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Mit einem entschlossenen Ruck stand er auf, legte beide Hände mit gespreizten Fingern auf die aufgeschlagenen Buchseiten und begann Worte zu sprechen. Worte in einer uralten, seit Millennien vergessenen Sprache. Worte, die scheinbar ohne die geringste Wirkung blieben.

Hier, tief unter den natürlich gewachsenen Grundmauern der Drachenburg war dem auch so.

Aber zehntausend Meilen entfernt und auf der anderen Seite der Welt stießen sie die Tore des Chaos auf.

Das, was Bannermann als Passagierkabine bezeichnet hatte, war in Wirklichkeit ein gewaltiger, beinahe schiffsgroßer Saal, dessen Decke sich gute fünfzig Fuß hoch spannte und gewölbt wie die einer Katakombe war. Die knapp zweihundert Männer und Frauen, die im ersten Licht des Morgens an Bord der Dagon gegangen waren, saßen verteilt auf einer Anzahl hölzerner Stühle und Bänke, die sich vergeblich bemühten, dem Raum einen Anstrich von Wohnlichkeit zu verleihen. Er war zu groß dafür, und das nackte Holz seiner Wände ließ mich eher an einen Viehtransporter denken denn an ein Schiff, in dem Menschen in eine neue Welt reisen wollten.

Ich vertrieb den Gedanken, blieb unter der Tür stehen und sah mich aufmerksam um. Von Jennifer und ihrer Mutter war keine Spur zu entdecken, wie ich mit einem leisen Gefühl der Enttäuschung feststellte. Dafür entdeckte ich McGillycaddy und seinen Schlägertrupp.

Es waren nicht einmal sehr viele. Nachdem Frane verschwunden war - ich hatte einen Teil des Morgens damit zugebracht, vergeblich nach ihm Ausschau zu halten -, blieben McGillycaddy ein knappes halbes Dutzend Männer. Es war mir ein Rätsel, wie es diese Handvoll Krimineller jemals geschafft hatte, ein ganzes Dorf zu tyrannisieren. Aber selbst jetzt verbreiteten sie noch Furcht wie einen üblen Geruch. Obwohl der Saal gewaltig war, waren zweihundert Menschen doch mehr als genug, ihn zu füllen; an den meisten Tischen herrschte drückende Enge, und nicht wenige hatten sich in Ermangelung eines Sitzplatzes auf dem Fußboden oder den Tischplatten niedergelassen. Aber McGillycaddy und seine Kumpane saßen allein, inmitten eines unregelmäßigen Kreises leergebliebener Stühle und Bänke. McGillycaddys Gesichtsausdruck nach zu schließen, schien er dieses Gefühl der Macht sichtlich zu genießen.

Rasch näherte ich mich dem Tisch, den er mit seinen Kumpanen besetzt hatte, starrte demonstrativ an ihm vorbei und ging weiter in Richtung auf die zweite, etwas schmalere Tür, die tiefer ins Schiff hineinführte. Ich war nicht sonderlich überrascht, als McGillycaddy sich im letzten Moment herumdrehte und das Bein vorstreckte, so daß ich entweder einen größeren Schritt machen oder darüber fallen mußte, wäre ich weitergegangen. Ich tat keines von beiden, sondern blieb stehen.

»Wo wollen Sie hin, Craven?« fragte er lauernd. »Da hinten ist absolut nichts, was Sie interessieren dürfte.«

Einen Moment lang überlegte ich ernsthaft, ihn schlichtweg zu hypnotisieren, um mir so freie Bahn zu verschaffen. McGillycaddy hatte viel von seinem unheimlichen Flair verloren. In der Nacht am See, während er im Schein des Scheitehaufens gestanden und mit hoch erhobenen Armen seine Beschwörungsformel rezitiert hatte, war er selbst mir unheimlich und mächtig erschienen, viel weniger Mensch als ein Dämon, den die Nacht ausgespien hatte. Jetzt machte er auf mich nur noch den Eindruck eines gemeinen Verbrechers. Und mehr war er wohl auch nicht. Der Gedanke, ihm zu suggerieren, daß er in Wirklichkeit ein Kaninchen war, um ihn dann zur allgemeinen Belustigung mit komischen Sprüngen durch die Messe hüpfen zu lassen, gefiel mir immer besser. Aber dann verwarf ich ihn wieder. Für solcherlei Spielereien war im Moment weiß Gott keine Zeit.

