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»Warten wir noch«, sagte er, als der erste den Raum verlassen wollte. »Noch ist Zeit, bis das Schiff vernichtet wird. Lassen wir ihm Zeit, so viele wie möglich in Sicherheit zu bringen.«

»Wozu?« fragte der Krieger, der bereits vorher gesprochen hatte. »Unser Befehl ist, das SIEGEL zu holen.«

»Der Sohn des Hexers wird es mir ausliefern«, widersprach Shannon. »Ich habe sein Wort.«

»Was geht uns das Leben der anderen an!« fauchte der Drachenkrieger. »Sollen sie sterben. Du wirst weich, Shannon. Vielleicht hat Necron nicht gut daran getan, dir den Befehl zu überlassen.« Seine Hand legte sich auf den Gürtel, zwei Fingerbreit neben den Griff des Schwertes, das daraus hervorsah. Shannon verstand die wortlose Warnung.

Er nickte. »Du hast recht, Kahrim«, sagte er. »Gehen wir.«

Diesmal war es wirklich ein Exodus. Die Männer und Frauen, die an Bord der Dagon gegangen waren, hatten nur das Allernotwendigste mitgenommen, das, was sie tragen konnten, im Vertrauen auf ihren Gott und darauf, daß er ihnen in der neuen Welt, die er ihnen versprochen hatte, alles geben würde, was sie brauchten. Ich sah die Angst in den Gesichtern derer, die zwischen Bannermann und Jennifer ins Zentrum des zu neuem Leben erwachten, lodernden Pentagramms traten.

Der Vorgang wirkte selbst auf mich erschreckend: Es ging schnell und nahezu lautlos - ein kurzes Flackern von Licht, eine Woge intensiver Hitze, und das Zentrum des Sternes war wieder leer, der Körper, der hineingetreten war, entmaterialisiert, um irgendwo, zahllose Meilen entfernt und am Ende aller Hoffnungen, wieder aufzutauchen. Bannermann hatte versprochen, sie zurück nach Firth'en Lachlayn zu bringen, dem Ort, aus dem sie fortgegangen waren, und ich wußte, daß er sein Versprechen halten würde.

Aber es würde nicht mehr derselbe Ort sein, an den sie zurückkamen. Es würde ein Ort ohne Hoffnung sein, ein Ort der Enttäuschung und Bitterkeit und Leere. Sie hatten mit jeder Faser ihres Seins an das geglaubt, was ihnen Dagon versprochen hatte. Sie hatten ihm ihr Leben und ihre Zukunft anvertraut. Und alles, was sie erhalten hatten, war eine Lüge gewesen.

»Sie kommen«, sagte Bannermann plötzlich. Er stand, hoch aufgerichtet und so reglos wie eine Statur aus bemaltem Fels, neben dem Tor, in sonderbar verkrampfter, unnatürlicher Haltung, die Stirn mit Schweiß bedeckt und einen fast fiebrigen Glanz in den Augen. Seine Lippen bewegten sich kaum, als er sprach. Ich konnte die Anstrengung, die es für ihn bedeutete, das Tor nur kraft seines bloßen Willens offenzuhalten, beinahe spüren; eine Anstrengung, die selbst die Kräfte dieses unheimlichen Wesens beinahe überstieg. Wenigstens hoffte ich es. Ich bildete mir nicht ein, der geistigen Macht dieses Wesens wirklich gewachsen zu sein. Ich besaß nur wenig Übung darin, meine Gedanken abzuschirmen und das, was mich wirklich bewegte, hinter der Maske des Banalen und Unwichtigen zu verbergen. Jemanden wie Dagon, der trotz allem nur ein Mensch war, der gelernt hatte, sich das Übernatürliche zunutze zu machen, vermochte ich auf diese Weise vielleicht zu täuschen, aber kaum ein Wesen wie das, das in Bannermanns Körper geschlüpft war.

Trotzdem war es meine einzige Chance. Und die einzige Chance der zweihundert Männer und Frauen, die in einer schier endlosen Kette an mir vorüberprozessierten, um in der flammenden Umarmung des Tores zu verschwinden.

Ich nickte McGillycaddy und seinen vier Genossen zu und ging zum Ausgang, blieb aber noch einmal stehen, um zu Bannermann zurückzublicken. Etwas an seiner Gestalt hatte sich verändert. Er wirkte nicht mehr echt; eine Kopie perfekt bis ins Äußerste, aber trotzdem eine Kopie, die nicht wirklich zu überzeugen vermochte. Die Anstrengung, das Tor offenzuhalten, mußte den allergrößten Teil seiner Kräfte beanspruchen. »Ich werde nicht auf Sie warten können, Craven«, sagte er. »Ich weiß nicht einmal, ob meine Kraft reicht, das Tor lange genug aufzuhalten.«

Vermutlich hätte es eine ganze Menge kluger Sachen gegeben, die ich hätte sagen können; und ebenso alberner. So beließ ich es bei einem letzten, nichtssagenden Kopfnicken, drehte mich um und schob mich hinter McGillycaddy durch die Tür. Der Schotte ergriff sein Gewehr fester, als brauche er etwas, woran er sich klammern konnte, und hielt mir eine großkalibrige Pistole hin, die er aus der Rocktasche zog. Ich schüttelte den Kopf.

