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Aber selbst jetzt fühlte ich mich mehr tot als lebendig. Ein einäugiger Matrose hatte mich aus dem Wasser gefischt (alles andere als sanft, aber bei seinem Aussehen war ich ja schon froh, daß er keinen Enterhaken dazu benutzt hatte), während ein Dutzend kaum weniger abenteuerlich aussehender Typen an der Reling gestanden und mich angegafft hatten, als hätten sie noch niemals einen Ertrinkenden gesehen.

Dann hatte man mich in eine winzige Kabine verfrachtet, mir die Kleider vom Leibe gerissen und mich in eine stinkende Decke gewickelt. Anschließend hatte mir jemand, den ich anhand seiner vor Fett triefenden Kleider und seiner schmuddeligen Finger als Smutje einstufte, einen Becher mit einer nicht näher definierbaren Flüssigkeit gebracht, die heiß wie die Hölle war und außer meinen Geschmacksnerven auch die mörderische Kälte abtötete, die sich in meinen Gliedern eingenistet hatte.

Jetzt befand ich mich in der Kapitänskajüte - beziehungsweise dem möblierten Schweinestall, der sich an Bord der Van Helsing so schimpfte -, hockte auf einem dreibeinigen Schemel und vertrieb mir die Wartezeit auf den Kapitän dieses Seelenverkäufers damit, mich ganz meiner Seekrankheit hinzugeben.

Wenn ich an früherer Stelle einmal behauptet habe, daß ich Schiffe und überhaupt alles, was schwimmt, nicht mag, so nehme ich das hiermit zurück.

Ich hasse sie.

Mit jeder Faser meiner Seele.

Das dumpfe Zuschlagen der Tür steigerte den wummernden Schmerz in meinem Hinterkopf noch ein wenig, und dann stiefelte ein Männchen um mich herum, das so ziemlich das perfekte Gegenteil dessen darstellte, was ich mir unter dem Kapitän der Van Helsing vorgestellt hatte. Oder überhaupt irgendeines Schiffes, das größer als fünf Zoll war.

Kapitän De Cruyk - den Namen hatte ich aufgeschnappt - war ungefähr so groß wie ich (in diesem Augenblick jedenfalls, und ich saß vornübergebeugt auf einem niedrigen Stuhl!), aber genauso breit. Sein Gesicht glänzte ölig und erinnerte mich an das eines äußerst mißgelaunten Buddhas, wurde jedoch von einem sorgsam toupierten Haarschopf gekrönt, Seine Nase sah aus, als hätte sie schon einmal Bekanntschaft mit einem Stuhlbein gemacht, denn sie war in der Mitte deutlich eingekerbt, und seine Augen blickten mit einer Mischung aus angeborener Aggressivität und Feigheit auf mich herab, die mich instinktiv vorsichtig werden ließ. Als er an mir vorüberging, streifte mich ein Hauch von Pomade, der mir fast den Atem verschlug.

»Sie sind also Craven«, begann er ohne Umschweife, nachdem er um seinen Schreibtisch herumgetrippelt war und sich in einem Stuhl hatte fallen lassen, der besonders hoch sein mußte, denn er war auf einmal ein gutes Stück größer als ich.

»Das bin ich«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Und Sie müssen Kapitän De Cruyk sein. Ich danke Ihnen, daß Sie mich aus dem Wasser gefischt haben.«

De Cruyk macht eine großspurige Geste. »Nicht der Rede wert, Craven.«

So, wie er es sagte, klang es, als täte er Tag für Tag nichts anderes, als Ertrinkende aus dem Wasser zu fischen. Aber ich beließ es bei einem zustimmenden Nicken und sah ihn nur fragend an. Etwas an De Cruyks Freundlichkeit störte mich. Sie wirkte falsch.

»Wo kommen Sie her, Mister Craven?« fuhr De Cruyk nach einer Weile fort. »Von welchem Schiff?«

Einen Moment lang dachte ich daran, mir irgendeinen Namen aus den Fingern zu saugen, aber dann fiel mir der Rat ein, den mir Howard einmal gegeben hatte: wenn man schon lügen muß, dann immer so dicht an der Wahrheit wie möglich. Die Wahrscheinlichkeit, sich zu verplappern, ist dann kleiner.

»Von der Dagon«, antwortete ich.

De Cruyk runzelte die Stirn. »Sonderbarer Name. Ein englisches Schiff?«

Ich nickte hastig, und De Cruyk fuhr fort, als wäre dies Erklärung genug. »Was ist passiert?« fragte er. »Ist das Schiff gesunken, oder sind Sie über Bord gefallen?«

»Ich... fürchte, letzteres«, gestand ich mit gespielter Zerknirschung. Meine Gedanken überschlugen sich schier. De Cruyks Fragen schrien geradezu nach einer Falle, und seine Freundlichkeit war so falsch wie die Edelsteine in seinen Ringen.