»Geben Sie den Weg frei«, sagte ich steif. »Ich muß zu Dagon.«

»Ach?« sagte McGillycaddy. »Das müssen Sie? Davon hat er mir nichts gesagt.«

Allmählich begann meine Geduld nachzulassen. Behutsam streckte ich einen geistigen Fühler aus und tastete sein Bewußtsein ab. »Es gibt etwas, was er wissen muß«, sagte ich. »Und zwar sofort.«

McGillycaddy schüttelte stur den Kopf. »Glaub' ich nicht«, sagte er und grinste. »Er weiß alles, was auf diesem Schiff vorgeht, Craven. Hauen Sie ab, ehe ich ungemütlich werde.«

Nein, dachte ich zornig. Ein Kaninchen war ein zu hübsches Tier. Einen Moment lang musterte ich McGillycaddy durchdringend, dann fand ich den passenden Vergleich und verstärkte meinen geistigen Druck ein wenig. McGillycaddy zuckte zusammen. Seine Augen wurden rund vor Schreck. Er wollte aufstehen, aber statt dessen fiel er plötzlich nach vorn, preßte das Gesicht gegen die rauhe Tischplatte und begann lautstark zu schnüffeln, wobei er grunzende Laute ausstieß. Seine Kumpane starrten ihn mit wachsender Verwirrung an, während McGillycaddy vergeblich versuchte, mit einem nicht vorhandenen Schweineschwanz zu wedeln.

»Hör mit dem Unsinn auf, Robert Craven!« sagte eine scharfe Stimme.

Gehorsam entließ ich McGillycaddy aus der Vorstellung, ein Schwein zu sein, drehte mich um und stieg über sein noch immer vorgestrecktes Bein hinweg, wobei ich ihm ganz aus Versehen auf die Zehen trat. Die Tür hatte sich geöffnet, und unter der Öffnung war eine hochgewachsene, fischgesichtige Gestalt erschienen.

»Wieso Unsinn?« fragte ich. »Ich wollte ihm nur helfen, auch so auszusehen, wie er sich benimmt.«

Ich war nicht ganz sicher - aber für einen Moment glaubte ich beinahe, ein amüsiertes Lächeln über Dagons fremdartige Zügen huschen zu sehen. Aber er wurde sofort wieder erst. »Komm«, sagte er nur.

Verfolgt von McGillycaddys zyankalitriefenden Blicken verließ ich den Raum und ging hinter Dagon durch einen schier endlosen, niedrigen Gang. Ich versuchte nicht, mir den Weg einzuprägen, denn das war auf der Dagon ziemlich sinnlos. Ich war mir nicht einmal sicher, ob dieses phantastische Gebilde überhaupt ein Schiff war oder nur etwas, dem Dagon aus Gründen, die ich nicht einmal zu erraten mochte, dieses Aussehen gegeben hatte.

Wir gingen eine Treppe hinauf, durchquerten einen mit Kisten und Säcken vollgestopften Raum und betraten eine kleine, überaus prachtvoll eingerichtete Kabine, die im Heck des Schiffes liegen mußte, denn durch drei gewaltige, mit farbigem Bleiglas versehene Fenster an der Rückseite fiel helles Tageslicht herein.

Wir waren nicht allein - auf einem mit seidenen Kissen drapierten Diwan links der Tür saß Jennifer, nicht mehr nackt, wie ich sie unter Wasser gesehen hatte, sondern mit einem goldbestickten Umhang bekleidet und über und über behängt mit den kostbarsten Schmuckstücken. Und beiderseits der Fenster hockten zwei von Dagons Kaulquappenkreaturen wie riesige schwammige Kröten.

Dagon winkte ungeduldig mit der Hand, die Tür zu schließen, ging zu einem Stuhl unter dem Fenster und ließ sich hineinfallen. Mir fiel auf, wie fahrig seine Bewegungen wirkten und wie fiebrig der Glanz seiner Augen war. Entweder war er nervös, dachte ich - oder krank.

»Was willst du?« fragte Dagon. »Ich habe dir gesagt, daß ich dich rufen werde, wenn du gebraucht wirst.«

Einen Moment lang starrte ich ihn verwirrt an. Er mußte doch wissen, weshalb ich gekommen war. In diesem Punkt hatte McGillycaddy durchaus recht - was immer auf diesem Schiff vorging, konnte Dagon nicht verborgen bleiben. Immerhin las er meine Gedanken.

Aber sein Blick sagte mir, daß das nicht stimmte. Er hatte keine Ahnung!

»Es ist... etwas geschehen«, sagte ich stockend. »Oben an Deck.«

»So?« fragte Dagon lauernd. »Was?«

»Ich habe einen Toten gefunden! Einen Mann, der auf diesem Schiff absolut nichts zu suchen hat! Einen von Necrons Drachenkriegern!«