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Der Mann hatte seinem Blick standgehalten, und das war etwas, was Eldekerk noch mehr verstört hatte. Eldekerk hatte es zur Perfektion entwickelt, andere anzublicken und damit zu verunsichern; ein Trick, den ihm einmal ein malayischer Pirat gezeigt hatte und der so gut wie immer funktionierte - er sah seinem Gegenüber nicht in die Augen, sondern starrte gebannt auf einen Punkt über dessen Nasenwurzel, so daß er seinen Blick nicht ertragen mußte, der andere aber den Eldekerks. Es gab wenige Menschen, die es ertrugen, minutenlang ausdruckslos angestarrt zu werden.

Der Fremde gehörte dazu.

Schließlich - es war beinahe Abend, und die allmählich länger werdenden Schatten sagten ihm, daß es Zeit wurde, nach Hause zu gehen und seine Ausrüstung zusammenzupacken - signalisierte er dem Wirt, ein letztes Bier zu bringen und die Rechnung zu machen. Als er in die Tasche griff, um sein abgewetztes Portemonnaie hervorzuziehen, trat eine schlanke Gestalt neben ihn, drückte seine Hand mit sanfter Gewalt nach unten und legte einen 10-Gulden-Schein auf die Theke.

»Sie gestatten, daß ich Ihre Rechnung übernehme, Mijnheer Eldekerk?«

Eldekerk blinzelte verwirrt. Es war der Fremde in der schwarzen Kleidung. Er lächelte jetzt, aber es war ein Lächeln, das so vollkommen kalt und falsch war, daß es Eldekerk noch viel weniger gefiel als sein unverschämtes Starren zuvor. Aber irgend etwas hinderte ihn daran, dem Kerl die Antwort zu geben, die er verdiente. Nach einer Weile nickte er.

»Danke«, murmelte er verstört. »Aber...« Der Fremde machte eine rasche, irgendwie befehlende Geste mit der Hand, und Eldekerk verstummte mitten im Satz. »Nicht hier«, sagte er leise. »Ich muß mit Ihnen reden, Mijnheer. Können wir zu Ihnen nach Hause gehen?«

Abermals war es Eldekerk unmöglich, sich dem zwingenden Ausdruck der hellen, wasserklaren Augen seines Gegenübers zu widersetzen, und abermals nickte er, obgleich er in Wahrheit alles andere lieber getan hätte, als diesen unheimlichen Fremden auch noch mit sich nach Hause zu nehmen.

»Dann kommen Sie«, sagte der Schwarzgekleidete. »Sie haben ja nicht mehr viel Zeit, oder?«

Eigentlich hatte es Eldekerk nicht für möglich gehalten - aber seine Verwirrung steigerte sich noch. Dieser Mann schien Dinge zu wissen, die er einfach nicht wissen konnte.

Sie verließen das Wirtshaus, und der Fremde schlug ganz selbstverständlich die Richtung ein, in der Eldekerks Haus lag. Siegingen schnell, der Schwarzgekleidete zwei Schritte voraus, Eldekerk stumm und wie unter Hypnose hinter ihm her, bis ins Innerste verstört, aber unfähig, auch nur mit einer Silbe zu protestieren.

Erst als sie die schäbige Hütte nahe des Ortsrandes betreten und Eldekerk die Tür hinter sich geschlossen hatte, fiel die sonderbare Lähmung wenigstens zum Teil von ihm ab. »Wer, zum Teufel, sind Sie?« fragte er »Woher kennen Sie mich, und was wollen Sie eigentlich von mir?«

Der Fremde lächelte, lehnte sich gegen die Tür und verschränkte die Arme vor der Brust. Bei jedem anderen hätte die Geste nichtssagend oder allenfalls großspurig gewirkt. Bei ihm wirkte sie drohend. Eldekerk verspürte einen kurzen, heftigen Anflug von Furcht.

»Woher ich Sie kenne und wer ich bin, spielt keine Rolle, Mijnheer Eldekerk«, sagte der Fremde. »Mein Name ist Shannon, das mag fürs erste genügen. Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen.«

»Was für einen Vorschlag?« schnappte Eldekerk. »Ich bin nicht interessiert.«

»Sie haben ihn ja noch gar nicht gehört«, sagte Shannon lächelnd.

»Das brauche ich auch nicht«, antwortete Eldekerk, weit heftiger, als angemessen erschienen wäre. Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, als hätte irgend etwas, das nun nicht mehr da war, bisher seinen Willen gelähmt, flammten Zorn und Furcht vor diesem unheimlichen Fremden in ihm auf. Er wollte nicht zuhören, was er zu sagen hatte. Er wollte überhaupt nichts hören.

