Ich wollte etwas sagen, doch ich bekam keinen Ton heraus. Schließlich kommt es nicht alle Tage vor, daß man einem leibhaftigen Fischgott gegenübersteht.
Langsam, Yard für Yard und unendlich vorsichtig, glitt die NAUTILUS durch den Tunnel. Rings um sie herum war Stein, Jahrmillionenalter Fels, der noch nie das Licht der Sonne gesehen hatte und dessen Kanten und Grate gierig darauf lauerten, ihren empfindlichen Leib zu fassen und aufzureißen, und manchmal tauchten nebelige Dinge im Licht der beiden Scheinwerfer auf und verschwanden wieder, ehe sie wirklich sichtbar wurden. Obwohl die Temperaturen im Salon eher niedrig waren, war emo in Schweiß gebadet. Er wußte, daß die bizarre Fahrt bisher nicht länger als eine halbe Stunde dauerte, aber er hatte das Gefühl, seit Wochen am Steuerpult des Schiffes zu sitzen, jeder einzelne Nerv bis zum Zerreißen gespannt, jeder Muskel so verkrampft, daß er schmerzte. Aus brennenden Augen starrte er auf den runden, tellergroßen Bildschirm, auf dem ein Bild des Tunnels zu sehen war, wie man es wohl vom Bug der NAUTILUS aus erblicken konnte. Das Boot verfügte über zwei unabhängige Ruderanlagen, die eine oben im Turm der NAUTILUS, die andere hier unten im Salon.
Nemos Finger huschten wie kleine, von eigenem Leben erfüllte Wesen über die verwirrende Anordnung von Schaltern und Hebeln vor ihm. Unendlich behutsam steuerte er das Schiff, so vorsichtig wie nie zuvor in seinem Leben und von dem quälenden Wissen erfüllt, daß schon ein kleiner Fehler, eine Winzigkeit zuviel Schub, eine einzige Umdrehung der gewaltigen Heckschraube zuviel oder zuwenig, ein Zoll, den eines der Ruder falsch geneigt war, das Ende bedeuten konnte. Das schwarze Wasser rings um die NAUTILUS schien unbewegt, aber seine Instrumente verrieten ihm, daß das Gegenteil der Fall und der unterseeische Tunnel in Wahrheit von einer reißenden Strömung erfüllt war. Ein Fehler, und die entfesselten Wassermassen würden das Schiff gegen den Felsen drücken und zermalmen. Die Fahrt ging weiter. Eine Stunde verging, dann noch eine, und noch immer war kein Ende dieses endlos langen Stollens zu sehen, noch immer war dort, wo das Licht der Scheinwerferstrahlen hinfiel, nichts als rabenschwarze Dunkelheit. Und noch immer waren Nemos Nerven bis zum Zerreißen gespannt.
Er merkte nicht einmal, wie die Tür am hinteren Ende des Salons aufging und eine hünenhafte Gestalt in den Raum huschte und hinter einem Vorhang verschwand.
»Ich bin Dagon.« Ein dünnes, schwer zu deutendes Lächeln spielte um die farblosen Lippen der Kreatur. »Ich wußte, daß du kommst, Robert Craven«, sagte sie. »Ich wußte es im selben Moment, in dem ich deinen Namen hörte. Ich habe auf dich gewartet.«
Ich antwortete nicht. Der Anblick des Fischmannes hatte mich mehr als nur erschüttert.
Dagon lachte, hob die Hand und gab dem Dürren einen Wink. »Entwaffne ihn.«
Der Bursche riß mir das Messer aus der Hand und versetzte mir einen Knuff, der mir die Luft aus den Lungen trieb. Dagon machte eine ärgerliche Handbewegung. »Laß das«, befahl er scharf.
»Wirklich erstaunlich«, murmelte ich. »Ein dunkler Gott, der Rücksichten nimmt.« Langsam gewann ich meine Fassung zurück.
Dagon lächelte. »Es hat mich einen guten Mann gekostet, zu lernen, daß man jemanden wie dich entweder töten oder zum Freund gewinnen muß«, antwortete er. »Das zweite wäre mir lieber.«
»Du mußt verrückt sein«, antwortete ich impulsiv. »Du...«
»Warum hörst du mir nicht erst zu, ehe du urteilst, Robert Craven?« unterbrach mich Dagon. »Möglicherweise interessiert dich mein Vorschlag ja.« Er wandte sich um, winkte mir befehlend mit der Hand, ihm zu folgen, und trat auf die Tür zu, durch die ich selbst den Raum betreten hatte. Plötzlich begriff ich, daß er mir gefolgt sein mußte.
Der Riese mit dem Walnußgehirn begann sich zu regen, als ich mit einem großen Schritt über ihn hinwegstieg. Stöhnend hob er den Kopf, starrte mich aus seinen vom Alkohol verschleierten Augen an und lallte ein paar unverständliche Worte.
