Der Gedanke war so gräßlich, daß ich mich weigerte, ihn zu Ende zu denken. Mit einer Bewegung, die seinem plumpen Äußeren Hohn sprach, schob sich die Bestie über mich und streckte die Arme aus. Ihr schwarzer, aufgedunsener Leib senkte sich wie ein ekeliger Ballon auf mich herab. Eine doppelte Reihe tödlicher Haifischzähne blitzte in dem schwarzen Wasser auf, dann berührten ihre widerwärtigen Hände meine Brust und meinen Hals, glitten tastend daran hinauf und fingerten über das geriffelte Metall meines Taucherhelmes.
Die Berührung des kühlen Messings war das letzte Gefühl, das das Monstrum in seinem Leben hatte; mit Ausnahme vielleicht des fünf Inches scharfen Stahls, den ich ihm in den Leib stieß.
Mit einem ungeheuren Brüllen bäumte sich die Bestie auf, warf sich herum - und zerplatzte zu einer Wolke wirbelnden grauschwarzen Schleimes. Der Druck der lautlosen Explosion schleuderte mich davon. Ich prallte gegen Stein, schrammte mit dem Rücken über scharfkantige Lava und riß angstvoll die Hände vor das Gesicht, um meine Maske und den empfindlichen Atemschlauch zu schützen, von denen mein Leben abhing. So schnell ich konnte, paddelte ich davon, blind, die Hände nach vorne ausgestreckt und das Messer kampfbereit haltend, tauchte aus der brodelnden Wolke auf und schoß in die Höhe.
Aber meine Angst war unbegründet. Das Ungeheuer, das unter mir auf die unappetitliche Art seiner Rasse vergangen war, war das einzige gewesen. Vermutlich hatte ich seinen Weg nur rein zufällig gekreuzt. Trotzdem blieb ich auf der Hut, als ich weiterschwamm, denn die Chance, eine zweite Begegnung mit einem dieser Monster lebend zu überstehen, war ziemlich klein. Ich machte mir in diesem Punkt nichts vor - daß ich den Shoggoten erledigt hatte, war pures Glück gewesen. Schließlich hatte er kaum damit rechnen können, von einer Wasserleiche angegriffen zu werden. Wie der Kampf ausgegangen wäre, hätte er mich ernsthaft angegriffen, statt nur meinen Taucherhelm zu begrabschen, wagte ich mir gar nicht erst auszumalen.
Unschlüssig drehte ich mich einmal um meine Achse, musterte einen Moment lang die versunkene Stadt tief unter mir und wandte mich dann der Höhle zu, in die der Shoggote mich hatte zerren wollen. Es fiel mir schwer, zu glauben, daß es sich nur um sein Eßzimmer handeln sollte. Hatte Several nicht gesagt, daß manchmal auch seine Diener durch die untersseische Verbindung ins Haus kamen?
Vorsichtig schwamm ich los, hielt dicht vor dem klaffenden, wie ein aufgerissenes steinernes Maul geformten Höhleneingang an und wechselte das Messer von der Rechten in die Linke. Jetzt bedauerte ich es, nicht doch die ganze Ausrüstung mitgenommen zu haben, die mir Nemo gegeben hatte, denn dazu hatte auch eine Lampe gehört, die unter Wasser funktionierte. Aber es half wohl wenig, einmal gemachten Fehlern nachzutrauern.
Ich ließ mich tiefer sinken, bis ich den mit scharfkantigen Lavabrocken übersäten Boden berührte, streckte vorsichtig die rechte Hand aus und glitt in die Höhle hinein, jeden Moment darauf gefaßt, von einer weiteren Mißgeburt von Kaulquappen angegriffen zu werden.
Die Höhle war leer. Auf dem Boden lagen graue, flockig aufgelöste Dinge, deren genaues Aussehen zu erkennen sich meine Eingeweide weigerten, und an ihrem hinteren Ende schimmerte ein grünliches, unheimliches Licht; die gleiche Art unheimlicher Helligkeit, die ich auf dem Grund des Sees erblickt hatte, wenn auch weniger intensiv, sondern zu verschwommenen Flecken geronnen, zwischen denen Finsternis und die namenlosen Schrecken meiner eigenen Furcht lauerten. Mit klopfendem Herzen schwamm ich weiter, verhielt noch einmal, um mich angstvoll umzusehen, und drang schließlich in den helleren Bereich der Höhle vor.
Es war ein Gang. Seine Wände waren so von Schmieralgen und Wasserpflanzen überwuchert, daß ich erst auf den zweiten Blick begriff, mich nicht mehr in einer natürlich entstandenen Höhlung, sondern in einem von Menschen- oder was-auch-immer-Hand erschaffenen Stollen zu befinden. Zwischen den Pflanzen wucherten kleine, unregelmäßige Flecken einer sonderbar körnigen Substanz, von denen das grüne Licht ausging. Neugierig hielt ich inne und berührte einen der Flecken mit der Messerspitze. Dort, wo der geschliffene Stahl seine Oberfläche ritzte, erlosch das Licht, und ein graues Etwas quoll wie wolkiges Blut aus dem Schnitt.
