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»Was bedeuten sie?« fragte ich. »Welche Macht geben sie Necron, Shannon? Wird er die Welt beherrschen, wenn er ihrer habhaft geworden ist? Ist es das, was du willst? Daß dieses Ungeheuer in Menschengestalt noch mehr Leid und Tod verbreiten kann?«

Shannon lächelte abermals. »Du verstehst nichts, Robert«, sagte er. »Necron ist ein Narr, der untergehen wird, sobald er die Siegel erbrochen hat. Nicht mehr als ein Werkzeug, genau wie du und ich. Es sind die wahren Herren, die hinter den SIEGELN warten.«

»Die GROSSEN ALTEN.«

»Sie haben viele Namen«, antwortete Shannon. »Keiner von ihnen ist richtig und keiner falsch. Aber ich weiß nicht viel über die wahre Bedeutung der SIEGEL. Ich glaube, selbst Necron kennt nur einen kleinen Teil des Geheimnisses, doch auch er weiß schon mehr, als für einen sterblichen Menschen gut wäre.« Er stockte, sah mich einen Herzschlag lang an und lächelte abermals auf diese sonderbar traurige Art. »Ich muß jetzt gehen, Robert. Und auch du solltest gehen, wenn du dieses Schiff noch lebend verlassen willst. Denke daran - wenn das SIEGEL nicht mehr hier ist, gibt es nichts mehr, was die Dagon noch schützt.«

»Warte noch!« sagte ich, als sich Shannon umwenden und fortgehen wollte. Er blieb stehen und sah mich an.

»Ja?«

»Sehen wir uns wieder?« fragte ich.

Shannon schüttelte den Kopf. »Nein. Den Ort, zu dem ich gehe, hat noch kein Mensch lebend verlassen, der nicht unter Necrons Schutz stand. Versuche nicht, mir zu folgen. Es wäre dein Untergang.« Und damit wandte er sich endgültig um und ging, und nach einer Weile drehte auch ich mich herum und machte mich auf den Weg nach unten, wo das Tor auf mich wartete.

Und ein Wesen, das in den Körper Kapitän Bannermanns geschlüpft war und mich vielleicht töten würde.

Der Raum war leer. Das Flammen und Lodern des Pentagramms war auf ein sanftes, kaum noch wahrnehmbares Glühen herabgesunken, und von den zweihundert Männern und Frauen, die noch vor Stundenfrist eine schier endlose Kette davor gebildet hatten, war nicht mehr die geringste Spur zu sehen. Selbst die toten Drachenkrieger und die Kadaver von Dagons Kreaturen waren verschwunden.

Dafür war ES da.

Es war nicht mehr Bannermann, aber es glich auch nicht mehr dem hornköpfigen Dämon, als der er mir einmal gegenübergetreten war und in dessen Gestalt es die beiden Drachenkrieger getötet hatte, sondern offenbarte sich mir als gigantische, krakenköpfige Scheußlichkeit, ein Ding, drei Yards groß und schwammig wie eine gräßliche Ausgeburt eines Fiebertraumes, beinahe formlos, überlriechend wie Aas und mit gelben, böse starrenden Augen ohne sichtbare Pupille oder Iris. Und irgend etwas sagte mir, daß dies seine wahre Gestalt war. »Du Narr«, sagte es. Die Stimme war leise, schneidend wie geschliffener Stahl und erscholl direkt in meinen Gedanken. »Du hast mich betrogen, Robert Craven.«

»Ich mußte es«, antwortete ich. Meine Stimme versagte mir fast den Dienst. Es fiel mir unglaublich schwer, die gigantische Scheußlichkeit anzublicken.

»Du mußtest es? Warum?« Die lautlose Stimme klang zornig. »Ich stehe auf deiner Seite, Robert Craven. Ich kämpfe gegen dieselben, gegen die auch du kämpfst. Ich bin dein Freund!«

»Das bist du nicht«, antwortete ich, so fest ich konnte. »Du hast nie verstanden, was dieses Wort bedeutet. Du bist ein Feind meiner Feinde, aber das macht dich nicht zu meinem Freund. Du kämpfst einen Kampf, der nicht unser Kampf ist, und du kämpfst ihn auf unserer Welt.«

»Du verdammter Narr!« sagte das Ungeheuer. »Du weißt ja nicht, was du getan hast. Du hast Necron das erste der SIEBEN SIEGEL DER MACHT ausgehändigt. Warum?«

»Weil ich Shannon mein Wort gegeben hatte«, antwortete ich. »Hast du es vergessen? Keine Toten mehr. Das Leben der Männer und Frauen an Bord der Dagon gegen das SIEGEL.«

»Dein Wort!« keuchte der Unheimliche. »Du verschenkst das SIEGEL um deines Wortes wegen? Das verstehe ich nicht.«

»Vielleicht kannst du das auch nicht«, antwortete ich. »Möglicherweise ist das der Unterschied zwischen uns und euch.«

Das Wesen antwortete nicht, aber seine zahllosen dünnen Arme begannen erregt zu peitschen. Eine wogende, einzeln nicht zu erkennende Bewegung lief durch seinen aufgedunsenen Leib.

