Several hatte fast die gesamte restliche Nacht damit zugebracht, auf meine Fragen zu antworten. Es war viel, was sie mir gesagt hatte, und nichts von alledem hatte mir gefallen. Und trotzdem, so schrecklich mich ihre Geschichte auch anrührte, ließ sie sich in wenige, für mich nicht einmal besonders überraschende Worte zusammenfassen.
Die Einwohner von Firth'en Lachlayn frönten einem Dämonenkult. Wir schrieben das Jahr 1885, und ich befand mich inmitten eines Landes, das mit Fug und Recht von sich behaupten konnte, eines der kulturell und zivilisatorisch am weitesten entwickelten dieser Erde zu sein, und unter mir, keine fünfhundert Yards entfernt, tanzten zwei Dutzend halbnackte Männer und Frauen am Ufer eines Sees entlang, stießen unheimliche Laute aus und versuchten, eine dämonische Gottheit zu beschwören!
»Wie lange geht das noch so?« fragte ich, ohne den Blick vom See und den tanzenden Lichtpunkten zu nehmen.
»Bis die Sonne aufgeht«, antwortete Several. »Ich... glaube zumindest, daß sie dann aufhören werden.«
»Sie glauben?«
Several hob den Kopf und sah mich mit einem fast entschuldigenden Lächeln an. »Ich war nie dabei«, sagte sie. »Wir... wir Frauen durften nicht mitkommen, wenn sie ihn gerufen haben. Sie sagten, daß das eine Männersache ist. Etwas, bei dem Frauen nichts zu suchen haben.« Plötzlich begann ihre Stimme zu zittern. »Wir waren nur gut, um ihre dreckige Begierde zu stillen; hinterher. Sie sind wie die Tiere, wenn sie nach Hause kommen. Nicht nur James. Ich habe mit den anderen Frauen gesprochen. Sie haben es uns verboten, aber wir haben es trotzdem getan. Sie waren alle so. Tiere! Nichts als widerliche, gierige Tiere.«
Alarmiert sah ich zu ihr hinüber, aber ihr Gesicht verriet immer noch keine Regung. Dann fiel mir etwas auf, unten am Seeufer.
»Ein paar von ihnen sind Frauen«, sagte ich.
Several nickte abgehackt. »Heute sollte es anders sein«, sagte sie. »Ich weiß nicht, warum, aber James sagte, daß alle ihre Frauen mitbringen sollten. Etwas Besonderes würde geschehen, haben sie gesagt.« Ihre Hand machte sich selbständig und kroch in die Tasche ihres groben Kleides, in der sie das Messer verwahrte. Aber sie führte die Regung nicht zu Ende, und als sie meinen besorgten Blick bemerkte, lächelte sie nur und schüttelte ganz sachte den Kopf.
»Keine Angst, Robert. Ich werde keine Dummheiten machen.«
Ich antwortete nicht darauf, nahm mir aber vor, sie noch genauer im Auge zu behalten. Insgeheim bereute ich bereits, Several mitgenommen zu haben. Ich wußte selbst nicht so recht, was ich hier wollte; nicht im einzelnen. Es war eine jene Situationen, in denen es sinnlos gewesen wäre, Pläne zu schmieden. Alles, was ich tun konnte, war, den Dingen ihren Lauf zu lassen und entsprechend zu reagieren. Vielleicht war es dabei nicht unbedingt das Klügste, eine lebende Zeitbombe wie Several bei mir zu haben.
Eine Zeitlang sah ich dem Treiben am Seeufer noch zu, dann robbte ich vorsichtig rückwärts aus dem Gebüsch hervor, richtete mich auf Hände und Knie hoch und kroch zu dem verschnürten Bündel mit meiner Ausrüstung zurück. Ich war noch einmal zum Meer hinabgestiegen und hatte einen Teil der Dinge geholt, die mir Nemo mitgegeben hatte. Natürlich nicht alles - der Unterwasserpanzer wäre viel zu schwer gewesen, ihn über Meilen mitzuschleppen, und so hatte ich mich auf Helm, Schwimmflossen und das wuchtige, mit kupfernen Stabilisierungsflossen versehene Atemgerät beschränkt. Und selbst sein Gewicht hatte meine Kräfte beinahe überstiegen.
Several langte neben mir an und sah neugierig zu, wie ich das Bündel auspackte und seinen Inhalt vor mir im Sand verteilte. Sie hatte bisher nicht gefragt, warum ich noch einmal die gefährliche Kletterpartie zum Strand hinab gewagt und mich mit einem Zentner Gepäck abgeschleppt hatte; jetzt regte sich ihre Neugier.
»Was ist das?« fragte sie.