»Gehen Sie«, sagte er. »Verschwinden Sie! Ich will nichts hören. Ich will nur, daß Sie gehen. Hauen Sie ab, oder...«

»Oder?« fragte Shannon lächelnd.

Eldekerk schluckte krampfhaft, starrte den schlanken jungen Mann an - und zog sein Klappmesser aus der Tasche. »Raus hier«, sagte er.

Er bekam nicht einmal richtig mit, was geschah. Shannon tat irgend etwas, und der nächste klare Eindruck, den Eldekerk hatte, war der, auf dem Rücken zu liegen und nach Luft zu schnappen, während Shannon das Klappmesser in der Hand hielt und noch immer so freundlich lächelte wie zuvor.

Und noch kälter.

»Sind Sie jetzt bereit, mir zuzuhören?« fragte Shannon ruhig. Eldekerk antwortete nicht. Aber das schien der Fremde auch nicht erwartet zu haben.

Die Arrestzelle des Garnisonshauptquartiers unterschied sich kaum von der an Bord der Van Helsing - auch sie war klein, fensterlos und so niedrig, daß ich nicht einmal aufstehen konnte, ohne mir den Schädel an der Decke einzurennen, und an den Wänden klebte anstelle von Verputz der eingetrocknete Dreck von zehn Jahren. Mindestens. Der einzige wohltuende Unterschied war, daß der Boden nicht ununterbrochen schwankte.

De Cruyk hatte nicht länger mit mir diskutiert, sondern mich kurzerhand in die Bilge seines famosen Schiffes sperren lassen, wo ich geblieben war, bis die Van Helsing den Hafen anlief. Wie lange das gedauert hatte, wußte ich nicht - ich war irgendwann eingeschlafen und erst wieder erwacht, als mich grobe Hände zuerst auf die Füße und dann von Bord des Schiffes zerrten.

Mein Körper hatte eine Menge Schlaf nachzuholen, und er nahm sich das Versäumte. Ich vermutete, daß ich einen ganzen Tag verschlafen hatte, denn der Abend dämmerte bereits wieder, als ich von Bord der Van Helsing und hierher in die sogenannte Garnison gebracht wurde.

Meine Hoffnungen, damit aus meiner mißlichen Lage befreit zu sein, wurden jedoch grausam enttäuscht. De Cruyk hatte jnich in die Obhut eines vierschrötigen Marineoffiziers überstellt, der meine energisch vorgebrachte Forderung, dem amerikanischen Konsul vorgeführt zu werden, mit einem Lachkrampf quittiert hatte. Seitdem befand ich mich hier in der Arrestzelle, und wenn kein Wunder geschah, würde ich es wohl noch sehr lange Zeit bleiben.

Nun, was das Wunder anging - ich war durchaus in der Lage, eines zu bewirken; oder zumindest etwas, das einem normalen Menschen so vorgekommen wäre. Hätte ich es wirklich gewollt, hätte mir De Cruyk mit Freuden sein Schiff geschenkt und wäre als Pfadfinder bis China vorausgeschwommen. Aber ich wollte nicht.

Ich hatte gute Gründe, so zu handeln. Die Zeit, die ich schwimmend im Meer und anschließend hier in der Arrestzelle verbracht hatte, war lang genug gewesen, um über alles nachzudenken. Ich wußte weniger denn je, worum es sich bei dem geheimnisvollen Wesen handelte, das mir auf der Dagon beigestanden hatte; es gab Dutzende, wenn nicht Hunderte von mehr oder weniger einleuchtenden Erklärungen, und ich hatte sie alle der Reihe nach erwogen und wieder verworfen.

Das einzige, was mir klar geworden war: es konnte sich nicht gerade um einen Freund Necrons und der GROSSEN ALTEN handeln - was nicht automatisch bedeutete, daß es auch mein oder der Freund der Menschheit war. Und noch etwas war mir bewußt geworden, im selben Moment, als ich den Kalender in De Cruyks bewohnbarer Mülltonne gesehen hatte: es konnte kein Zufall sein, daß mich mein geheimnisvoller Retter mitten im Meer, auf der anderen Seite der Welt und noch dazu mehr als zwei Jahre in der Vergangenheit abgesetzt hatte, nicht einmal böser Wille. Wäre es ihm darum gegangen, mich für den vermeintlichen Verrat zu bestrafen, hätte er andere - und sicherlich wirkungsvollere - Methoden gefunden. Nein, hinter dieser scheinbaren Willkür steckte Absicht. Ich wußte bloß noch nicht, welche. Aber ich würde es herausfinden.