Dagon verzog angeekelt das Gesicht. »Ihr Menschen seid ein sonderbares Volk«, sagte er, während er den Riesen angewidert musterte. »Auf der einen Seite vollbringt ihr ganz Erstaunliches, und auf der anderen Seite benehmt ihr euch schlimmer als die Tiere.«
Ich zog es vor, zu schweigen, denn ich konnte ihm schwerlich widersprechen. Dagon schüttelte den Kopf und ging weiter.
Wir betraten den Keller. Er war nicht mehr leer. Ein gutes halbes Dutzend Männer kniete in sonderbar anmutender Haltung vor dem Altar, und schon bevor Dagon die Tür öffnete, hörte ich das dumpfe Auf und Ab ihrer Stimmen, mit dem sie eine Art barbarisches Gebet zu intonieren schienen. Keiner von ihnen sah auf, als Dagon, der Dürre und ich die Treppe hinabgingen, und ich hatte das sichere Gefühl, eine Woge der Furcht durch den Raum rasen zu fühlen. Was immer Dagon für diese Männer war, er war kein gnädiger Gott.
Dagon blieb am Fuße der Treppe stehen und deutete mit einer befehlenden Geste auf den Gerümpelhaufen, in dem ich meinen Lufttank versteckt hatte.
»Nimm dein Atemgerät«, sagte er. »Du wirst es brauchen, dort, wo wir hingehen.«
Ich blickte unsicher zu dem fünfeckigen Schacht hinter dem Altar. Der Gedanke, ein zweites Mal in diesen gräßlichen See hinabtauchen zu sollen, erfüllte mich mit eisigem Schrecken. Aber ich war nicht in der Situation, irgendwelche Wünsche anmelden zu können.
Gehorsam zog ich den Tank hervor, band ihn um und stülpte den Helm über, ließ den Sauerstoffschlauch aber noch, wo er war. Der Tank war allerhöchstens noch zur Hälfte gefüllt; ich mußte sparsam damit umgehen. Dagon beobachtete mich interessiert. Als ich fertig war, streckte er die Hand aus und befühlte vorsichtig das geriffelte Metall meiner Maske. »Erstaunlich«, sagte er. »Ich komme nicht umhin, euch Respekt zu zollen, Robert Craven. Ihr seid ein einfallsreiches Volk.«
Ich hätte ihm gerne bewiesen, wie einfallsreich ich sein konnte, aber der Dürre stand weniger als einen Schritt hinter mir, und wahrscheinlich wartete er nur auf einen Vorwand, mir sein Messer in den Rücken zu stoßen. So beließ ich es bei einem bösen Blick, den Dagon hinter meiner Tauchermaske wahrscheinlich nicht einmal registrierte. »Aber ihr seid auf dem falschen Weg«, fuhr der Fischgott fort. »Glaube mir, Robert Craven. Die Technik ist nichts als eine Krücke. Sie mag erstaunliche Dinge vollbringen, aber letztendlich ist sie eine Sackgasse.« Er seufzte, bedachte mich mit einem mitleidigen Blick und deutete mit einer Kopfbewegung auf den Schacht. »Geh.« Ich rührte mich nicht von der Stelle. »Wohin bringst du mich?« fragte ich.
»An einen Ort, an dem du besser verstehen wirst«, erwiderte Dagon geheimnisvoll. »Du wirst deinen Freund wiedersehen.«
»Bannermann?« entfuhr es mir. »Er ist dort unten? Lebt er?«
»Natürlich«, antwortete Dagon. »Ich sehe, du begreifst noch weniger, als ich bisher annahm. Ich bin nicht dein Feind. Weder der deine noch der deines Volkes.«
Ich schenkte ihm einen weiteren bösen Blick, ging ohne ein weiteres Wort um den Altar herum und sprang in den Schacht. Ich hatte vergessen, wie kalt das Wasser war. Der Schock raubte mir für einen Moment den Atem. Hastig klemmte ich das Mundstück des Oxygenschlauches zwischen die Zähne, öffnete das Ventil und atmete ein paarmal tief durch. Dicht neben mir durchbrach Dagon die Wasseroberfläche, ungleich eleganter und leichter als ich selbst, sank ein Stück tiefer und bedeutete mir mit Gesten, ihm zu folgen. Für einen kurzen Moment spielte ich ernsthaft mit dem Gedanken, ihn anzugreifen, als er sich umwandte und auf den Stollen zuglitt, der mich hierher geführt hatte. Aber nur für einen Moment. Hatte ich schon an Land keine gute Figur gegen Dagon abgegeben, würde er mich hier, in seinem ureigensten Element, wahrscheinlich schneller überwältigen, als ich bis drei gezählt hatte.