»Nun, Mister Craven«, begann er lauernd, »wenn dies hier wirklich Ihr Reisepaß ist und Sie immer noch behaupten, von Bord eines Schiffes gefallen zu sein, das auf dem Wege nach China war«, er lachte leise, »dann lassen Sie mich Ihnen erzählen, wie ich die Sache sehe.«
»Bitte«, sagte ich kalt.
De Cruyk klappte meinen Paß zusammen und legte ihn vor sich auf den Tisch. »Meinen Namen kennen Sie«, begann er. »Aber was Sie vielleicht nicht wissen, ist, daß die Van Helsing kein gewöhnliches Handelsschiff ist.«
»O doch«, sagte ich. »Das... ist mir nicht entgangen.«
De Cruyk verstand die Gehässigkeit sehr wohl, aber aus irgendeinem Grunde zog er es vor, nicht darauf einzugehen, sondern fuhr in unverändertem Ton fort: »Sehen Sie, Mister Robert Craven oder wie immer Sie heißen mögen, die Van Helsing ist im Auftrage der ostindischen Gesellschaft unterwegs, um die Küsten Indonesiens vor solchen Subjekten wie Ihnen zu schützen.«
»Die... die ostindische Gesellschaft?« wiederholte ich ungläubig. »Einen Moment, De Cruyk. Soviel ich weiß, hat Ihre Gesellschaft schon seit...«
»Mehreren Jahren keinen Anspruch mehr auf Indonesien«, unterbrach mich De Cruyk hart. »Das wollten Sie doch sagen, oder?«
Ich nickte.
»Sie haben recht«, fuhr De Cruyk fort. »Und auch wieder nicht. Es ist richtig, daß meine... Auftraggeber nicht mehr offiziell die Schirmherren dieser Insel sind, obgleich es den Eingeborenen hier weiß Gott besser ging, als sie noch unter unserem Schutz standen. Aber das bedeutet nicht, daß Indonesien jetzt zum Freiwild für Piraten, Betrüger und Plünderer geworden ist. Die Sundainseln sind noch immer eine niederländische Kronkolonie.«
»Und?« fragte ich, obgleich mir allmählich klar zu werden begann, worauf De Cruyk hinauswollte.
»Sehen Sie, Craven - die Van Helsing ist kein Kriegsschiff, und ich bin kein Offizier, aber der Unterschied ist nicht so gewaltig, wie Sie vielleicht hoffen. Meine Männer und ich kennen uns in diesen Gewässern viel besser aus als die Soldaten in der Garnison. Wir unterstützen sie dann und wann.«
»Und wobei, wenn ich fragen darf?«
»Nun«, antwortete De Cruyk lauernd, »unter anderem dabei, kriminelle Elemente von den Inseln fernzuhalten. Wie Sie!«
Ich schluckte die wütende Antwort, die mir auf der Zunge lag, herunter, und fragte so ruhig wie möglich: »Was bringt Sie auf diese Idee, Kapitän De Cruyk? Glauben Sie, ich hätte versucht, von England aus nach Indonesien zu schwimmen?«
De Cruyk machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Die Geschichte ist alt, Craven«, sagte er. »Männer wie Sie haben wir schon zu Dutzenden aus dem Meer gefischt. Sie kommen in kleinen Booten und denken, sie könnten uns entkommen, weil wir ihre Nußschalen nicht bemerken. Die Gewässer hier sind tückisch. Sie wären nicht der erste, der ersoffen wäre, ehe er das Land auch nur sieht. Aber seien Sie versichert, Craven, wir wissen, wie wir mit Typen wie Ihnen umzugehen haben.«
»Sie... Sie sind ja verrückt, De Cruyk!« keuchte ich. »Ich bin amerikanischer Staatsbürger und habe es nicht nötig, mich von einem Käsefresser wie Ihnen beleidigen zu lassen!«
De Cruyk erbleichte, schluckte aber auch diese neuerliche Beleidigung ohne ein Wort herunter.
»Amerikanischer Staatsbürger, so?« sagte er.
Ich nickte heftig. »Genau. Und ich verlange, an Land und zur Botschaft meines Landes gebracht zu werden, Kapitän De Cruyk.«
De Cruyk seufzte. »Sie sind nicht nur ein Gauner, Craven«, sagte er, »Sie sind auch noch dumm. Nehmen Sie einen guten Rat von mir an, auch wenn es sehr lange dauern wird, bis Sie in die Verlegenheit geraten, ihn anzuwenden: Wenn Sie sich das nächste Mal einen Paß fälschen lassen, sehen Sie ihn sich genauer an, ehe Sie gutes Geld dafür ausgeben.«
»Einen... einen Paß fälschen?« murmelte ich. »Ich verstehe nicht, was Sie wollen, De Cruyk! Dieser Paß ist so echt, wie es nur geht!«
»Ach?« De Cruyk seufzte, klappte den Paß auf und hielt ihn mir aufgeschlagen unter die Nase. »Echt, wie?« fragte er. »Dann haben Sie die Güte, Craven, und lesen Sie mir das letzte Einreisedatum in das Königreich Britannien vor.« Ich verstand immer weniger, worauf er hinauswollte, aber ich tat ihm den Gefallen. »Der 16. April 1885«, sagte ich.
