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»Nicht mich«, antwortete ich rasch. »Ich war nur zur falschen Zeit am falschen Ort.« Ich lächelte, drehte mich halb herum und sah auf die See hinunter, wie Several zuvor. Aber mit Ausnahme einer gewaltigen schwarzen Fläche vermochte ich nichts zu erkennen. Wenn Several mich wirklich von hier oben aus gesehen hatte, mußte sie weitaus bessere Augen haben als ich.

»Ich... ich dachte, Sie wären einer von ihnen«, stammelte Several. »Es... es tut mir leid. Ich... ich wollte nicht...«

»Einer von ihnen? Wer sind siel«

Severals Mundwinkel begannen zu zucken. »Sie haben meine Tochter umgebracht«, flüsterte sie. »Sie... sie haben mir meine Jennifer weggenommen. Sie haben sie getötet.« Ihre Stimme war ganz kalt. Da war nichts von dem Haß und Zorn, die ich zu hören erwartet hatte. Nicht einmal Verbitterung. Nur Kälte.

»Warum erzählen Sie mir nicht, was geschehen ist?« fragte ich. »Vielleicht kann ich Ihnen helfen.«

Several schüttelte den Kopf. »Niemand kann mir helfen«, flü sterte sie, viel weniger an mich als zu sich selbst gewandt. »Sie ist tot. Sie haben sie ermordet.«

»Und deshalb wollten Sie mich töten?« fragte ich leise. »Weil Sie dachten, ich wäre einer von den Männern, die Ihre Tochter getötet haben?«

»Sie sind keine Männer!« antwortete Several heftig. »Sie sind Ungeheuer. Verdammte Bestien sind sie, keine Menschen mehr. Sie... sie haben sie ermordet. O Gott, sie haben mein Kind ermordet. Sie...« Ihre Stimme versagte, und ich spürte, wie schon wieder die Tränen in ihre Augen schössen und sich Schmerz und Verzweiflung in ihr breitzumachen begannen. Diesmal ließ ich es zu, denn es war eine andere Art von Schmerz; nur noch der grauenhafte, aber natürliche Schmerz einer Mutter, die ihr Kind verloren hat, nicht mehr diese furchtbare Kälte, die irgendwo am Grunde ihrer Seele lauerte. »Diese Bestien«, schluchzte sie. »Sie und ihr gottverdammter Fischgott!«

»Fischgott? Wie haben Sie das gemeint? Von wem reden Sie?«

Several wimmerte. Ihre gerade erst mühsam zurückgewonnene Selbstbeherrschung zerbröckelte, und ich sah ein Feuer in ihren Augen aufflammen, das mich frösteln ließ. »Sie haben meine Tochter umgebracht!« hauchte sie. »James hat sie getötet Er... er selbst hat sie zum See gebracht, um sie diesem Monstrum zu opfern wie ein Stück Vieh. Sein eigenes Kind! Aber er hat bezahlt. Ich habe ihn getötet. Ich habe ihn umgebracht, so wie ich sie alle umbringen werde, jeden einzelnen von ihnen, jeden, jeden, jeden...« Plötzlich begann sie zu kreischen, warf sich auf mich und schlug wie von Sinnen mit den Fäusten auf meine Brust ein, immer wieder spitze, abgehackte Schreie und unartikulierte Laute ausstoßend.

Ich ließ sie eine Zeitlang gewähren, dann ergriff ich vorsichtig ihre Hände, drückte sie nach unten und preßte sie an mich.

»Es ist gut«, murmelte ich. »Weinen Sie ruhig, wenn es Sie erleichtert. Ich verstehe Sie.«

Eine halbe Sekunde lang schien es wirklich, als würde sie sich beruhigen, aber plötzlich machte sie sich aus meiner Umarmung frei, prallte zurück und funkelte mich voller Zorn an.

»Sie verstehen überhaupt nichts!« keuchte sie. »Niemand kann das verstehen. Die... sie haben sie umgebracht. Sie haben sie diesem... diesem Ungeheuer zum Fraß vorgeworfen. Ihr eigener Vater hat sie geopfert, nur weil diese... diese Bestie es verlangt hat.«

Es dauerte eine Weile, bis ich wirklich begriff, was sie meinte. »Sie ... sie vollziehen Menschenopfer?« keuchte ich.

Several nickte. »Er verlangt es«, sagte sie, »Zweimal im Jahr, bei der Sommer- und Wintersonnenwende. Immer sind es Mädchen, und immer...« Ihre Stimme versagte, und wieder flossen Tränen über ihr Gesicht.

