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Aber es gab etwas, was sie nicht gehabt hatten.

Mit einer entschlossenen Bewegung drehte sich Thruman vom Schanzkleid weg, machte Spears oben am Steuerruder mit einer Handbewegung auf sich aufmerksam und deutete dann zuerst auf den Schatten, dann auf die wuchtige, mit wasserdichten Planen abgedeckte Kanone am Bug des Schiffes. Spears schien einen unmerklichen Moment zu zögern, dann nickte er übertrieben pantomimisch, damit Thruman die Bewe gung auch sah, und löste das Sprechrohr neben sich aus der Halterung.

Nicht einmal zwei Minuten später erschienen drei Männer an Deck, eilten zum Bug und begannen, das Geschütz feuerbereit zu machen. Das hochspritzende Wasser durchnäßte sie in wenigen Augenblicken bis auf die Haut, aber sie waren Männer, die wußten, was sie taten, und jeden Handgriff hundertmal geübt hatten.

Die Entfernung zwischen dem fliehenden Schatten - denn anders konnte man sein Verhalten beim besten Willen nicht mehr benennen - und der Arrow war auf weniger als zweihundert Yards zusammengeschmolzen, als die Kanone feuerbereit war. Aber Thruman zögerte noch. Sie waren dem Ding sehr nahe gekommen, und was er sah, verstörte ihn zutiefst. Es war ein Gigant, ein titanisches langgestrecktes Etwas wie ein ins Absurde vergrößerter Delphin, ohne sichtbare Flossen oder andere Fortbewegungsmittel, der sich trotzdem mit fast unglaublicher Schnelligkeit zu bewegen wußte. Wenn es ein Tier war, dachte er, dann mußte es stark genug sein, ein Schiff wie die Arrow schlichtweg zu zermalmen. Wenn er ihm die Chance dazu ließ. Für einen Moment dachte er noch an das halbe Dutzend Schiffe, das mitsamt seinen Besatzungen spurlos verschwunden war, dann hob er den Arm, sah den Mann an der Kanone auffordernd an - und senkte mit einem Ruck die Hand.

Mit einem dumpfen Krachen entlud sich die Waffe. Das Geschoß raste in einer langgestreckten Parabel auf den Schatten zu, brach gischtend durch die Wasseroberfläche und traf ihn dicht hinter der Stelle, an der sein Schädel sitzen mußte; wenn er so etwas wie einen Schädel besaß. Einen Sekundenbruchteil später blitzte es zwanzig Fuß unter dem Meer grell auf, und dann nahm ein wahrer Vulkan von hochspritzendem Schaum und Wasser und wirbelnden silbernen Luftblasen Thruman und den anderen die Sicht.

Es war ein Blattschuß. Ein Treffer wie aus dem Lehrbuch, wie er genauer nicht mehr sein konnte. Ein dumpfer, berstender Ruck ging durch den Rumpf des Schiffes, und irgend etwas Gigantisches, Graues, schien sich hinter dem Vorhang aus kochendem Schaum aufzubäumen. Plötzlich begann das Meer zu zittern. Ein ungeheuerlicher Schatten huschte unter der Arrow hindurch, vollführte eine fast unmögliche Drehung und versank wie ein Stein. Die gewaltige Masse des Ungeheuers reichte, für Sekunden einen Sog zu erzeugen, der selbst die Arrow in Bewegung setzte. Der kleine Schoner legte sich auf die Seite, wurde nach vorne und herab gesogen und begann sich wie ein Kreisel zu drehen, ehe die Kraft der Motoren den Sog des Wassers brach und es stampfend und bockend zum Stillstand brachte. Mühsam rappelte sich Thruman auf. Der plötzliche, mehrfache Ruck hatte nicht nur ihn von den Füßen gerissen, aber keiner seiner Männer schien ernsthaft verletzt zu sein, wie er mit einem raschen Blick feststellte. Einer von ihnen war sogar schon wieder dabei, die Kanone neu zu laden, falls das Monstrum ein zweites Mal auftauchen sollte.

