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Spears prallte entsetzt zrück, sah sich nach einem Fluchtweg um und hob den Schraubenschlüssel, als die größere der beiden Gestalten einen Schritt in seine Richtung machte und die fürchterlichen Hände ausstreckte. »Weg!« kreischte er. »Keinen Schritt weiter!«

»Mach keen Scheiß nicht, Jungelchen«, sagte die Gestalt. Ihre Worte klangen grauenhaft: verzerrt und hechelnd und wie die boshafte Karikatur einer menschlichen Stimme. Spears fuhr wie unter einem Hieb zusammen, machte einen Schritt zur Seite und blieb abrupt wieder stehen, als die zweite Alptraumgestalt seine Bewegung nachvollzog und nun ebenfalls die Hände hob.

Das bißchen, was von seinem klaren Verstand übriggeblieben war, zerbrach vollends.

»Verschwindet, ihr Teufel!« wimmerte er. »Verschwindet! Geht! Laßt mich!«

»Nu hör schon auf«, sagte die größere der beiden Gestalten. »Keiner will dir was nich tun, ehrlich. Du machs doch alles bloß schlimmer, wennen wilden Max spieln tust.« Damit trat er vor; trotz seines plump anmutenden Äußeren so schnell, daß Spears die Bewegung nicht mehr rechtzeitig registrierte. Die dreifingrige Stahlklaue schloß sich um Spears Handgelenk und hielt es mit unbarmherziger Kraft fest.

Spears schrie auf, warf sich herum - und schleuderte seinen Schraubenschlüssel mit aller Macht an dem Riesen vorbei in Nemos Kommandopult. Das schwere Werkzeug traf die empfindlichen Schalter und Geräte und zertrümmerte sie. Funken stoben auf. Irgend etwas explodierte und löste einen Hagel kleiner scharfkantiger Glas- und Metallsplitter aus, und plötzlich schoß eine Stichflamme aus dem Pult und zerbarst unter der Decke des Salons. Als Spears mit einem hysterischen Kreischen im Griff des Riesen in der Tiefseemontur zusammensank, lief ein tiefer, stöhnender Laut durch den Leib der NAUTILUS. Irgendwo tief in ihren stählernen Eingeweiden erscholl eine dumpfe Explosion wie ein verspätetes Echo auf die erste Detonation in Nemos Pult.

Und langsam, ganz langsam begann sich die NAUTILUS auf die Seite zu legen und gleichzeitig tiefer zu sinken...

Im schwachen Licht des noch jungen Tages betrachtet, wirkte die Stadt düster und unheimlich. Die Häuser waren wie kleine graue Schatten, buckeligen Tieren gleich, die sich ihrer Häßlichkeit bewußt waren und sich schamhaft aneinanderdrängten.

Die Straßen waren leer.

Natürlich wußte ich nicht, ob und wie viele Menschen sich in den Häusern aufhalten mochten, aber auf den Straßen und dem kleinen, halbrunden Marktplatz zeigte sich seit einer halben Stunde - seit ich meinen Beobachtungsposten auf der Kuppe des Hügels bezogen hatte - nicht eine Seele. Und ich glaubte auch nicht, daß sich hinter den blind gewordenen Scheiben der kleinen Häuser noch Menschen aufhielten. Meine Überzeugung war schwer zu begründen und noch viel schwerer zu beweisen, aber es ist mit Städten wie mit Menschen - man spürt, ob man einem Lebenden oder einem Toten gegenübersteht. Firth'en Lachlayn war tot. Ein gemauerter Leichnam, mehr nicht.

Behutsam ließ ich die Zweige des dürren Busches, hinter dem ich Deckung gesucht hatte, zurückgleiten, richtete mich auf Hände und Knie hoch und kroch noch ein Stück, ehe ich es endlich wagte, mich aufzurichten und - wenngleich noch immer geduckt - zu der flachen Senke zu eilen, in der ich Several und ihre Tochter zurückgelassen hatte.

Obwohl ich lange weggeblieben war, schien sich Several nicht eine Deut gerührt zu haben, sondern saß noch immer so da, wie ich sie verlassen hatte: zusammengesunken und nach vorne gebeugt, als trüge sie eine unsichtbare Last auf den Schultern, den Kopf ihrer Tochter im Schoß geborgen und eine rechte Hand auf ihrer Stirn. Das Gesicht des Mädchens war bleich wie das einer Toten. Sie atmete, aber man mußte schon sehr genau hinsehen, um zu erkennen, daß sich ihre Brust hob und senkte.