»Ich werde sie vernichten«, flüsterte sie. »Für meine Tochter, Mister Craven. Sie werden bezahlen.«

»Rache ist kein gutes Motiv«, sagte ich leise. »Sie können Blut nicht mit Blut abwaschen. Niemand kann das.«

Several lächelte schmerzlich. »Vielleicht. Aber sie werden bezahlen, Robert. Und wenn schon nicht aus Rache, dann wenigstens, um diesem Wahnsinn ein für allemal ein Ende zu bereiten. Es sind zu viele Menschen gestorben, seit dieses Monstrum aus dem Meer aufgetaucht ist. Viel zu viele. Ich werde sie auslöschen.«

Unter beinahe allen anderen denkbaren Umständen wären mir ihre Worte lächerlich erschienen. Ich selbst hatte einen Vorgeschmack dessen erhalten, was den erwarten mochte, der sich gegen Jamesons Herren und ihre furchtbaren Kreaturen stellte. Selbst Nemo mit seinem phantastischen Schiff war mehr als nervös gewesen. Und da stand sie nun, eine schwache, beinahe waffenlose Frau, und schwor diesem mächtigen Clan den Untergang.

Und doch wußte ich einfach, daß sie am Ende Erfolg haben würde.

»Ich werde sie vernichten, Robert«, sagte sie noch einmal. Diesmal widersprach ich nicht mehr, sondern berührte sie an der Schulter und fragte ganz leise: »Brauchen Sie Hilfe dabei, Several?«

Er hatte längst die Orientierung verloren. Als das Licht wieder angegangen war, hatte sich Spears in einem schier endlosen, nur von wenigen schmalen Lampen erhellten Gang wiedergefunden, der in schrägem Winkel nach unten führte und von dem in unregelmäßigen Abständen Türen abzweigten, die aber allesamt verschlossen gewesen waren. Schließlich hatte er das Ende des Stollens erreicht.

Die Halle war gigantisch. Spears zweifelte nicht daran, daß es sich um eine natürlich entstandene Höhle handelte, die nur nachträglich von Menschenhand behandelt und hier und da vielleicht erweitert worden war. Ihre Decke, die gewölbt wie ein Dom und aus dem gleichen, lichtschluckenden schwarzen Lavamaterial wie die gesamte unterseeische Anlage war, mußte sich weit mehr als hundert Fuß über seinem Kopf befinden.

Obwohl der riesige Raum von einer Unzahl elektrischer Lampen erleuchtet war, herrschten doch Bereiche von Schwärze oder grauer flackernder Schatten vor. Direkt hinter dem Felsvorsprung, hinter dem Spears Deckung gefunden hatte, verlief ein gut zwanzig Fuß breiter, sorgsam geglätteter Lavastreifen, hinter dessen gegenüberliegendem Rand sich das Wasser eines riesigen, unbewegt daliegenden Sees erstreckte. In einiger Entfernung schob sich eine metallene Konstruktion ein gutes Stückweit auf das Wasser hinaus, spinnenbeinig und dürr und von einem doppelten, kunstvoll geschmiedeten Geländer begrenzt: eine Art Landungssteg. Dahinter, schon fast im Zwielicht der Höhle verschwunden, reckte sich eine Art Kran in die Höhe, dazu gab es andere, verwirrend erscheinende Dinge und Gerätschaften, wie sie Spears noch nie zuvor gesehen hatte.

Trotzdem wußte er mit ziemlicher Sicherheit, was der Sinn dieser sonderbaren Anlage war. Es war ein Hafen. Die Höhle war zu gut zwei Dritteln mit Wasser gefüllt, und obwohl es keinen sichtbaren Aüsgang gab, war Spears überzeugt davon, am Rande eines gigantischen, unterseeischen Hafenbeckens zu ste hen. Kein Zweifel - er hatte den geheimnisumwitterten Heimathafen der NAUTILUS gefunden, die Basis, zu dem das phantastische Schiff immer wieder zurückkehrte. Spears verstand plötzlich, wieso es niemals gelungen war, die NAUTILUS zu stellen.

Eines der Lichter auf der anderen Seite des Beckens begann zu flackern, und als Spears sich vorsichtig ein Stück hinter seiner Deckung hervorschob und hinüberlugte, sah er, wie sich in der rauhen Felswand ein gewaltiges metallenes Tor öffnete. Ein breiter Streifen greller Helligkeit fiel in die Höhle und spiegelte sich auf dem Wasser, dann drängten Männer auf den geglätteten Lavastreifen hinaus, der das Becken wie eine Straße zu zwei Dritteln umspannte.

Spears erschrak. Er hatte bisher keinen Menschen getroffen und auch keinen Alarm gehört, aber er zweifelte nicht daran, daß seine Flucht schon lange bemerkt worden war. Kamen diese Männer, ihn zu suchen? Oder hatten sie gar mit ihren an Zauberei grenzenden technischen Mitteln seinen genauen Standpunkt schon ermittelt und amüsierten sich im stillen über seine Naivität, im Ernst zu glauben, aus dieser unterseeischen Trutzburg entkommen zu können?