Allmählich beruhigte sich das hektische Schaukeln und Zit tern des Schiffes. Das Meer schäumte noch immer, und aus der Tiefe stiegen unablässig große, glitzernde Luftblasen empor und zerplatzten rings um die Arrow - aber von dem Ungeheuer war keine Spur mehr zu sehen. Die Granate mußte es auf der Stelle getötet und zurück in das eisige dunkle Grab geschleudert haben, aus dem es auferstanden war.

Und gleichzeitig wußte Thruman, daß es nicht so war. Die Kanone war eine gewaltige Waffe; ihre Granaten mochten in ihrer Wirkung fürchterlich genug sein, einen Elefanten zu töten, vielleicht sogar einen von Spears Blauwalen. Aber ein Lebewesen von der fünffachen Größe der Arrow! Wie ein Jäger, der einer noch unsichtbaren Beute auflauert, spürte er einfach, daß das Ungeheuer noch da war, tief unter ihnen, verborgen und versteckt, aber lauernd.

Plötzlich erbebte das Schiff unter seinen Füßen wie unter einem Hammerschlag, er hörte Schreie, ein gewaltiges Rauschen und Klatschen, als breche etwas Riesiges unmittelbar hinter der Arrow durch die Meeresoberfläche, fuhr herum - und erstarrte vor Entsetzen.

Das letzte, was Kapitänleutnant Thruman in seinem Leben sah, war eine haushohe, wie eine Wand aus Glas nach vorn geneigte Bugwelle, hinter der ein gewaltiger, schwarzgrau glänzender Schatten heranraste und die Arrow unter sich zermalmte .

Wir waren hinaufgegangen - nicht in die Bibliothek, denn nach vier Tagen, in denen ich mich darin eingeschlossen und praktisch ununterbrochen gearbeitet hatte, glich sie eher einem Trümmerhaufen als einem bewohnbaren Zimmer -, und Mary hatte uns frischen Kaffee gebracht, dazu ein Tablett mit belegten Broten, über die Bannermann ohne ein weiteres Wort hergefallen war, als wäre er ausgehungert. Und obwohl ich vor Neugierde schier aus den Nähten platzte, hatte ich mich geduldet und die Zeit genutzt, ihn eingehend zu mustern.

Sein Anblick erschütterte mich. Ich hatte Bannermann als zwar ernsten, aber durchaus lebensbejahenden Menschen in Erinnerung, als einen Mann, der vielleicht nicht glücklich war mit dem Platz, den ihm das Schicksal zugewiesen hatte, aber das Beste daraus zu machen verstand.

Jetzt saß ich einem körperlichen und seelischen Wrack gegen über. Mein erster Eindruck, daß er krank sei, war falsch gewesen. Die dunklen Linien in seinem Gesicht waren Spuren, die Sorge und Not hineingegraben hatten, und das Feuer in seinen Augen brannte vor Verbitterung. Seine Hände zitterten unentwegt, und obwohl er vier oder fünf Tassen Kaffee in sich hineinschüttete, blieben seine Lippen trocken und rissig. Ich war nicht sehr überrascht, als er sein Frühstück beendet hatte und mich um einen Whisky bat.

Schweigend stand ich auf, füllte ein Glas und nahm vorsichtshalber die Flasche gleich mit zurück zum Tisch. Bannermann leerte den ersten Drink, schenkte sich das Glas erneut - und bis unter den Rand - voll und trank beinahe gierig. Als er meinen Blick bemerkte, stockte er für einen Moment. Aber nur für einen Moment.

»Wie lange trinken Sie schon?« fragte ich, als er sich den dritten Whisky eingoß.

Bannermann sah mich ernst an, nahm einen gewaltigen Schluck und drehte das Glas in den Fingern. »Seit ein paar Wochen«, sagte er. »Ich habe noch nicht viel Übung darin. Aber ich lerne es schon.« Er sah auf, starrte mich einen Moment lang an und verzog die Lippen zu einem schmerzlichen Lächeln. »Ich habe versucht, mich zu Tode zu trinken. Aber es geht nicht.«

Als er das Glas das nächste Mal ansetzte, griff ich nach seiner Hand und drückte sie herunter. Bannermann grunzte unwillig und versuchte meine Hand abzustreifen, aber ich schüttelte nur den Kopf, beugte mich vor und nahm ihm Glas und Flasche weg.