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Der Dürre erbleichte noch weiter. »Das... das können Sie nicht tun!« krächzte er.

»Ich kann«, antwortete ich. »Mein Wort darauf. Also?«

Einen Moment lang starrte der Dürre aus weit aufgerissenen Augen in Severals Richtung, dann nickte er abgehackt, schluckte ein Stück aufgeweichten Tabak herunter und blickte zu mir hoch. »Was wollen Sie wissen?«

Nemo war sich nicht sicher, aber das Schwarz vor dem kleinen Bullauge schien tiefer geworden zu sein, und aus dem manchmaligen Gleiten und Huschen körperloser Schatten dort draußen war ein beständiges Wogen geworden, ein Auf und Ab wie von substanzlosen Schemen, als wäre die Finsternis selbst von bösem dräuendem Leben erfüllt. Er war nicht mehr im Salon, denn die Mechaniker hatten angefangen, nicht nur das Pult, sondern auch die Fußbodenplatten abzubauen, um nach beschädigten Leitungen und Kabeln zu suchen, so daß er hierher geflohen war, in den Kartenraum der NAUTILUS. Nicht, daß es hier für ihn irgend etwas zu tun gegeben hätte, was von praktischem Nutzen war. Die Karten und Pläne, die Lageskizzen und Gezeitenbücher, die den niedrigen Kartentisch in scheinbarem Chaos bedeckten, all diese Papiere, in denen Geheimnisse und Dinge verzeichnet waren, von denen die allermeisten Menschen nicht einmal zu träumen wagten, waren nutzlos geworden, seitdem das mechanische Herz der NAUTILUS aufgehört hatte zu schlagen.

Der Gedanke erfüllte ihn mit Zorn. Er hatte ein Leben hinter sich, das bewegter und abenteuerlicher war, als es sich der Großteil der Menschheit auch nur vorzustellen wagte. Er hatte Dinge geschaut und Geheimnisse gelüftet, die älter als die menschliche Rasse waren, und er hatte den Grund der Ozeane betreten, acht Meilen tief unter der Oberfläche des Meeres, und er hatte mit dem großen Kraken gekämpft, der Bestie, die nur alle hundert Jahre einmal an die Meeresoberfläche kam, um ihr Opfer zu fordern und die Legenden der Menschen neu zu beleben. Und all das sollte vorüber sein, nur wegen eines Irren mit einem Schraubenschlüssel?

Wütend fegte er die Karten vom Tisch, drehte sich herum und trat wieder an das kaum handtellergroße Bullauge.

Was er sah, ließ ihn erstarren.

Wo vorher nur wogende Schwärze gewesen war, bewegte sich... etwas.

Es war Nemo unmöglich zu erkennen, was sich dort außerhalb der NAUTILUS bewegte, aber es war groß, unglaublich groß und finster, und es schien eine körperlich spürbare Aura des Bösen auszustrahlen.

Und es kam näher. Langsam, aber mit der unaufhaltsamen Kraft einer Naturgewalt...

Zwei, drei Sekunden lang starrte der Kapitän der NAUTILUS das finstere Ding in der Schwärze an. Dann fuhr er herum und war mit einem Sprung bei der Tür. Seine Hand krachte auf einen großen, feuerroten Schalter hinunter.

Eine halbe Sekunde später gellten die stählernen Räume und Gänge der NAUTILUS wider vom mißtönenden Schrillen der Alarmglocken.

Es war wie eine getreuliche Wiederholung der Szene vom Marktplatz, nur daß der Scheiterhaufen viel kleiner, und es im Höchstfalle zwei Dutzend Menschen waren, die einen barbarischen Tanz rings um die lodernden Flammen aufführten. Aber auch hier hörte ich den dumpfen Singsang, und wieder hatte ich das unangenehme Gefühl, daß mir diese Laute etwas sagten. Nur war ich noch immer nicht in der Lage, ihre Botschaft zu verstehen.

»Die Stallungen liegen auf der Rückseite«, murmelte Frane - der Dürre - neben mir. Ich hatte mich entschlossen, den Burschen mitzunehmen; einerseits, weil er mich fast auf Knien darum angefleht hatte, nicht allein mit Several zurückbleiben zu müssen, andererseits aber auch, um sicher zu gehen, daß er mich nicht doch in eine Falle laufen ließ. Aber ich hatte dafür gesorgt, daß er nicht auf die Idee kommen würde, mich zu hintergehen, wenn die Gelegenheit gerade günstig war; freilich, ohne daß er es selbst ahnte. Manchmal war es wirklich von Vorteil, ein paar Tricks zu kennen, die andere wohl mit Zauberei bezeichnet hätten. Mühsam riß ich mich von dem gleichzeitig erschreckenden wie faszinierenden Bild am Ufer des Sees los, sah Frane einen Moment lang an und blinzelte dann zum Gut hinauf, das in der immer dunkler werdenden Nacht wie ein massiger Schatten über dem See thronte. Bisher hatte ich das Gebäude immer nur im Dunkeln zu Gesicht bekommen. Ich fragte mich, wie es wohl bei Tageslicht aussehen würde. Wahrscheinlich ganz normal. Der wahre Schrecken verbirgt sich meist hinter der Maske des Normalen.

