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Niemand widersprach, aber wie in einer einzigen, synchronen Bewegung erhoben sich an die achtzig Männer und begannen dem Ausgang zuzuströmen.

Nicht einer erreichte ihn.

Ich spürte die Gefahr und wirbelte auf meinem improvisierten Podest herum, aber mein warnender Schrei kam zu spät. Hinter McGillycaddy und Hunter erschien eine Gestalt, groß, so schwarz wie die Nacht und warnungslos wie ein Schatten. Ein Schwert blitzte auf.

Der Mann neben McGillycaddy kam nicht einmal mehr dazu, einen Schrei auszustoßen.

Ein dumpf pochender Schmerz und der Geschmack nach Blut war in Jennifers Mund, als sie erwachte. Sie versuchte, die Augen zu öffnen, aber es ging nicht, und als sie sich hochstemmen wollte, bohrte sich ein dünner Schmerz wie eine glühende Nadel in ihren Nacken.

Länger als eine Minute blieb Jennifer reglos liegen, lauschte auf ihren eigenen rasenden Herzschlag und wartete, bis der rasende Schmerz in ihrem Nacken nachgelassen hatte. Dann versuchte sie ein zweites Mal, die Lider zu heben.

Diesmal ging es.

Der Raum hatte sich verändert. Das sanfte grünliche Glühen, das aus dem Zentrum des Pentagramms gekommen war und ihn erhellt hatte, war bis auf einen kaum fingernagelgroßen Fleck aus Licht erloschen, und sie sah wenig mehr als düstere, konturlose Umrisse. Vorsichtig stemmte sie sich hoch und erhob sich in eine halb kniende, halb hockende Position. Ihr Atem ging schwer, und die Stelle an ihrem Hals, an der sie der Schwarzgekleidete berührt hatte, fühlte sich noch immer taub an.

Allmählich begannen sich ihre Augen an das schwache Licht zu gewöhnen; sie erkannte jetzt mehr von ihrer Umgebung. Dicht neben ihr lag der Kadaver einer Krötenkreatur. Jennifer rückte instinktiv ein Stück davon weg, suchte mit der linken Hand an der Wand Halt und stemmte sich in die Höhe. Ihre Knie zitterten und schienen kräftig genug, das Gewicht ihres Körpers zu tragen.

Abermals streifte ihr Blick den fünfzackigen Drudenfuß auf dem Boden, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Warum, Dagon? dachte sie. Warum hast du mich verlassen? Warum hast du alle verraten, die dir vertraut und ihr Leben in deine Hand gegeben haben?

Der münzgroße Fleck hellgrünen Lichtes schien ihr zuzublinzeln wie ein höhnisches Auge. Jennifer ballte in stummem Zorn die Hand zur Faust und beugte sich über das Pentagramm. Er flirrende Lichtpunkt im Zentrum des gezeichneten magischen Symbols war nicht nur Licht.

Es war ein Stein. Ein Stein aus Smaragd oder grünem Glas, der seinerseits wiederum die Form eines fünfzackigen Sternes hatte - selbst seine Proportionen stimmten ganz genau mit denen des Pentagramms überein - und wie in einem unheimlichen inneren Feuer glühte. Eine lautlose Stimme schien Jennifer davor zu warnen, diesen Stein zu berühren oder ihm nur zu nahe zu kommen, aber sie ignorierte sie, beugte sich noch weiter vor und ergriff den Edelstein mit einer entschlossenen Bewegung.

Er war warm. Nicht heiß, wie sie angesichts seines glühenden Herzens fast erwartet hatte, aber auch nicht kalt, wie es Edelsteine im allgemeinen waren, sondern warm wie ein Stück lebenden Fleisches und ebenso weich und anschmiegsam. Seine Berührung war auf schwer zu beschreibende Weise unangenehm. Trotzdem ließ Jennifer den Stein nicht los, sondern richtete sich auf, ließ ihren Fund in einer Tasche ihres bestickten Mantels verschwinden und drehte sich herum, um sich auf die Suche nach den anderen zu machen.

McGillycaddy brachte sich mit einem verzweifelten Hüpfer in Sicherheit, als das Schwert des Drachenkriegers - in der gleichen, kreiselnden Bewegung, mit der es Hunter getötet hatte - herumfuhr und nach seinem Hals züngelte. Er entging der tödlichen Klinge um Haaresbreite, aber ihre Spitze streifte seine Wange und riß sie auf. Er taumelte, fiel zu Boden, preßte die rechte Hand auf das Gesicht und kroch vor dem schwarzgekleideten Angreifer zurück.

Der Drachenkrieger stieß ein Fauchen aus, das beinahe wie das einer zornigen Katze klang, ergriff seine Waffe mit beiden Händen und setzte ihm nach.

Im selben Moment griff ich ihn an.

