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Lawrence drehte sich herum und winkte einen Matrosen heran. »Gehen Sie zur Brücke«, sagte er. »Sie sollen auf halbe Fahrt heruntergehen. Und dann bringen Sie mir eine Flüstertüte. Und beeilen Sie sich.«

Der Mann entfernte sich hastig, und Lawrence blickte wieder auf die Nebelwand.

Plötzlich hatte er Angst. Das Gefühl war ganz plötzlich da, von einer Sekunde auf die andere, und so warnungslos wie ein Raubtier, das ihn aus einem Versteck heraus ansprang, aber es war so heftig, daß er sich kaum dagegen wehren konnte. Der Nebel wogte und waberte hin und her, und je näher die King George der brodelnden Wand aus Grau und huschender Bewegung kam, desto stärker wurde die Furcht, die Lawrence verspürte. Es war, als flüstere ihm der Nebel zu, wegzubleiben, auf der Stelle kehrtzumachen und zu verschwinden, so lange er es noch konnte.

Er versuchte, den Gedanken zu verscheuchen, aber es ging nicht. Geh weg! flüsterte die Stimme des Nebels hinter seinen Gedanken. Geh weg, Mensch! Geh! Fliehe diesen Ort, der den deinen nur Unglück bringt!

Lawrence biß sich so heftig auf die Lippen, daß sie zu bluten begannen. Der Schmerz ließ ihn aufstöhnen, aber er vertrieb auch die bizarren Visionen und schuf wenigstens für einen Moment wieder Klarheit hinter seiner Stirn.

Aber die Stimme blieb; leiser zwar, doch noch immer verständlich, und für einen ganz kurzen Augenblick war Lawrence ernsthaft versucht, auf ihre Warnung zu hören und das Kommando zum Abdrehen zu geben.

Dann kam der Matrose zurück und reichte ihm die Flüstertüte, und seine Ankunft riß Lawrence endgültig in die Wirklichkeit zurück.

Gebannt blickte er nach vorne.

Die King George hatte bereits merklich an Tempo verloren, aber ihr stählerner Bug pflügte das Meer noch immer mit der Geschwindigkeit eines Rennpferdes, und die Grenze des unheimlichen Nebels kam rasch näher.

Als das Schiff in ihn hineinglitt, geschah etwas Merkwürdiges. Lawrence war sich nicht sicher, es wirklich zu sehen, aber für einen Moment hatte er den Eindruck, daß der zollstarke Stahl des Rumpfes durchsichtig wie Glas würde, und für einen noch kürzeren Moment verspürte er ein heftiges, unangenehmes Kribbeln, als berührten ihn Tausende unsichtbarer winziger tastender Finger, überall am Körper zugleich. Dann war es vorbei, und im selben Moment sah er das Schiff.

Der Nebel schien wirklich eine Art Schutzwall gewesen zu sein, den kaum hatte die King George seine Grenze passiert, konnte Lawrence das unbekannte Schiff in normaler Schärfe erkennen. Und auch die warnende Stimme hinter seiner Stirn hörte abrupt auf zu flüstern.

Das Schiff war ein Gigant.

Es war mehr als zehnmal so groß wie die King George, hatte drei riesige, scheinbar bis in den Himmel reichende Masten und eine Unzahl Segel, die, gewaltigen Schwimmhäuten gleich, prall gebläht an den Masten zerrten, obgleich sich nicht der leiseste Windzug rührte. Seine Bordwände ragten hoch wie ein Mietshaus aus dem Wasser, und weit über seinem Kopf konnte Lawrence die - jetzt allerdings geschlossenen - Luken einer gleich fünffachen Reihe von Geschützen erkennen, die das Schiff zu einer schwimmenden Festung machen mußten. Nirgends an Bord dieses schwimmenden Riesen war auch nur das mindeste Licht zu sehen, und trotz der prall geblähten Segel und der bis zum Zerreißen gespannten Taue war es noch immer unheimlich still.

