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Aber meine Vorsicht war überflüssig. Schon in der Nähe des Schiffes war mir aufgefallen, wie tot und ausgestorben der See wirkte; nur hatte ich es da auf das schwarze Ungeheuer geschoben, das alles in seiner Reichweite befindliche Leben vernichtet haben mochte.

Aber auch hier, fast eine Meile von der NAUTILUS entfernt, rührte sich nicht das kleinste Anzeichen von Leben. Dabei war der See voll von Fischen und anderem Getier gewesen, als ich das erste Mal hier herabgetaucht war. Jetzt schien ich durch ein ausgestorbenes Gewässer zu schwimmen. Hier unten regierten nur die Nacht und das Schweigen.

Meine Handflächen wurden feucht vor Erregung, als ich mich dem Gebäude näherte. Der dreieckige Eingang war zusammengestürzt, so daß es dort kein Durchkommen mehr gab, aber die Löcher in den Wänden waren groß genug, einen Riesenhai hindurchzulassen. Ich wechselte die Harpune von der rechten in die linke Hand, tastete mich mit der rechten an den zerborstenen Felsen entlang und drang zum zweitenmal ins Innere von Dagons Pyramide ein. Auch hier drinnen rührte sich nichts. Die einzige Bewegung war der Schlamm, den ich durch meine eigenen Schwimmbewegungen aufwirbelte. Ich schwamm durch fast vollige Finsternis, und zwei- oder dreimal stieß ich so heftig mit dem Helm gegen ein Hindernis, daß ich ernsthaft befürchtete, den Anzug zu beschädigen.

Dann erreichte ich einen größeren Raum. Die Wände wichen zurück und schufen einen gewaltigen, fünfeckigen Saal, der fast vollkommen von den grünen Leuchtalgen erfüllt war. In seiner Mitte thronte ein finsterer, schwarzer Altar.

Es war ein getreuliches Ebenbild der Kammer, die ich unter McGillycaddys Gut gefunden hatte. Und diesmal beschloß ich, sie näher zu untersuchen. Nach einem letzten, sichernden Blick in die Runde steckte ich meine Harpune ein, schwamm zu einer der Wände hoch und begann die Zeichen und Bilder zu betrachten, die sie bedeckten.

Das meiste davon war mir unverständlich; Worte in einer Sprache, die untergegangen war, lange, ehe das römische Reich entstand, ja, lange vor Troja und Hellas.

Aber dafür verstand ich die Bilder.

Sie waren fünftausend Jahre alt, aber sie erzählten eine Geschichte, die auch jetzt noch nichts von ihrem Schrecken verloren hatte. Dagons Geschichte, vor zweitausend Generationen in den Fels geschlagen und für die Ewigkeit aufbewahrt. Dagon war erschienen, als dieses Land von primitiven Volksstämmen bewohnt gewesen war, Menschen, für die Blitz und Donner mächtige Götter und eine Sonnenfinsternis schreckliches Unheil bedeuteten.

Er war als Gott erschienen, und sie hatten ihn verehrt wie einen Gott. Sie hatten ihm Menschen- und Tieropfer gebracht, Erntegaben und die Schätze, die sie ihrem Land entrissen hatten. Sie hatten ihn als Gott verehrt, und er hatte ihnen - wie es sich für einen richtigen Gott gehörte - das Paradies versprochen. Bis zu diesem Punkt war die Geschichte Dagons ganz genau so, wie ich sie erwartet hatte. Und dann änderte sie sich. Schlagartig.

Es war schwer, die zum Teil verwirrenden Bilder in die richtige Reihenfolge zu bringen und ihre Botschaft zu entziffern, aber es gelang mir, und was ich aus den steinernen Fresken las, ließ mich schaudern.

Dagons Versprechen auf das Paradies und das ewige Glück waren ungleich deutlicher als etwa die der Bibel oder des Korans. Er versprach ihnen ein neues Land, eine Welt, in der sie allein und glücklich zu leben vermochten, ohne Feinde, ohne Furcht, ohne Krankheiten oder feindliche Götter.

Und er sagte ihnen sogar, wie sie dorthin kommen würden. Zwischen den steinernen Fresken, die Menschen, Tiere, bizarre Rituale oder einfach nur unverständliche Dinge zeigten, tauchte immer wieder ein Bild auf. Ein Schiff. Ein Schiff, das ich kannte. Ich hatte es gesehen; zumindest ein naturgetreues Modell davon. Das Modell eines bizarren, dreimastigen Schiffes, groß wie ein schwimmender Berg und mit einem goldenen Namenszug am Bug.

Das Modell der DAGON.

