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Der Rumpf der NAUTILUS wölbte sich wie ein Berg aus Stahl über mir. Meine Augen begannen sich langsam an die Dunkelheit zu gewöhnen, und ich nahm meine Umgebung wenigstens in Schemen wieder wahr.

Ich stolperte ein paar Schritte weiter - sorgsam darauf bedacht, nicht mit dem Rumpf der NAUTILUS und seinem tödlichen Überzug in Berührung zu kommen, blieb stehen und sah mich abermals um.

Dagons Kreatur hatte bereits wieder damit begonnen, das Schiff einzuhüllen. Da und dort lugte noch der bläuliche Stahl seiner Panzerung hervor, aber der größte Teü der NAUTILUS war bereits wieder unter dem stumpfen Schwarz des Monstrums verschwunden; das Schiff wirkte pockig, als wäre es krank.

Und dann sah ich etwas, das mich noch mehr erschreckte.

Über dem schwarzen Teppich, der die NAUTILUS einhüllte, begann sich ein engmaschiges Netz zu bilden. Im ersten Moment glaubte ich, es wären Teile der Kreatur, die sich so formierten, um sich später auf das Schiff herabzusenken, aber dann sah ich, daß das nicht stimmte. Als ich die Bedeutung meiner Beobachtung begriff, brach mir der kalte Schweiß aus.

Das Amöbenmonster war nicht halb so stumpfsinnig, wie wir alle angenommen hatten. Es mußte sehr wohl begriffen haben, daß der elektrische Schlag, den die NAUTILUS ihm versetzt hatte, seine Umklammerung - und sei es nur für Minuten - sprengte. Dieses zweite Netz war ein teuflischer Plan, ein Entkommen der NAUTILUS zu verhindern.

Ich sah, daß es an keiner Stelle mit der ersten, völlig geschlossenen Haut verbunden war, die die NAUTILUS hielt. Selbst wenn es Nemos Leuten gelang, das Schiff zu reparieren, und selbst wenn sie den Klammergriff des Monstrums ein zweites Mal mit einer elektrischen Entladung sprengten, würde sich dieses Netz blitzartig auf die NAUTILUS herabsenken und die verbrannten Teile des Gewebes ersetzen...

Ich drehte mich um, ging zehn, fünfzehn Schritte weit von dem reglos daliegenden Schiff weg und stieß mich mit den Beinen ab. Es war schwerer, als ich erwartet hatte, in dem klobigen Anzug zu schwimmen. Sein Gewicht wollte mich immer wieder hinabzerren, und meine Arme und Beine wurden durch die Kautschukumhüllung stark behindert.

Ganz langsam entfernte ich mich von der NAUTILUS und ihrem schrecklichen Wächter.

Meine Augen begannen sich an das herrschende Halbdunkel zu gewöhnen, und je weiter ich mich der versunkenen Stadt näherte, desto zahlreicher wurden die unzerstört gebliebenen Flecken der grünen Leuchtalgen, so daß ich mich schon bald wieder zu orientieren vermochte.

Nicht, daß das besonders viel nutzte. Ich hatte nämlich noch immer keine Ahnung, wohin ich überhaupt wollte. Ich wußte nur, daß ich Dagon finden mußte.

Dann stand ich am Rande des gewaltigen Schachtes, aus dem die NAUTILUS aufgetaucht war, und obwohl die Temperatur im Inneren der Tauchermontur noch immer unangenehm hoch war, schauderte ich.

Ich hatte das Gefühl, direkt in einen Höllenpfuhl zu blicken.

Der Durchmesser des Kraters - denn um nichts anderes handelte es sich - betrug eine gute viertel Meile. Seine Wände fielen lotrecht ab, bis sie sich in unbestimmter Entfernung in Dunkelheit und Nacht verloren. Aber vor ihnen...

Irgend etwas bewegte sich dort unten.

Ich wußte nicht, was, denn es war nur ein Wogen noch dunklerer Schwärze vor einem finsteren Hintergrund, aber ich sah deutlich, daß der Krater von wimmelndem Leben erfüllt war.

Die warnende Stimme in meinem Inneren mißachtend, ließ ich mich über den Kraterrand gleiten und sank in die Tiefe. Es war wie eine Reise in die Nacht. Licht und Wirklichkeit blieben über mir zurück, aber der Kraterboden kam nicht näher, denn der Schacht führte senkrecht in die Erde hinein, und er schien kein Ende zu nehmen. Aber ich näherte mich dem wimmelnden Etwas, und trotz des immer schwächer werdenden Lichtes erkannte ich es jetzt deutlicher.