Ich erinnerte mich, gelesen zu haben, daß es eine gewisse Art von Tiefseepflanzen gibt, die ein natürliches Licht erzeugen und so die ewige Nacht am Grunde des Meeres erhellen. Dies mußte eine dieser Pflanzen sein - wenngleich ich nicht verstand, was die hier, in einem See in Schottland, zu suchen hatte. Ich schwamm weiter. Es gab Wichtigeres zu klären als dieses Geheimnis.
Je tiefer ich in den Gang eindrang, desto spärlicher wurde der Pflanzenbewuchs, und bald glitt ich durch einen mannshohen, von flackerndem grünem Licht erhellten Stollen mit roh gemauerten Wänden, übersät mit Schriftzeichen, unverständlichen Hieroglyphen und barbarischen Basreliefs, die seltsam unangenehm anzuschauen waren und Dinge zeigten, die mein Verstand nicht erfassen konnte. Vergeblich versuchte ich, die Zeit abzuschätzen, die ich jetzt unter Wasser war. Ich wußte nur, daß es lange war und daß ich bald umkehren mußte, sollte mein Luftvorrat noch für den Rückweg reichen. Dann fand ich den Saal.
Der Stollen hörte unvermittelt auf, und vor mir erstreckte sich ein gewaltiger, wassergefüllter Saal von fünfeckigem Grundriß, dessen Wände von einem Spinnennetz der grünen Leuchtalgen bedeckt waren. Genau in seiner Mitte und von einer doppelten Reihe barbarischer Dämonenskulpturen bewacht, erhob sich eine Art steinerner Altar, wie der Raum selbst fünfeckig und mit verwirrenden Symbolen und Schrifzeichen bedeckt. Seltsamerweise war er der einzige Fleck in diesem unterseeischen Tempel, der von den Leuchtalgen verschont geblieben war. Er strahlte etwas Düsteres aus. Ich konnte das Gefühl nicht in Worte fassen - aber es war mir unmöglich, ihn länger als wenige Sekunden anzusehen. Irgend etwas in mir weigerte sich, das schwarze Monstrum zur Kenntnis zu nehmen.
Vorsichtig schwamm ich weiter in den Saal hinein, sah mich um und blickte schließlich nach oben. Auch die Decke war von den grünen Algen bedeckt, aber in ihrer Mitte - und sicherlich nicht durch Zufall - war ein fünfeckiger Fleck von doppelter Mannsgröße frei geblieben. Neugierig schwamm ich darauf zu, berührte ihn mit der Messerspitze und fand keinen Widerstand. Die Messerspitze verschwand vor meinen Augen und tauchte wieder auf, als ich die Hand senkte.
Es dauerte einen Moment, bis ich den verwirrenden Effekt begriff. Das Verschwinden meines Messers hatte nichts mit Magie oder Zauberei zu tun, sondern war nichts als eine ganz normale, optische Täuschung. Der fünfeckige Bereich von Finsternis war nichts anderes als ein Schacht, der nicht mit Wasser, sondern mit Luft gefüllt war. Ein Schacht, der in die Höhe führte.
Ich hatte das Gut gefunden.
Vor dem riesigen runden Fenster wogte die Nacht. Die beiden großen Bugscheinwerfer der NAUTILUS waren eingeschaltet und stachen grelle Lichtbahnen aus der Schwärze wie zwei klaffende Risse in einer Wand aus Finsternis, und manchmal tauchten blitzende Punkte im Schein des grellen elektrischen Lichtes auf; Fische, die angelockt durch das Licht herangeschwommen waren und flohen, als der Gigant näherkam. Trotzdem vermochte das Licht die Schwärze nicht vollkommen zu vertreiben; die Helligkeit war vergänglich, nicht mehr als ein schwacher Hauch aus einer fremden Welt, der das immerwährende Dunkel hier unten, eine halbe Meile unter der stürmischen Oberfläche des Meeres, nicht durchdringen konnte. Vom Anbeginn der Zeit an hatte die Nacht hier unten regiert, und sie würde es tun, solange sich dieser Planet drehte und seine Ozeanbecken mit Wasser gefüllt waren. Trotz allem war die NAUTILUS ein Fremdkörper, der nur geduldet war, und trotz ihrer phantastischen technischen Möglichkeiten, trotz der doppelt zollstarken Panzerung ihres Rumpfes und der gewaltigen Maschinen, die wie ein stählernes Herz tief in ihrem Leib schlugen, war sie verwundbar und vergänglich wie alles, was Menschenhand geschaffen hatte. Auf dem Kontrollpult vor Nemo leuchteten zwei kleine gelbe Lampen auf. Nemo schrak aus seinen Gedanken hoch, warf einen raschen Blick auf ein sonderbar geformtes Kontrollinstrument neben sich und legte rasch hintereinander drei Schalter um. Innerlich rief er sich zur Ordnung. Seine Gedanken begannen sonderbare Wege zu gehen, wenn er nicht acht darauf gab; Wege, die ihn erschreckten und die falsch waren. Vielleicht war er von allen lebenden Menschen der, der die Meere und ihre Geheimnisse am besten kannte. Aber er kannte auch ihre Gefahren, und es waren nicht nur der unvorstellbare Druck und die tückischen Strömungen hier unten. Das Schlimmste waren die Schwärze und die Einsamkeit.