Lawrence hob seinen Feldstecher und blickte mit klopfendem Herzen zu dem Riesenschiff auf. Das Gerät funktionierte jetzt wieder einwandfrei; Lawrence sah jede noch so winzige Einzelheit des Schiffes, als läge es auf Armeslänge vor ihm: der höl zerne Rumpf, der ihn auf skurrile Weise an eine chinesische Dschunke erinnerte und dessen Planken so sorgsam bearbeitet waren, daß es fast aussah, als wäre er aus einem einzigen Stück gearbeitet; die gigantischen Masten, die so dick sein mußten, daß drei Männer sie nicht umfassen konnten; die Decksaufbauten, die aus seiner ungünstigen Position heraus betrachtet seltsam geduckt und klein erschienen, und zum Heck hin in einem gewaltigen Turm ausliefen, und schließlich den Namenszug, der in übermannsgroßen goldenen Lettern am Bug prangte:

DAGON

Lawrence setzte sein Glas ab und runzelte die Stirn. Dieser Namenszug berührte etwas in ihm, tief in seiner Seele, und er tat es auf sehr unangenehme Art und Weise. Aber er wußte nicht, was es war.

Langsam glitt die King George näher an den schwimmenden Giganten heran, und das unangenehme Gefühl in Lawrence nahm an Intensität zu. Er versuchte sich einzureden, daß er keinen Grund hatte, Angst zu haben. Die King George war ein Zwerg gegen die Dagon, aber das Schiff war trotz seiner imposanten Erscheinung nicht viel mehr als ein schwimmender Anachronismus, der zwei- oder auch dreihundert Jahre zu spät kam, während die King George das Nonplusultra der englischen Seemacht darstellte. Sie war eine verbesserte - und größere - Ausführung der berühmt-berüchtigten Kanonenboote, auf deren Macht ein Großteil der britischen Seeüberlegenheit beruhte, und sie war gut bewaffnet, es selbst mit diesem Giganten aufzunehmen, wenn es sein mußte. Sicher, gegen die Dagon wirkte sie klein und verloren - aber schließlich war auch ein Piranha nicht sonderlich groß.

Trotzdem wurde das nagende Gefühl von Furcht in Lawrence immer stärker, je weiter sie sich dem Riesenschiff näherten.

Die King George wurde langsamer und drehte längsseits, und schließlich war aus dem Dröhnen der Maschinen ein leises Tuckern geworden, als das Schiff - ein Hecht neben einem Wal - längs der Dagon auf den Wellen schaukelte.

Lawrence hob die Flüstertüte an die Lippen. »Kapitän der Dagonl« rief er. »Hier spricht Kapitän Lawrence von der HMS King George. Sie befinden sich in britischen Hoheitsgewässern. Drehen Sie bei und identifizieren Sie sich.«

Das Instrument verzerrte seine Stimme so sehr, daß er sie selbst kaum wiedererkannte, und es schien Lawrence, als schluckte der Nebel noch einen großen Teil ihres Klanges, bis nur noch düstere, unheimliche Töne übrigblieben, die kaum mehr Ähnlichkeit mit einer menschlichen Stimme hatten. Er schob den Eindruck auf seine Nervosität und wiederholte seine Durchsage drei-, vier-, fünf-, schließlich sechsmal, ohne daß auch nur die geringste Reaktion erfolgte. Die Dagon folgte weiter unbeirrbar ihrem Kurs, und die King George lief neben ihr her wie ein Jagdhund neben einem Elefanten.

Lawrence ließ seine Flüstertüte sinken und hob die rechte Hand. Die Matrosen hinter ihm hatten nur auf dieses Zeichen gewartet. Für gute zwei Minuten schien sich das Deck der King George in einen wimmelnden Ameisenhaufen zu verwandeln, während sich das halbe Dutzend großer Zwillingsgeschütze auf den riesigen Leib der Dagon ausrichtete. Dann kehrte wieder Ruhe ein.

Kapitän Lawrence hob sein Instrument erneut. »Dagonl« rief er, so laut er konnte. »Dies ist die letzte Warnung. Nehmen Sie Fahrt weg, oder ich lasse das Feuer eröffnen.«

Wieder verging fast eine Minute, dann erschien hinter der Reling des Riesenschiffes, etwa auf der Höhe der King George, eine Gestalt.

Sie war zu weit entfernt und zu hoch über Lawrence, als daß er Einzelheiten erkennen konnte, aber er hatte das sichere Gefühl, daß der Mann direkt auf ihn herabsah; nicht etwa auf das Schiff oder die drohend ausgerichteten Kanonen, sondern auf ihn.