»Ich sollte dich töten«, sagte es.

»Warum tust du es nicht?«

Die gelben Höllenaugen starrten mich an, und ich glaubte fast so etwas wie Erstaunen darin zu lesen. »Weil es keinen Nutzen hätte«, antwortete der Dämon schließlich. »Du kannst gehen.« Einer der dünnen schwarzen Tentakelarme deutete auf das Pentagramm. »Aber zuvor will ich dir noch etwas sagen.« Ich sah den schwarzen Giganten an. Als er weitersprach, klang seine Stimme hohl und drohend, und seine Worte waren nicht einfach nur Worte, sondern eine düstere, unheilvolle Prophezeiung, deren wahre Bedeutung ich erst viel, viel später erkennen sollte.

»Du wirst leben, Robert Craven«, sagte er. »Aber merke dir dies: Du hast mehr getan, als mich zu hintergehen, mehr, als du jetzt bereits ermessen kannst. Du hast das erste der SIEBEN SIEGEL DER MACHT in die Hände des Feindes geschenkt, das Siegel, das es ihm ermöglicht, auch die anderen zu finden und in seinen Besitz zu bringen. Du hast das Schicksal deiner Welt in die Waagschale geworfen, Robert Craven. Bete zu deinen Göttern, daß du stark genug bist, sie zu euren Gunsten zu senken. Denn wenn es nicht gelingt, wird eure Welt untergehen.

Und merke dir noch dies, Robert Craven: Du hast mich betrogen, und wenn ich auch deine Gründe verstehe, so bin ich doch kein Gott, der vergibt.

Wenn wir uns wiedersehen, werden wir Feinde sein.« Dann packte mich einer der schwarzen Schlangenarme, wickelte sich wie ein Lasso um meinen Körper und schleuderte mich ins flammende Herz des Pentagramms hinein.

Es war wie an den Abenden zuvor, und doch wieder anders: Die unheimlichen, tanzenden Lichter weit draußen auf See waren heller, der sonderbare Singsang, der mit dem Wind heranwehte, lauter, der Hauch von Kälte, der sich wie ein Dieb vom Meer herangeschlichen hatte, deutlicher geworden.

Und mit der Nacht kamen die Boote. Sehr sonderbare Boote; Boote, wie sie Eldekerk nie zuvor erblickt hatte. Boote mit seltsamen, knöchernen Gestalten, Wesen mit zu großen Köpfen und zu dürren Gliedern, mit Haut wie aus Stahl oder poliertem Holz und mit Gesichtern, die nicht die von Menschen waren. Es war das zwölfte oder dreizehnte Mal, daß Eldekerk diese seltsamen Boote und ihre noch seltsameren Insassen beobachtete, aber der Anblick hatte nichts von seinem Schrecken verloren.

Und nichts von seiner furchtbaren Faszination.

Jop Eldekerk war ein Mann von gut fünfzig Jahren, den ein Schicksal, gegen das der Lebensweg eines Marco Polo langweilig erschienen wäre (so erzählte er es selbst jedenfalls gerne), bis nach Krakatau verschlagen hatte; auf eine Insel in der Sundastraße, so klein und unbedeutend, daß sie auf den meisten Karten Indonesiens nicht einmal zu finden war.

Aber wenn auch das meiste von dem, was Eldekerk über seine Abenteuer zu erzählen wußte, schlichtweg erfunden war, so hatte er doch genug erlebt, um zu wissen, daß es Dinge gab, in die man seine Nase besser nicht hineinsteckte, wollte man nicht Gefahr laufen, sie zu verlieren - unter Umständen mitsamt des dazugehörigen Kopfes. Und das, was er jetzt seit annähernd zwei Wochen Abend für Abend nach Sonnenuntergang beobachtete, gehörte ganz eindeutig zu diesen Dingen.

Diese sonderbaren Boote, die Lichter, die Geräusche und die seltsamen Knochenmänner machten ihm angst.

Und gleichzeitig faszinierten sie ihn so, daß er jeden Abend sein Fernglas und die Bergstiefel hervornahm und sich wieder auf den Weg hier heraus machte.