Ich zögerte einen Moment. Es wäre mir ein Leichtes gewesen, ihr irgendwelchen Unsinn zu erzählen. Aber es bestand kein Grund dazu.
»Eine Apparatur, mit deren Hilfe man unter Wasser atmen kann«, antwortete ich. »Wenigstens für eine Weile.«
»Unter Wasser atmen?« Several sah mich an, blickte dann zum See zurück und preßte die Lippen aufeinander. »Sie.., wollen dort hinunter?«
»Nicht unbedingt«, antwortete ich. »Wenn ich ehrlich sein soll, gibt es ein paar tausend Dinge, die ich im Moment lieber täte. Aber ich fürchte, mir bleibt keine andere Wahl.«
»Und Ihr... Freund?«
»Bannermann?« Ich zuckte mit den Achseln, hielt für einen Moment in meinem Tun inne und sah zum Haus hinüber, das wie ein schwarzes Ungeheuer auf der anderen Seite des Sees thronte. Several hatte es als ›Gut‹ bezeichnet, und vermutlich war es das auch - aber auf mich wirkte es eher wie eine Festung, finster und groß und jede einzelne Linie seiner Architektur abstoßend und feindselig. Selbst jetzt war es nur als Schatten zu erkennen, aber hinter einem guten halben Dutzend seiner Fenster brannte Licht.
»Wenn er hier ist, ist er dort drüben«, fuhr ich nach sekundenlangem Schweigen fort. »Aber es ist vollkommen unmöglich, unbemerkt dort hineinzukommen. Selbst für mich.«
Wieder schwieg Several einen Moment, dann deutete sie auf die Tauchermaske. »Damit würde es gehen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Es gibt eine Verbindung zwischen dem See und dem Haus«, erklärte Several. »Einen Kanal. Er endet im Keller des Gutshauses, unter dem großen Saal, in dem sie ihre Beschwörungen abhalten.«
»Sind Sie sicher?«
Several nickte. »James hat davon erzählt«, sagte sie. »Er sagte, daß sie ihm oft dort unten geopfert haben. Manchmal sind seine Diener durch den Kanal gekommen, und manchmal ist er selbst auf diesem Wege erschienen, um seine Befehle zu überbringen. Aber ich weiß nicht, wo sein Eingang ist. Irgendwo auf der anderen Seite.« Sie machte eine vage Handbewegung zum Haus hinüber.
Meine Gedanken überschlugen sich fast. Allein die Vorstellung, in diesen See hinabzutauchen und einen finsteren Stollen, von dem ich nicht einmal genau wußte, wo er war, entlangzuschwimmen, krampfte mir den Magen zusammen. Aber so, wie die Dinge lagen, war dies der einzige Weg, unbemerkt ins Haus zu gelangen.
Ich hätte nicht gezögert, geradewegs durch die Vordertür zu marschieren, hätte ich es hier nur mit ein paar Fanatikern zu tun gehabt. Aber unter uns am See tanzten mindestens dreißig Personen im Kreis, und ich schätzte, daß sich im Haus noch einmal die gleiche Anzahl von Männern und Frauen aufhielt; nach allem, was mir Several erzählt hatte. Und mindestens einer von ihnen - das wußte ich seit meiner eigenen schmerzhaften Erfahrung in Aberdeen - verfügte über geistige Kräfte, die den meinen nicht sehr viel nachstanden.
»Werden Sie hier warten?« fragte ich.
Several nickte, aber sie tat es ein wenig zu schnell für meinen Geschmack. Ich lächelte mit gespielter Erleichterung, als würde ich ihr glauben, hob die Hand und berührte mit den Fingerspitzen ihre Schläfe. Als Several begriff, was ich tat, war es zu spät. Ihr freier Wille war ausgeschaltet, und die instinktive Abwehr, die ihr Bewußtsein gegen die suggestiven Impulse aufbaute, zerbrach schon nach wenigen Sekundenbruchteilen.
»Sie werden hier warten, Several«, sagte ich. »Sie werden sich nicht von der Stelle rühren, ganz gleich, was auch geschieht - außer Sie müssen fliehen. Haben Sie das verstanden?«
Several nickte. Ihre Lippen zitterten, und ihre Augen waren plötzlich groß vor Schrecken. »Was... was tun Sie, Robert?« flüsterte sie.
»Nichts, was Sie beunruhigen muß«, antwortete ich ausweichend. »Ich möchte nur nicht, daß Ihnen irgend etwas zustößt, das ist alles. Sie werden warten, bis ich oder Kapitän Bannermann zurück sind. Wenn bis Mittag keiner von uns kommt, gehen Sie ins Dorf zurück und vergessen, daß Sie mich jemals getroffen haben.«