»Gehen wir?« fragte Frane. Er wirkte nervös - was ich gut verstehen konnte. Nach allem, was er mir erzählt hatte, hatte er allen Grund, nervös zu sein. Ich allerdings auch.

Ich nickte auf seine Frage, stand auf und verhielt dann noch einmal mitten in der Bewegung. Irgend etwas hatte sich geändert an der Szene unten am Ufer.

»Warten Sie noch«, sagte ich. Frane nickte nervös und sah wieder zum Gut hinauf. Er schien etwas sagen zu wollen, schwieg dann aber doch. Er konnte mir gar nicht widersprechen, selbst wenn er es gewollt hätte. Aber das wußte er nicht. Und bei seinem Intelligenzquotienten würde es auch noch eine ganze Weile dauern, bis ihm auffiel, daß ihm selbst der größte Blödsinn, den ich von mir gab, einleuchtend erschien.

Und so genau wußte ich selbst nicht, was ich überhaupt dort oben im Gut zu finden hoffte. Frane war sehr redselig geworden, nachdem ich ein wenig nachgeholfen hatte, aber er war nur ein kleiner Handlanger, dem man offenbar nur gesagt hatte, was er unbedingt wissen mußte, und das war nicht viel. McGillycaddy hatte ihm aufgetragen, bis zum Sonnenaufgang auf Several aufzupassen; dann würde er zurückkommen und sie alle zum Strand führen. Was sie dort unten tun sollten, wußte Frane allerdings nicht, und nachdem ich mich eine Weile mit ihm unterhalten hatte, konnte ich McGillycaddy sogar verstehen. Jemandem wie Frane hätte ich allerhöchstens die Uhrzeit anvertraut. Vielleicht.

Aber das Gut war der einzige Ort, an dem ich überhaupt ansetzen konnte. Die einzige Alternative dazu war, noch einmal in diesen verfluchten See hinabzutauchen - und mir fielen auf Anhieb ungefähr zehntausend Dinge ein, die ich lieber getan hätte.

Ich blickte wieder auf den See hinab. Diesmal war ich sicher, daß ich eine Bewegung gesehen hatte. In der Mitte des riesigen, blaßsilbernen Spiegels begann sich das Wasser zu kräuseln, zuerst langsam, dann stärker und stärker, bis die Oberfläche des Sees zu Millionen blitzender Spiegelscherben zerbrochen war. Dann erschien der Schatten. Es war mir unmöglich, ihn zu beschreiben. Es war ein... ein Ding, groß, monströs und mißgestaltet, ein Gigant ohne klar umrissene Form. Wie ein Berg wuchs er aus den schäumenden Wogen empor, bäumte sich zu ungeheurer Größe auf und fiel mit einem urgewaltigen Rauschen wieder zurück. Eine gewaltige, weißgekrönte Woge breitete sich kreisförmig von der Mitte des Sees her aus und brach sich klatschend an den Ufern.

»Gott!« keuchte Frane neben mir. »Was issn das?«

»Halten Sie den Mund«; sagte ich alarmiert. Frane nickte geflissentlich und schwieg. Fast tat er mir leid.

Das Ding war wieder so weit ins Wasser gesunken, daß es nur als monströser Schatten zu erkennen war. Es war riesig, größer als ein Wal, und schien in beständiger fließender Bewegung, als wäre es in Wahrheit nur eine Wolke aus zerfließendem Grau, die sich rein zufällig zu dieser Form zusammengeballt hatte. Dann teilte es sich.

Es sah aus wie das Teilen einer ins Absurde vergrößerten Amöbe. Ein Teil der zerfaserten Schwärze trennte sich von der gigantischen Hauptmasse ab und begann, pulsierend wie ein bizarres schlagendes Riesenherz, auf das Ufer und den Scheiter haufen zuzugleiten.

»Er kommt!« kreischte eine Stimme unter mir. »Unser Herr hält sein Versprechen. Er schickt uns seinen mächtigsten Diener, um uns zu zeigen, wie gewaltig seine Macht ist.«

»McGillycaddy!« keuchte Frane. »Das ist McGillycaddy. Sehen Sie!«