»Danke«, sagte ich. »Die brauche ich nicht. Geben Sie sie einem Ihrer Männer. Sie paßt besser zu ihnen.«

Wenn McGillycaddy die Spitze verstand, so ignorierte er sie. Stirnrunzelnd steckte er die Pistole wieder ein und fuhr sich mit dem Handrücken über die Lippen. »Fünf gegen sechs«, sagte er. »Das ist Mord.«

»Wieso?« fragte ich, ohne ihn anzusehen. »Wir sind in der Überzahl.«

McGillycaddy schnaubte. »Sie wissen ganz genau, daß diese Männer nichts anderes als seelenlose Killer sind«, stieß er hervor.

»Richtig«, antwortete ich. »Würdige Gegner für sie, nicht wahr?«

McGillycaddy verzichtete auf eine Antwort.

Das Schiff begann sich zu verändern. Shannon hatte den Unterschied bemerkt, als sie auf das Deck hinausgetreten waren. Die Veränderung war noch nicht sichtbar, nicht reaclass="underline" Alle Dinge schienen, wie sie gewesen waren, und gleichzeitig... anders. Die Masten der Dagon kamen ihm vor wie Spinnenbeine, groß und häßlich, das Schiff wie ein gewaltiges pulsierendes Ding, das Heulen des Windes wie ein Chor wutverzerrter gellender Stimmen. Ihre Zeit lief ab. Necron hatte sie gewarnt, und nach allem, was Shannon über den UNAUSSPRECHLICHEN gehört und gelesen hatte, nahm er diese Warnung sehr, sehr ernst. Das Schiff näherte sich dem Sog, und mit ihm näherte er sich dem Zentrum seiner Macht, dem Chaos, das vor dem Beginn der Welt gewesen war und nach ihrem Ende sein würde. Die Vernichtung der Dagon war nur der Anfang. Das Schiff würde zerstört werden, sich in ein unglaublich fremdes, lebensvernichtendes Etwas verwandeln, lange ehe es den wirbelnden Mahlstrom erreichte und darin zerschmettert wurde. Auch sie würden mit ihm untergehen, wenn sie sich dann noch an Bord befanden.

Einer der Männer blieb plötzlich stehen und deutete mit dem Schwert nach vorn. »Er kommt, Shannon«, sagte er. »Er hat das SIEGEL bei sich.«

»Ich weiß«, sagte Shannon.

»Aber er ist nicht allein«, fuhr der Krieger fort. »Es sind andere bei ihm. Bewaffnet. Ich spüre den Willen zum Kampf in ihnen.«

»Und?« fragte Shannon. »Wir werden sie töten. Nur das SIEGEL ist wichtig.« Er deutete mit der Hand zum Achterdeck hinunter und fuhr, mit leicht erhobener Stimme, fort: »Geht. Vernichtet alle, die sich euch in den Weg stellen, aber rührt den Siegelträger nicht an. Sobald das SIEGEL in unserer Hand ist, wird dieses Schiff dem Chaos anheimfallen.«

Er hatte keinerlei Beweis dafür, daß es wirklich so war, und doch spürte er, wie nahe er der Wahrheit mit seinen Worten kam. Schon jetzt war der Geruch zu spüren. Er wußte, daß es einzig die Anwesenheit des SIEGELS auf diesem Schiff war, die den UNAUSSPRECHLICHEN noch davon abhielt, sich mit seiner ganzen Macht auf die Dagon zu stürzen und sie zu zerstören. Der Gedanke, der daraus folgerte, ließ ihn schaudern. Aber er hatte keine Wahl.

»Weiter«, sagte er befehlend. Kahrim hielt seinem Blick noch einen Sekundenbruchteil lang stand, dann drehte er sich um und ging mit raschen Schritten hinter den anderen her. Shannons Hand kroch ein Stück weiter auf das Schwert in seinem Gürtel zu. Niemand bemerkte es.

Es war unheimlich still. Durch die offenstehende Tür am anderen Ende der Halle wetterleuchtete der blaue Widerschein des Gewitters, und ich konnte spüren, wie sich die Dagon unter unseren Füßen wand wie ein waidwundes Tier. Es war noch kälter geworden. Und etwas war geschehen, das ich nicht in Worte zu fassen vermochte, dafür aber um so deutlicher spürte.