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»Ich?«

»Nun ja«, sagte Howard mit einem schrägen Seitenblick in Nemos Richtung. »Er nahm an, daß du das eine oder andere von deinem Vater erfahren hättest. Andererseits konnte er nicht mit dir direkt Kontakt aufnehmen, und so wandte er sich zuerst an mich.« Er sog wieder an seiner Zigarre. Ich hielt instinktiv den Atem an, aber Howard blies seine Qualmwolke diesmal in Nemos Richtung. Nemo hustete und schenkte ihm einen bösen Blick. »Den Rest der Geschichte kennst du. Noch in derselben Nacht fuhren wir hierher, und ich überzeugte mich davon, daß sich Nemo nicht getäuscht hatte. Anschließend sorgte ich dafür, daß du abgeholt wurdest.«

Nun war ich an der Reihe, zu erzählen. Howard hörte schweigend zu, aber sein Gesichtsausdruck wurde immer besorgter, je weiter sich mein Bericht dem Punkt annäherte, an dem wir wieder zusammengetroffen waren.

»Die THUL SADUUN.«

Howard wiederholte das Wort ein paarmal, leise und nur für sich, aber es verlor dadurch nichts von seinem unheimlichen Klang.

»Ja«, fügte ich säuerlich hinzu. »Als ob wir nicht genug mit den GROSSEN ALTEN zu schaffen hätten.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob das ein solch großer Unterschied ist«, murmelte Howard. »Wir sollten...«

In diesem Moment erschien Nemo hinter ihm, und Howard brach mitten im Wort ab und sah den Kapitän der NAUTILUS fragend an.

»Wir sind soweit«, sagte Nemo.

Howard nickte, drehte sich mit einer schwerfällig wirkenden Bewegung herum und starrte zum Fenster.

»Was habt ihr vor?« fragte ich.

»Ich sagte Ihnen doch, daß wir noch ein oder zwei Dinge ausprobieren werden, ehe wir aufgeben«, erwiderte Nemo mit einem flüchtigen Lächeln. »Wir wollen sehen, wie Dagons Kreatur eine anständige Ladung elektrischer Energie schmeckt. Achtung!«

Es ging so schnell, daß ich kaum mitbekam, was geschah. Ein dumpfes, knisterndes Rauschen lag plötzlich in der Luft. Das Licht flackerte, aber dafür sah ich einen unheimlichen, blauen Glanz, der das Meer jenseits des Bullauges aufglühen ließ. Irgend etwas Schwarzes, Formloses huschte an der riesigen Panzerglasscheibe vorbei.

»Es funktioniert!« schrie einer der Männer. »Es stirbt, Kapitän!«

Wir stürzten fast alle gleichzeitig zum Fenster.

»Scheinwerfer an!« befahl Nemo, und plötzlich erwachten im Rumpf des Schiffes ein halbes Dutzend runder weißer Augen zu grelleuchtendem Leben.

Das blendende Licht gewährte uns den Ausblick auf ein Bild, das ebenso furchtbar wie faszinierend war.

Der schwarze Überzug, der die NAUTILUS wie eine furchtbare Haut eingehüllt hatte, war an zahllosen Stellen gerissen. Die Masse war grau und schrumpelig geworden wie abgestorbene Haut, und überall stiegen Wolken einer grauen, widerlichen Flüssigkeit hoch und verteilten sich im Wasser. An zahlreichen Stellen war das Metall des Schiffsrumpfes wieder zum Vorschein gekommen, und gerade, als ich hinaussah, löste sich ein gut zwanzig Fuß großes Stück der furchtbaren Masse und sank zum Meeresboden hinab, wo es zerfiel.

Aber ich sah noch mehr.

Einer der gewaltigen Scheinwerfer war herumgeschwenkt und schnitt eine grelle Lichtbahn in die Schwärze auf dem Meeresgrund. Und an seinem Ende hockte das DING.

Es war der gigantische Schatten, den ich vom Ufer aus beobachtet hatte:

Eine riesige, formlose Masse aus geronnener Schwärze, ohne feste Umrisse, pulsierend wie ein übergroßes dämonisches Herz. Oberschenkelstarke Tentakel und Arme wuchsen gleich zu Dutzenden aus dem finsteren Klumpen, verzweigten sich immer und immer wieder und verwandelten den Meeresgrund in weitem Umkreis um das Monstrum in ein finsteres Spinnennetz, in dem es immer wieder pulsierte und zuckte, als wäre jeder Teil dieser titanischen Scheußlichkeit für sich wiederum von eigenem Leben erfüllt. Der Anblick ließ mich an einen Haufen wimmelnder schwarzer Ameisen denken, oder ein Nest sich windender, schleimiger Würmer. Ein unangenehmer Geschmack begann sich in meinem Mund auszubreiten, und aus meinem Magen kroch Übelkeit empor.