Es waren Körper. Langgestreckte, klumpige schwarze Dinge, die mit grotesk wirkenden Bewegungen durch das finstere Wasser glitten. Ab und zu versuchte einer von ihnen, nach oben zu schwimmen, aber es gelang ihm nie; auf halber Höhe sank er regelmäßig zurück und fing sich mit plumpen Schwimmbewegungen wieder.

Dann war ich tief genug, sie wirklich zu erkennen.

Es waren die Kaulquappen-Monster, denen ich schon mehrmals begegnet war. Aber sie waren anders als diese, und obwohl ich den Unterschied nicht genau zu erkennen vermochte, schwamm ich weiter auf sie zu, wobei ich mir Mühe gab, nahe an der Wand in Deckung zu bleiben.

Ein überaus nutzbringendes Verhalten bei Lebewesen, die keine Augen haben und sich auf andere Weise orientieren, dachte ich spöttisch.

Eine der Bestien näherte sich mir, und ich verharrte reglos auf der Stelle, bis ich sie genauer sehen konnte. Das Biest war weitaus kleiner als das, welches ich oben im See getötet hatte, selbst kleiner als die, die Spears und mich in den Abwasserkanälen von Aberdeen überfallen hatten.

Und es wirkte irgendwie... unfertig.

Ja, das war der richtige Ausdruck. Sein aufgeblähter Balg war schwarz wie ein Sack und glatt, ohne Augen-, Nasen- oder Ohrenöffnungen, und das furchtbare Maul mit dem Haifischgebiß war noch nicht mehr als ein dünner Schlitz, als hätte jemand mit einem Messer in die widerliche Masse geschnitten. Zwischen seinen lächerlich kurzen Froschbeinen ragte der Rest eines halbverkümmerten Schwanzes hervor.

Es ist ein Jungtier, dachte ich verblüfft. So wie dieses eine wirkten auch die anderen Bestien, die ich sah, mehr oder weniger unfertig. Einige schienen nur aus schwarzen, aufgeblasenen Hautsäcken zu bestehen, andere wiederum sahen wirklich aus wie gewaltige Kaulquappen, rund und augenlos und mit einem hektisch peitschenden Schwanz, und wieder andere ähnelten dem Ungeheuer, das mich am Tage zuvor als Frühstück auserkoren hatte.

Ich hatte die Brutstätte der Ungeheuer gefunden! Der schwarze Krater war nichts anderes als Dagons Kindergarten!

Einen Moment lang starrte ich noch auf die schreckliche wimmelnde Brut unter mir, dann drehte ich mich herum und begann mit plumpen Bewegungen wieder nach oben zu schwimmen.

Wieder näherte ich mich der Stadt - oder dem, was Nemos Angriff davon übriggelassen hatte. Erst, als ich in das Labyrinth aus zerborstenen Mauern und zusammengestürzten Gebäuden eindrang, kam mir die ganze Tragweite der Zerstörung zu Bewußtsein, die die NAUTILUS angerichtet hatte.

Es schien buchstäblich kein Stein mehr auf dem anderen zu stehen. Zwischen den zerborstenen Wänden gähnten gewaltige Krater. Die Häuser und Brücken waren wie Spielzeuge durcheinandergewirbelt worden. Ein einziger, nicht einmal zu Ende geführter Angriff der NAUTILUS hatte ausgereicht, alles zu zerstören, was fünftausend Jahre lang den Angriffen der Natur und der Zeit standgehalten hatte.

Es war sonderbar - es war unzweifelhaft meine Partei, die diese Vernichtung angerichtet hatte -, aber das Bild erfüllte mich mit einer Mischung aus Niedergeschlagenheit und Wut.

Obwohl diese ganze unterseeische Stadt keinem anderen Zweck als der Anbetung einer dämonischen Gottheit gedient hatte, empfand ich es einfach als falsch, sie zerstört zu sehen. Es war nicht richtig, daß Menschen die Macht haben sollten, so etwas zu tun. Vielleicht, dachte ich zornig, war der nächste Schritt der, daß sie Waffen entwickelten, mit denen sie diesen ganzen Planeten in die Luft zu sprengen vermochten.

Ich verscheuchte den absurden Gedanken, sah mich suchend um und gewahrte die Tempelpyramide, in der ich Dagon das letzte Mal gesehen hatte, in einer Entfernung von einer knappen halben Meile - genauer gesagt das, was davon übrig war. Das gewaltige Gebäude war zur Hälfte eingestürzt, und auch in den stehengebliebenen Wänden gähnten riesige, wie hineingefressen wirkende Löcher. Der Boden um die Pyramide war in weitem Umkreis mit Trümmern und pulverisiertem Stein bedeckt. Nemo mußte mehrere seiner furchtbaren Torpedos direkt auf dieses Gebäude abgeschossen haben. Ich schwamm weiter, wobei ich vorsichtshalber die zu dem Anzug gehörende Harpune zur Hand nahm und entsicherte.