nach Weisheit hatte sich in Arroganz verkehrt. Er war so überzeugt von der göttlichen Gerechtigkeit, daß er sie nicht mit der Kunst der Diplomatie zu vereinen wußte. Er vermeinte, in einer Welt zu leben, in der Gott allgegenwärtig ist, und hatte sich inmitten von Leuten wiedergefunden, die Ihn häufig nicht in ihre Herzen ließen.

Nach fünfzehn Jahre begriff er, daß er niemals von hier wegkommen würde: Der neue Bischof war inzwischen ein einflußreicher Kardinal im Vatikan, dem große Chancen nachgesagt wurden, dereinst zum Papst gewählt zu werden.

Konnte er sich da leisten, daß ein hinterwäldlerischer Priester daherkam und ausplauderte, daß er ihn einst aus Neid in die Provinz verbannt hatte?

Inzwischen hatte sich der Priester vom vollkommenen Fehlen von Anreizen bereits anstecken lassen - niemand widersteht so vielen Jahren der Gleichgültigkeit. Er dachte, er wäre Gott nützlicher gewesen, wenn er beizeiten das Priesteramt aufgegeben hätte. Aber er hatte diese Entscheidung immer wieder aufgeschoben, weil er stets glaubte, die Lage würde sich ändern, und jetzt war es zu spät, und er hatte den Kontakt zur Welt verloren.

Zwanzig Jahre später schreckte er eines Nachts völlig verzweifelt aus dem Schlaf hoch. Sein Leben war vollkommen nutzlos gewesen. Er wußte, wessen er alles fähig war und wie wenig er hatte umsetzen können. Er erinnerte sich an die beiden Blatt Papier, die er in seine Hosentaschen gesteckt hatte, und merkte, daß er seine Hand nur immer in die rechte Tasche steckte. Er hatte weise sein wollen, war dabei aber undiplomatisch vorgegangen. Er hatte gerecht sein wollen, und war nicht weise gewesen. Er hatte diplomatisch vorgehen wollen und darüber seinen Wagemut eingebüßt.

>Wo ist deine Großzügigkeit, Herr? Warum hast du mir angetan, was du Hiob angetan hast? Werde ich im Leben noch eine Chance bekommen? Gib mir doch eine zweite Chance!< Er war aufgestanden, hatte die Bibel an einer beliebigen Seite aufgeschlagen, wie immer, wenn er eine Antwort brauchte. Sie öffnete sich an der Stelle, an der es um das letzte Abendmahl Christi geht und Jesus den Verräter bittet, ihn den Soldaten zu übergeben, die ihn suchen.

Der Priester dachte stundenlang über das Gelesene nach: Warum bat Jesus den Verräter, eine Sünde zu begehen?