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Genau betrachtet, hatte ich keine große Alternative dazu. Selbst wenn ich im Besitz gültiger Papiere und ausreichender Barmittel gewesen wäre, die zigtausend Meilen bis London zu überwinden - es gab noch eine zweite Entfernung, eine Distanz, über die mir alle Freibriefe der Welt und alles Geld nicht hinweggeholfen hätten.

Die Kleinigkeit von zwei Jahren, die ich mich in der Vergangenheit befand...

Unruhig rutschte ich auf dem feuchten Steinboden der Zelle hin und her, versuchte meine Gedanken auf ein weniger unangenehmes Thema zu lenken und gleichzeitig eine etwas weniger unbequeme Stellung zu finden. Das eine mißlang so kläglich wie das andere. Schließlich, nach einer kleinen Ewigkeit, wie es mir schien, hörte ich draußen auf dem Gang die schweren Schritte von Militärstiefeln, und kurz darauf wurde der Riegel auf der anderen Seite der Tür zurückgeschoben. Ein schmaler Lichtstreifen fiel in die Zelle.

Ich versuchte aufzustehen, knallte prompt mit dem Kopf gegen die Decke und hörte ein kurzes schadenfrohes Lachen, dann ergriffen mich grobe Hände und zerrten mich unsanft auf den Gang hinaus. Ein Stoß in den Rücken ließ mich vorwärts taumeln.

Meine Begleitung bestand aus drei Männern - dem Offizier, der mich bereits hierher gebracht hatte, und zwei Soldaten in der dunkelblauen Uniform der niederländischen Marine.

Schweigend eskortierten sie mich durch das Gebäude, über einen kleinen, an allen Seiten von Mauern umschlossenen Hof und einen weiteren, fensterlosen Gang entlang, bis mein Führer schließlich vor einer schmucklosen Tür stehenblieb und anklopfte. Er wartete allerdings keine Antwort ab, sondern öffnete die Tür nach sekundenlangem Zögern und bedeutete mir mit stummem Handzeichen, einzutreten.

Der Raum, der uns aufnahm, stellte eine wohltuende Abwechslung in dem Schmutz und Verfall dar, den ich bisher vorgefunden hatte. Nicht daß er in irgendeiner Form ordentlich oder gar sauber gewesen wäre - aber das Chaos hielt sich in Grenzen. Mit einigem gutem Willen konnte man ihn sogar als wohnlich bezeichnen. Er schien eine Mischung aus Offizial, Salon und Bibliothek zu sein, und die Einrichtung war so bunt zusammengewürfelt, daß ich erneut an ein Piratennest denken mußte.

Der Offizier deutete mit einer Kopfbewegung auf einen schlanken Mann, der wie er die hier obligatorische dunkelblaue Uniform trug - nur daß seine derartig mit Orden und Litzen übersät war, daß er damit glatt einen Klempnerladen hätte eröffnen können. Er hockte in lässiger Haltung hinter einem Schreibtisch, auf dem außer einem siebenarmigen Kerzenleuchter nur noch eine Flasche mit Rotwein und drei Gläser standen. Gehorsam näherte ich mich dem Tisch und blieb in zwei Schritten Abstand stehen. Ich hörte, wie die beiden Soldaten hinter mir den Raum verließen und die Tür schlössen. Der Offizier blieb zurück, trat auf einen stummen Wink des Mannes hinter dem Schreibtisch neben mich und zog einen rostigen Schlüssel aus der Tasche, mit dem er meine Handschellen löste.

Aufatmend rieb ich mir die wunden Handgelenke. »Danke«, sagte ich. »Das ist... sehr nett von Ihnen.«

Der Mann hinter dem Schreibtisch lächelte. »Aber ich bitte Sie, Mister Craven - wir sind schließlich zivilisierte Menschen, und keine Wilden. Ich nehme doch nicht an, daß Sie versuchen werden zu fliehen?« Sein Lächeln wurde um eine Spur freundlicher, als er auf den Offizier neben mir deutete. »Sergeant Roosfeld ist seit sieben Jahren ungeschlagener Boxmeister der Garnison. Aber nehmen Sie doch Platz.«

Ich gehorchte, nachdem ich einen weiteren unsicheren Blick auf Roosfeld geworfen hatte. Der Mann hinter dem Schreibtisch beugte sich vor, füllte eines der Gläser und hielt es mir hin. »Mein Name ist Tergard, Mister Craven«, sagte er. »Ich bin das, was Sie wahrscheinlich den kommandierenden Offizier nennen würden. Wenigstens im Moment.« Er seufzte. »Ich denke, es ist an der Zeit, daß wir uns unterhalten.«

Zögernd griff ich nach dem Glas, nippte daran und spürte plötzlich, wie ausgedörrt meine Kehle war. Mit einem einzigen Zug leerte ich das Glas und nickte, als Tergard die Flasche hob und mich fragend ansah. Mit einem Lächeln füllte er mein Glas erneut. Etwas blitzte im Licht der Kerzen auf, als er die Hand bewegte. Ich sah genauer hin - und ließ um ein Haar mein Glas fallen. »Was haben Sie, Craven?« fragte Tergard.