Auf einen Befehl Nemos hin schwenkte der Scheinwerferstrahl herum und folgte dem Netz. Mehr und mehr der schwarzen Scheußlichkeit tauchte im grellweißen Licht des Scheinwerfers auf. Der Meeresboden schien durchdrungen von dem furchtbaren Etwas. Selbst, wo es nicht zu sehen war, zeichneten sich gewundene Linien unter dem feinkörnigen Sand ab, und hier und da wuchsen ganze Nester mattschwarzer peitschender Tentakel wie furchtbarer Tang aus dem Boden. Keiner von uns war überrascht, als wir sahen, daß es sich in gerader Linie auf die NAUTILUS zuzog. Ein Teil davon war grau geworden und abgestorben, aber der allergrößte Teil war unbeschadet. Und das Netz begann sich zu erneuern, so schnell, daß man zusehen konnte. Die Bestie stieß die abgestorbenen Teile einfach ab und ersetzte sie durch neue Stränge und Fäden, die wie blind tastende Würmer auf die NAUTILUS zukrochen. Schließlich konnte der Scheinwerfer nicht weiterschwenken und leuchtete einen Teil des Bodens vielleicht zehn Fuß vor dem Rumpf der NAUTILUS ab. Das schwarze Netz wuchs mit phantastischer Schnelligkeit weiter, verließ den Bereich grellweißer Helligkeit und näherte sich dem Schiff. Ich glaubte das Geräusch zu hören, mit dem es die Panzerplatten der NAUTILUS berührte.

»Verdammt«, murmelte Nemo. »Es... es erneuert sich.«

»Und wenn wir es wiederholen?« schlug ich vor. »Vielleicht gibt es auf, wenn wir ihm jedes Mal eins verpassen, wenn...«

Ich sprach nicht weiter, als ich Nemos Blick begegnete. Wäre es so einfach, dann wäre Nemo wohl schon von selbst auf diese Idee gekommen.

»Unsere Batterien sind halb leer«, sagte er schließlich. »Und so, wie dieses Vieh aussieht, verträgt es wohl auch die zehnfache Ladung« Er seufzte, schüttelte den Kopf und ballte in hilfloser Wut die Hände zu Fäusten. »Wir hätten warten sollen«, murmelte er, »bis die NAUTILUS wieder voll manövrierfähig ist. Vielleicht hätte die Zeit gereicht, ihm zu entkommen.«

»Kaum«, sagte Howard. »Außerdem bleibt uns nicht soviel Zeit.« Er hob die Hand und klopfte Nemo auf die Schulter. »Wir müssen uns mit dem Gedanken abfinden«, sagte er. »Hier kommen wir nicht mehr lebend raus.«

Nemo starrte ihn an, sagte aber nichts. Und ich spürte fast körperlich die Hoffnungslosigkeit, die ihn überkam. Es war mehr, als ich ertragen konnte.

Ohne ein weiteres Wort drehte ich mich herum und stürmte aus dem Salon. Wäre eine Tür dagewesen, hätte ich sie hinter mir zugeworfen.

Das Feuer war lange nicht mehr so gewaltig wie zu Anfang. Die Flammen schlugen noch immer fünfzehn, zwanzig Fuß hoch in die Luft und tauchten den Himmel über der Stadt in blutiges Rot, aber die Männer von Firth'en Lachlayn hatten aufgehört, Reisig und trockenes Holz nachzuwerfen, und der Scheiterhaufen war dabei, sich selbst zu verzehren. Wenn die Sonne aufging, würde nur noch ein kleiner Haufen rauchender Asche an das gewaltige Feuer erinnern, das hier gebrannt hatte.

Aber es würde niemand mehr da sein, der ihn sehen konnte. Der Platz hatte sich geleert. Von den gut zweihundert Personen, die noch vor Stundenfrist in weitem Umkreis um das Feuer gestanden hatten, war nur noch ein Bruchteil da, und auch diese begannen langsam, einer nach dem anderen, zu gehen. Frane preßte sich schutzsuchend in den Schatten eines Hauses, fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen und spähte aus eng zusammengekniffenen Augen zu dem zweistöckigen Gebäude auf der anderen Seite des Platzes hinüber. Er hätte seine rechte Hand für einen Schluck Schnaps gegeben, aber Craven hatte gesagt, daß er auf die Borden aufpassen sollte, und das war wichtiger. Frane verstand nicht ganz, wieso die Worte dieses sonderbaren Mannes mit der weißen Strähne im Haar eine solche Wichtigkeit für ihn hatten - immerhin war Craven ihr Feind, und noch vor wenigen Stunden hätte er ihm mit Freuden die Kehle durchgeschnitten -, aber es war ihm einfach unmöglich, sich dem Befehl zu widersetzen. Es war ihm nicht einmal möglich, wirklich darüber nachzudenken, warum das so war. Jedes Mal, wenn er es auch nur versuchte, schien ein unsichtbarer Besen durch seinen Kopf zu fahren und seine Gedanken gründlich durcheinanderzuwirbeln.