»Sind Sie sicher?« vergewisserte sich De Cruyk. »Kein Lesefehler? Das Licht hier ist nicht besonders gut.«
»Zum Teufel, ich bin sicher!« schrie ich. »Was soll das eigentlich?«
De Cruyk zeigte sich von meinem plötzlichen Wutausbruch nicht im geringsten beeindruckt. »Der 16. April 1885 also«, wiederholte er. »Nun gut, Craven. Über diesen Punkt haben wir schon einmal Einigkeit erzielt.« Er grinste, klappte den Paß zu und stand auf, um zur gegenüberliegenden Wand zu gehen. »Und nun«, sagte er, »haben Sie die Güte und werfen einen Blick auf meinen Bordkalender. Ich versichere Ihnen, daß er korrekt geführt wird. Vielleicht lesen Sie das Datum vor?«
Ich fuhr um - und erstarrte.
Selbst wenn ich es gewollt hätte, hätte ich De Cruyks Befehl in diesem Moment nicht nachkommen können, denn das, was ich sah, schnürte mir im wahrsten Sinne des Wortes die Kehle zu.
De Cruyks Kalender war genauso wie sein ganzes Schiff - schmutzig und zerrissen und mit zahllosen Flecken übersät.
Aber das Datum darauf war trotz allem noch gut zu erkennen.
Es zeigte den neunten März achtzehnhundertdreiundachtzig!
Irgend etwas an diesem Mann kam Eldekerk seltsam vor. Er wußte nicht, was, aber da war etwas. Etwas... ja, etwas, das ihn warnte. Der Anblick eines Fremden an sich war nichts Besonderes, nicht einmal hier, in der winzigen Hafenstadt an der Westküste Krakataus, denn die Sundastraße gehörte zu den am stärksten frequentierten Seewegen in diesem Teil der Welt, und seit die Gesellschaft ihre gierigen (aber auch schützenden) Krallen von Indonesien gezogen hatte, verschlug es die abenteuerlichsten Typen hierher. Männer, die auf das schnelle Glück hofften und in den meisten Fällen nur einen schnellen Tod fanden. Eldekerk hatte weiß Gott schon abenteuerliche Erscheinungen gesehen, seit er vor vier Jahren sein Domizil hier aufgeschlagen hatte. Und trotzdem...
Vielleicht war es gerade die Unauffälligkeit seiner Erscheinung, die Eldekerk so unangenehm aufstieß. Der Mann war durchschnittlich groß, von normalem Wuchs und Gehabe, vielleicht ein bißchen zu selbstbewußt, und hatte eines jener Gesichter, von denen man glaubt, sich jederzeit daran erinnern zu können, die aber wie durch Geisterhand sofort aus der Erinnerung verschwinden, sobald sie sich abwenden. Das einzig Auffällige an ihm war vielleicht noch seine Kleidung.
Jeder Fetzen, den er am Leibe trug, war schwarz. Eldekerk war sogar sicher, daß er schwarze Unterwäsche trug. Und er interessierte sich für ihn, Eldekerk.
Es war unschwer zu übersehen. Der Mann war bereits dagewesen, als Eldekerk die heruntergekommene Hafenkneipe betreten und ein Bier bestellt hatte, eine finstere, schweigende Gestalt, die an einem kleinen Tisch in einer schattigen Ecke hockte, ein Glas mit Fruchtsaft in der Hand hielt - ohne auch nur ein einziges Mal daran zu trinken - und ihn anstarrte.
Zuerst hatte sich Eldekerk einzureden versucht, daß er es sich nur einbildete. Er kannte den Mann nicht, und er war niemand, für den sich ein Fremder interessieren würde. Aber er hatte seinen Blicke gespürt, die ganze Zeit über, während er an der Theke saß und Bier trank und dem Kauderwelsch des Wirtes zuhörte, der irgendwann vor zehn Jahren einmal seine Muttersprache vergessen haben mußte und manchmal in einem Satz drei verschiedene Dialekte benutzte, so daß Eldekerk niemals genau zu sagen wußte, mit wem oder worüber er überhaupt redete. Er hatte den Blick der dunklen, durchdringenden Augen gespürt wie die Berührung einer unsichtbaren Hand, eisig und unangenehm, und ein paarmal hatte er aufgesehen und zu dem Fremden hinübergeblickt.