»Nichts«, versicherte ich hastig. »Ich... ich bin nur ein wenig erschöpft. Verzeihen Sie.«

Tergard winkte großzügig ab. »Aber ich bitte Sie. Ich weiß, wie unbequem unsere Zellen sind.«

»Ich habe schon in besseren Hotels verweilt«, bestätigte ich. Tergard lachte pflichtschuldig, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah mich mit einer Mischung aus Neugier und Herablassung an. Es war ein Blick, den ich kannte. Und der mich dazu brachte, meine etwas voreilig gefaßte Meinung über ihn noch einmal zu überdenken.

»Sie wissen, warum ich Sie habe rufen lassen?« begann er nach einer Weile.

»Ich fürchte es«, bestätigte ich. »Aber um es gleich zu sagen, hier liegt ein...«

»Ein furchtbares Mißverständnis vor, ich weiß, ich weiß«, unterbrach mich Tergard. »Roosfeld hat mir alles berichtet. Sie müssen De Cruyk vergeben, Craven. Er ist nützlich, aber leider auch ein gottverdammter Idiot.« Er seufzte. »Die Welt ist voller Idioten, Mister Craven«, sagte er. »Es tut gut, zur Abwechslung einmal einen vernünftigen Menschen zu treffen. Sie sind doch vernünftig, nehme ich an?«

Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich wirklich begriff, worauf er hinauswollte. Zögernd nickte ich. »Dieser Kapitän De Cruyk ...«

»Ich sagte bereits, De Cruyk ist ein Narr«, unterbrach mich Tergard, eine Spur schärfer als das Mal zuvor. Der Ausdruck in seinen Augen erinnerte mich plötzlich an Eis. »Er ist ein guter Seemann, aber er kann einen Elefanten nicht von einer Maus unterscheiden, wenn man ihm den Unterschied nicht erklärt.«

»Dann... dann glauben Sie nicht, daß ich...«

»Daß Sie ein Betrüger sind?« Tergard lächelte. »Ein Abenteurer, der versucht, unsere Blockade zu durchbrechen? Aber natürlich nicht.«

»Welche Blockade?« fragte ich.

Tergard tat so, als hätte er meine Frage nicht gehört. »Sie sind keiner von diesen Abenteurern, Craven«, sagte er. »Das Meer spült sie zu Dutzenden hier an, und Sie können mir glauben, ich erkenne sie auf zehn Meilen. Nein, Craven. Keine Sorge. Ich halte Sie keineswegs für einen Abenteurer.«

Er legte eine kleine, genau berechnete Pause ein, nippte an seinem Glas und sagte im gleichen freundlichen Plauderton: »Ich denke, daß Sie ein verdammter britischer Spion sind, Craven.«

Ich starrte ihn an. »Ein... was?« murmelte ich.

Tergard stellte sein Glas mit spitzen Fingern auf den Tisch zurück, schlug die Beine übereinander und sah an mir vorbei »Roosfeld«, sagte er leise.

Ich sah den Schlag kommen und versuchte mich zu spannen, aber meine Reaktion erfolgte zu spät. Roosfelds Faust traf mich dicht unter dem rechten Auge, ließ mich mitsamt dem Stuhl nach hinten kippen und halbwegs durch den Raum schlittern, ehe ich endlich zur Ruhe kam.

Als ich mich aufrichten wollte, traf mich sein Fuß haargenau auf dieselbe Stelle. Diesmal war ich klug genug, liegenzubleiben.

»Nun, Mister Craven«, sagte Tergard leise. »Beseitigt das Ihre Verständigungsprobleme? Oder soll Roosfeld Ihrem Gehör noch einmal auf die Sprünge helfen?«

Stöhnend versuchte ich mich in die Höhe zu stemmen. Mein Schädel dröhnte, als hätte mich ein Pferd getreten, und in meinem Mund war ein Geschmack wie nach Blut und hilflosem Zorn. Mir war übel. Roosfeld mußte mich wie ein Kind auf die Füße stellen.

»Ich... habe verstanden, Tergard«, murmelte ich. »Aber Sie irren sich. Ich bin kein Spion.« Roosfeld knurrte und holte zu einem neuen Schlag aus, aber Tergard hielt ihn mit einer raschen Handbewegung zurück. Roosfeld gab ein fast enttäuschtes Schnauben von sich, hielt mich mit der linken Hand am Kragen fest und stellte mit der anderen den Stuhl wieder auf, um mich hineinzustoßen.