»Wo?« schnappte er.

»Wo?« Ich tat so, als verstünde ich ihn nicht.

»Wo«, bestätigte De Cruyk. »Wo ist es passiert?«

Ich schluckte ein paarmal, um Zeit zu gewinnen. »Nun«, sagte ich schließlich, »ich stand am Heck, auf der rechten Seite. Ich glaube, ihr Seeleute sagt Backbord dazu - oder war es Steuerbord?«

De Cruyks Gesichtsausdruck verdüsterte sich wie eine Lampe, die an ihrem eigenen Ruß erstickt. »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?« fragte er.

»Keineswegs«, versicherte ich hastig. Meine Gedanken rasten. Wie, zum Teufel, sollte ich ihm erklären, wo ich die Dagon verlassen hatte? Irgendwo an der Küste Englands, sicher - aber das Tor konnte mich genausogut zwei wie zweitausend Meilen transportiert haben!

»Ich weiß es wirklich nicht, Kapitän«, versicherte ich mit gespielter Zerknirschung. »Ich verstehe nichts von Seefahrt oder Nautik, müssen Sie wissen. Wir waren lange unterwegs, und ich war die meiste Zeit über in meiner Kabine. Die Seekrankheit, Sie verstehen? Und ich war mehr als zwölf Stunden lang im Wasser. Vielleicht... wenn Sie mir auf der Karte zeigen, wo wir jetzt sind...«

Ich weiß, es klingt unglaublich - aber De Cruyk fiel tatsächlich darauf herein. Eine Sekunde lang starrte er mich durchdringend an, dann riß er eine Schublade seines Schreibtisches auf und förderte eine fleckige Seekarte zutage, die er vor mir auf dem Tisch ausbreitete.

»Genau hier«, sagte er und tippte mit einem fetten Zeigefinger auf eine Stelle dicht an ihrem Rand.

Hätte er mir den selben Finger in diesem Moment ins Auge gestochen, wäre ich kaum überraschter gewesen.

Meine Geographiekenntnisse waren niemals besonders gut, aber die Küstenlinie, die die Karte zeigte, war zu markant, um sie nicht zu erkennen. Außerdem standen die Namen der beiden großen Inseln, die sie zeigten, in verschnörkelten Buchstaben überdeutlich am unteren Rand der Karte.

SUMATRA und JAVA

Ich hatte mich getäuscht. Das Tor hatte mich weder zwei noch zweitausend Meilen transportiert, sondern viel weiter. Ich befand mich mitten in Indonesien.

»Das ist... weiter, als ich dachte«, gestand ich stockend und fügte hastig hinzu: »Ich muß wohl länger krank gewesen sein, als ich geglaubt habe.«

»Wohin wollten Sie, Mister Craven?« fragte De Cruyk lauernd.

»Nach... nach China«, improvisierte ich rasch. »Die Dagon auf dem Weg nach Peking.«

»Peking, so?« wiederholte De Cruyk. Ich nickte.

»Peking hat keinen Hafen«, sagte De Cruyk ruhig.

»Das weiß ich«, antwortete ich. »Ich wollte ja auch nur sagen, daß ich auf dem Wege nach Peking war, und... und...«

Ich sprach nicht weiter, als mich De Cruyks Blick traf. Für jemanden, der ein so gestörtes Verhältnis zu Schiffen hat wie ich, ist es vielleicht nicht sehr ratsam, einen Seemann belügen zu wollen.

»Mister Craven, Sie machen es mir nicht leicht«, sagte De Cruyk kopfschüttelnd. »Wahrhaftig nicht. Für einen Mann, den ich vor einer Stunde aus dem Meer gefischt habe, sind Sie nicht sehr hilfsbereit.« Er seufzte, faltete seine Karte wieder zusammen und zog statt dessen etwas aus seiner Schublade, das ich nach kurzem Hinsehen als die aufgeweichten Reste meines Reisepasses identifizierte. Natürlich - man hatte mir ja meine Kleider weggenommen, und es war nur logisch, daß sich De Cruyk informierte, wen er da aus dem Meer gefischt hatte.

»Das ist Ihr Paß, nehme ich an«, sagte er, während er scheinbar interessiert in dem aufgeweichten Dokument blätterte. »Wenn es drin steht - ja«, gab ich beleidigt zurück. Seltsamerweise lächelte De Cruyk bloß.