Ich war zu weit entfernt, um McGillycaddy körperlich zu Hilfe eilen zu können, aber ich schlug mit aller geistigen Macht zu; der gleichen ungebändigten Kraft, mit der ich Augenblicke zuvor die panikerfüllte Menge beruhigt hatte.

Zumindest versuchte ich es.

Die fremde Macht in meinem Geist war verschwunden. Die helfende Hand - wem immer sie gehören mochte - hatte sich zurückgezogen, so sanft und rasch, daß ich es nicht einmal bemerkt hatte, bis jetzt. Als ich es merkte, war es zu spät. Es war ein Gefühl, als hätte ich mit der bloßen Faust auf Stahl geschlagen, nur auf geistiger Ebene. Hinter meiner Stirn schien eine Sonne aus purem Schmerz aufzuflammen. Eine betäubende Woge raste durch meine Glieder, ließ mich taumeln und haltlos vom Tisch herunterstürzen. Ich schlug mit dem Gesicht auf, spürte den neuerlichen Schmerz nicht einmal und versuchte, mich herum und in die Höhe zu stemmen, aber meine Arme gaben unter dem Gewicht meines Körpers nach, und hinter meiner Stirn war ein weißglühender Rechen dabei, mein Gehirn leerzufegen.

Trotzdem zeigte mein Angriff Wirkung, wenn auch längst nicht in der Form, die ich erhofft hatte.

Der Drachenkrieger hielt mitten in der Bewegung inne, mit der er McGillycaddy den Schädel hatte spalten wollen, fuhr herum und machte eine Bewegung mit der Hand, die ich kaum sah. Dafür spürte ich sie um so deutlicher, denn der Schmerz hinter meinen Schläfen flammte zu furchtbarer Agonie auf - und erlosch.

Im selben Moment wußte ich, wem ich gegenüberstand. Ich erkannte ihn eine Sekunde, ehe der Mann sich vollends herumdrehte und mich anstarrte, eine Sekunde, ehe ich dem Blick seiner wasserklaren, großen Augen begegnete, Augen von der Farbe eines freundlichen Sommerhimmels, in denen eine Weisheit zu schlummern schien, die nicht zu dem Jungengesicht paßte, in das sie eingebettet waren.

Shannons Augen.

Eine einzige, endlose Sekunde lang starrten wir uns an. Die Waffe in Shannons Händen, noch immer zum Schlag erhoben, begann zu zittern, und in die Härte in seinem Blick mischte sich eine grenzenlose Verwirrung, Er wirkte hilflos. Für Augenblicke wußte er nicht, was er tun sollte.

Dafür wußte es McGillycaddy um so besser.

Mit einer Bewegung, die ich einem Mann seiner Statur gar nicht zugetraut hätte, sprang er auf die Füße, federte auf Shannon zu und trat nach ihm. Shannons Reaktion war so schnell, wie ich sie von ihm erwartet hatte, und trotzdem nicht rasch genug. Das Schwert in seiner Hand hackte nach McGillycaddys Gesicht, aber im selben Moment versetzte ihm der Schotte einen zweiten gemeinen Tritt. Shannon keuchte, torkelte einen halben Schritt und krümmte sich.

McGillycaddy stieß ihm den Gewehrkolben in den Rücken. Shannon schrie auf und fiel auf die Knie. Das Schwert entglitt seinen Fingern und flog scheppernd davon.

McGillycaddy stieß ein fast hysterisch klingendes Kreischen aus, setzte dem Gestürzten nach und schwang seine Winchester wie eine Keule. Als er zuschlagen wollte, war ich hinter ihm. Meine Handkante krachte auf seinen rechten Oberarm und lähmte ihn. McGillycaddy keuchte, fuhr mit verzerrtem Gesicht herum und stieß mit dem Gewehrlauf nach mir. Ich wich dem Hieb aus, lahmte auch seinen anderen Arm mit einem blitzschnellen Schlag und versetzte ihm eine Backpfeife, die ihn rücklings taumelnd auf sein feistes Hinterteil fallen ließ. McGillycaddy begann vor Wut und Schmerz zu heulen, doch ich beachtete ihn gar nicht mehr, sondern wandte mich wieder Shannon zu.

Aber der junge Magier war nicht mehr da. Die wenigen Sekunden, die ich mit McGillycaddy beschäftigt gewesen war, hatten ihm gereicht, sein Schwert aufzuraffen und zu fliehen. Alles, was ich noch von ihm sah, war ein Schatten, der auf der Treppe verschwand.

Enttäuscht drehte ich mich wieder herum, hob McGillycaddys Gewehr auf und riß den Schlagbolzen heraus. Dann drehte ich die Waffe herum und warf sie ihm so heftig vor die Füße, daß er abermals zurückfiel und vor Schmerzen aufschrie.