Several sah auf, als ich neben ihr niederkniete. Sie sagte nichts, aber der Ausdruck in ihren Augen sprach Bände. »Keine Sorge, Several«, sagte ich. »Sie wird wieder gesund. Ganz bestimmt.« Meine Worte klangen in meinen eigenen Ohren wie böser Hohn. Das Mädchen hatte das Bewußtsein nicht wiedererlangt, seit ich sie an Land gebracht hatte. Und ich spürte, wie ihre Lebenskraft von Stunde zu Stunde nachließ. Das Gefühl war ebensowenig zu begründen wie das, welches ich beim Anblick der Stadt gehabt hatte, und ebenso heftig. Es war etwa so, als säße ich neben einem Feuer, das langsam erlosch. Und ich war völlig hilflos. »Wir... müssen weiter«, sagte ich. »Sie haben recht, Several - die Stadt ist ruhig.«

»Sie sind alle am Meer«, murmelte Several. Ihre Stimme klang flach und tonlos, als spräche sie im Traum. Sie sah mich an, aber ihr Blick ging geradewegs durch mich hindurch. Sie hatte kaum drei Sätze gesprochen, seit ich zurückgekommen war. »Sie werden nicht wiederkehren, ehe die Sonne untergeht.«

Ich nickte, stand auf und drehte mich weg. Ich hatte dieser Frau versprochen, ihr zu helfen; aber das einzige, was ich für sie getan hatte, war, ihr ihre sterbende Tochter in die Arme zu legen.

»Wir müssen los«, sagte ich. Meine Stimme klang rauh. Ich versuchte mir einzureden, daß es an den Anstrengungen der vergangenen Nacht lag.

Several erhob sich umständlich und lud sich den reglosen Körper ihrer Tochter auf die Arme. Ich wollte ihr helfen, aber Several trat mit einem zornigen Kopfschütteln zurück und warf mir einen Blick zu, der mich kein zweites Mal versuchen ließ, auch nur in die Nähe ihrer Tochter zu kommen. Ich ging voraus, als wir den Hügel überwanden und die schmale, kaum befestigte Straße zum Ort hinunter erreichten. Der Wind hatte nachgelassen, so daß der Salzwassergeruch vom Meer her nicht mehr ganz so durchdringend war, und die Straße war abschüssig, was das Gehen leichter machte. Trotzdem schien der Weg hinunter nach Firth'en Lachlayn kein Ende zu nehmen. Meine Knie wurden weich, und das Gewicht des Oxygengerätes, das ich noch immer auf dem Rücken trug, drückte mich unbarmherzig nach vorn.

Das Gerät war im Grunde nutzlos; die Sauerstoffpatrone war so leer, wie es nur ging, und ich hatte die letzten fünfzig Fuß zur Oberfläche hinauf mit angehaltenem Atem zurücklegen müssen. Aber irgend etwas hatte mich davon abgehalten, den Apparat einfach liegen zu lassen, was das Logischste gewesen wäre. Es mochte sein, daß ich Nemos Geräte noch dringend nötig hatte. Der Wind legte sich vollends, als die ersten Häuser beiderseits der Straße auftauchten, aber der unheimliche Odem, der unsichtbar über der Stadt lag, schien eher noch an Intensität zu gewinnen. Die Stadt war nicht nur von ihren Bewohnern verlassen. Das Leben selbst war aus ihr geflohen.

Several blieb stehen, als wir den Marktplatz erreichten, und deutete mit einer Kopfbewegung auf ein schmuckes, zweigeschossiges Haus auf der gegenüberliegenden Seite des kopfsteingepflasterten Gevierts. Es war kein besonders prächtiges Haus, aber inmitten der schäbigen Hütten wirkte es trotzdem wie ein Diamant im Kohlekasten. Trotzdem wurde das ungute Gefühl, das von mir Besitz ergriffen hatte, mit jedem Augenblick stärker. Ich spürte die Leere der Stadt rings um uns herum noch immer, und das Gefühl war sogar heftiger geworden.

Und gleichzeitig fühlte ich mich beobachtet, ja, mehr noch - belauert. Die grauen blinden Scheiben rings um mich herum schienen mich anzustarren wie dämonische Augen. Mit einem Male fror ich.

Wir überquerten den Platz und betraten das Haus. Eine kleine, nur halb erleuchtete Diele nahm uns auf.

Several deutete mit einer Kopfbewegung zur Treppe. »Ich bringe Jennifer in ihr Zimmer«, sagte sie. »Warten Sie hier, Robert.«

Ich sah erst sie an, dann das reglose Mädchen in ihren Armen, aber ich versuchte nicht noch einmal, ihr meine Hilfe anzubieten, sondern wartete reglos, bis sie gegangen war, dann überquerte ich die Diele und trat in den daran anschließenden Wohnraum.

Er war groß, und durch ein nur angelehntes Fenster auf der Südseite strömten frische Luft und Licht herein. Die Einrichtung war sehr sparsam, aber mit großer Liebe ausgewählt, und vor der gegenüberliegenden Wand thronte ein gewaltiger offener Kamin, der selbst jetzt, als kein Feuer darin brannte, noch eine spürbare Behaglichkeit verbreitete.