Es war mehr als ein Modell, das begriff ich plötzlich. Mehr als ein Fetisch, den er seinen Jüngern hingeworfen hatte, damit sie ihn anbeteten. Sie bauten dieses Schiff.

Und sie bauten es mit Blut.

Lange Zeit - sicherlich eine Viertelstunde - blieb ich in der Altarkammer und starrte die Bilder an, und das Entsetzen, das sich in meinem Inneren ausbreitete, wurde immer schlimmer. Dagon mußte geherrscht haben wie ein Dämon, blutrünstiger und schlimmer als der Teufel. Auf den Fresken waren Massenopferungen abgebildet, Zeremonien, bei denen nicht Hunderte, sondern gleich Tausende unschuldiger Opfer hingeschlachtet worden waren, dazu andere, schlimmere Dinge, die mein Verstand als wahr anzuerkennen sich weigerte.

Ich fühlte mich wie betäubt, als ich mich schließlich von dem furchtbaren Anblick losriß und aus der Kammer schwamm. Die Bedeutung des fünfeckigen schwarzen Steines in ihrer Mitte war mir jetzt klar. Wie hatte ich jemals auch nur eine Spur von Menschlichkeit an diesem Dämon zu entdecken geglaubt? Wie hatte ich jemals - auch dieses gestand ich mir ein - auch nur einen Hauch von Sympathie für dieses Monster empfinden können? Dagon war schlimmer als der Teufel.

Erst als ich die Pyramide wieder verließ und in die zerstörte Stadt zurückschwamm, wachte ich aus dem Zustand dumpfer Benommenheit auf, in den ich beim Betrachten der Bilder versunken war.

Fast gewaltsam riß ich meine Gedanken in die Wirklichkeit zurück, sah mich um und schwamm auf den noch am wenigsten zerstörten Teil der Stadt zu. Ich war nicht hier, um über Dagons Grausamkeiten nachzusinnen, sondern um ihn aufzuhalten.

Um ihn zu töten.

Eine halbe Stunde später war der Vorrat an atembarer Luft in meinen Tanks nahezu erschöpft, aber ich hatte noch immer keine Spur von Dagon gefunden. Und auch kein anderes Leben. Der See war wie ausgestorben.

Ich fühlte mich ratlos und dazu erschöpft und müde wie schon lange nicht mehr, denn das Gewicht des Anzuges zehrte unbarmherzig an meinen Kräften. Ich hatte den See einmal zur Gänze durchquert und das gegenüberliegende Ende der versunkenen Stadt erreicht, ohne meinem Ziel auch nur ein Stück nähergekommen zu sein. Jetzt stand ich auf den Ruinen eines zusammengesunkenen Kuppelbaues und sah mich um. Als ich das letzte Mal hiergewesen war, hatte es hier von Leben gewimmelt, aber seither war nicht nur die Stadt unter mir zerstört worden, sondern...

Die Bewegung war blitzschnell, nur ein Huschen, das ich am Rande meines Gesichtsfeldes wahrnahm. Ich fuhr herum, starrte angestrengt in die Richtung und griff vorsichtshalber nach meiner Waffe.

Dann sah ich es wieder.

Es war keine Bewegung, sondern beinahe das Gegenteil. Ein Flecken der grünen Leuchtalgen war verblaßt. Und noch während ich hinsah, erlosch ein weiteres, hausgroßes Stück der lebenden Lichtquelle so abrupt, als hätte man eine Kerze ausgeblasen.

Ich zögerte einen Moment, dann nahm ich Schwung und zwang meine protestierenden Muskeln noch einmal, das Zentnergewicht des Anzuges zu tragen. So rasch ich konnte, schwamm ich auf den zerrissenen Flickenteppich aus Grün und Schwarz zu und verlor dabei allmählich an Höhe.

Als ich genau über ihm war, erlosch ein weiteres Stück der grünleuchtenden Algenmasse. Und diesmal sah ich, was es war. Aus dem See, aus der Richtung, in der die NAUTILUS und die Riesenamöben waren, kroch ein mannsdicker schwarzer Strang heran, glitzernd und sich windend wie ein gigantischer Wurm. Sein Ende war zerfasert wie eine ins Absurde vergrößerte Seeanemone. Dutzende, wenn nicht Hunderte von verschiedenen dicken Strängen tasteten in alle Richtungen.

Und wo sie die Leuchtalgen berührten, erlosch deren Licht. Die Pflanzenmasse wurde stumpf und unansehnlich, begann zu zerfließen und ihre Form zu verlieren, bis...

Ja, dachte ich entsetzt - bis sie sich in etwas verwandelt hatte, das der schwarzen Masse glich.

Dann begriff ich, warum dieser See plötzlich auf so unheimliche Weise tot und ausgestorben wirkte.