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Ich versuchte es, aber gegen den gelborange leuchtenden Hintergrund des Scheiterhaufens war die Gestalt des Schotten nur als Umriß zu erkennen. Trotzdem konnte ich ein Schaudern nicht unterdrücken, als ich ihn dort unten stehen sah; mit hoch erhobenen Armen und gespreizten Beinen, einem dämonischen Priester bei einer urtümlichen Beschwörung gleich.

Aber vielleicht war der Unterschied gar nicht so groß.

Langsam kam der monströse Schatten näher. »Seht!« brüllte McGillycaddy. »Seht hin, meine Kinder! Seht, wie unser Herr jene bestraft, die es wagen, mit Feuer und Schwert in sein Reich einzudringen!«

Im selben Moment erreichte der Schatten das Ufer. Erst glaubte ich, eine Art riesiger schwarzer Qualle zu sehen, aber dann zerfloß sein Körper, formte sich neu, wurde zu einem Gewebe, dann zu einer klumpigen Zusammenballung schwärzlich geronnener Dinge...

Dafür konnte ich um so besser erkennen, was er gebracht hatte.

Einen Menschen. Einen Menschen in einem monströsen, aus schwarzem Kautschuk und messingfarbenem Metall gefertigten Anzug. Einen von Nemos Männern!

Die Leiche eines seiner Männer, genauer gesagt. Der schwere, aus zähem Gummimaterial gefertigte Anzug war zerrissen, die Schläuche, die ihn mit dem Oxygentank auf seinem Rücken verbanden, hingen in Fetzen herunter, und das runde Sichtfenster des Messinghelmes war zerborsten. Ich konnte nicht genau erkennen, was dahinter war, aber es war rot und weiß und erinnerte mich nicht unbedingt an ein menschliches Gesicht. »Seht!« kreischte McGillycaddy. »Dies ist nur einer der Frevler, aber die anderen werden sein Schicksal teilen, ehe die Sonne aufgegangen ist. Und so wie ihnen wird es allen ergehen, die versuchen, uns aufzuhalten!«

Entsetzt starrte ich auf die reglose Gestalt im Taucheranzug. Das schwarze Etwas im Wasser zog sich zurück, aber auf einen Wink McGillycaddys hin kamen zwei seiner Männer herbei und hoben den Toten hoch, um ihn wie in einem grausigen Triumphzug an Land zu tragen und ins Feuer zu werfen. Es war ein furchtbarer Anblick: seine Arme und Beine pendelten, als wäre kein Knochengerüst mehr in seinen Gliedern. Ich mußte an einen gleichartigen Körper denken, den ich in den Abwasserkanälen von Aberdeen gesehen hatte...

»Irgend etwas ist schiefgegangen«, murmelte ich. »Das... das ist einer von Nemos Männern.«

Frane sah mich irritiert an. »Nemo?« vergewisserte er sich. »Etwa... etwa der Nemo?«

Jetzt war ich an der Reihe, erstaunt zu sein. Ich hatte von einem Mann von Franes Bildungsstand kaum erwartet, daß er den Namen Nemo kannte. Trotzdem nickte ich. »Genau dieser, Frane«, antwortete ich. »Aber er dürfte gar nicht mehr hier sein. Nicht, wenn...«

Ich sprach nicht weiter, denn der Gedanke, der aus dem schrecklichen Bild folgerte, war so furchtbar, daß ich für einen Moment mit beinahe verzweifelter Macht versuchte, ihn wegzuleugnen. Natürlich half es nichts. Und natürlich war es die einzig logische Erklärung dafür, daß die NAUTILUS nicht zu dem verabredeten Treffen gekommen war.

»Ich muß dort hinunter«, sagte ich.

Frane erbleichte. »Wohin? In... in den See?«

Ich nickte. »Ja. Ich... ich muß nachsehen, was passiert ist.«

»Sie sind wohl verrückt geworden!« keuchte Frane. »Was glauben Sie, dort unten ausrichten zu können? Sie...«

Ich schnitt ihm mit einer Bewegung das Wort ab, drehte mich herum und deutete mit einer Kopfbewegung zur Stadt zurück. »Sie gehen zurück zu Mrs. Borden«, sagte ich, während ich bereits begann, mein Hemd aufzuknöpfen. »Sie warten genau bis eine Stunde vor Sonnenaufgang. Wenn ich bis dahin nicht zurück bin, dann bringen Sie sie aus der Stadt. Wenn es sein muß, gegen ihren Willen. Haben Sie das verstanden?«

Frane starrte mich an, schluckte ein paarmal heftig und nickte schließlich. Ich wußte, daß er gehorchen würde. Typen wie Frane sind zwar im allgemeinen kaum fähig, ohne Schwierigkeiten weiter als bis acht zu zählen, aber dafür sind sie leicht zu beeinflussen. Wenigstens für eine Weile.

»Helfen Sie mir!« befahl ich. Frane bückte sich gehorsam nach dem Atemgerät, wuchtete es hoch und hielt es so lange, bis ich die ledernen Riemen übergestreift und die Schnallen verschlossen hatte. Dann zog ich mir den leichten Helm über, überzeugte mich davon, daß die frischen Sauerstoffpatronen angeschlossen und zwei Ersatzpatronen sicher in meinem Gürtel verstaut waren, und schlüpfte zum Schluß in die Schwimmflossen. Nicht einmal hundert Schritte von McGillycaddy und seinen tanzenden Anhängern entfernt ließ ich mich ins Wasser gleiten.

Das Meer war sehr ruhig an diesem Abend. Fast ein bißchen zu ruhig für Lawrences Geschmack. Über den Wellen, die kaum handhoch und so träge wie geschmolzenes Blei waren, lag ein blaßgrauer Hauch von Nebel, und obgleich die Sicht im Grunde klar war, schien doch alles, was weiter als drei-, vier hundert Yards entfernt war, wie hinter einem unsichtbaren Schleier zu verschwimmen.

Lawrence mochte Abende wie diese nicht. Er kannte sie zu gut, diese Tage, an denen das Meer wie gelähmt dalag - wie in der Ruhe vor dem Sturm.

»Kapitän?«

Lawrence drehte sich herum, als er die Stimme seines Adjutanten vernahm, zwang ein berufsmäßiges Lächeln auf seine Lippen und wurde übergangslos wieder ernst. »Ja?«

Stayley druckste einen Moment herum. Lawrence sah ihm an, wie schwer es ihm fiel, zu sagen, weswegen er gekommen war. »Es ist... wegen der Mannschaft, Sir«, begann er schließlich.

Lawrence runzelte die Stirn. »Was ist mit der Mannschaft, Stayley?« fragte er.

»Sie wird allmählich unruhig, Sir«, antwortete sein Adjutant.

»So?« sagte Lawrence. »Wird sie das? Und wie äußert sich diese... Unruhe?«

Stayley antwortete nicht direkt auf seine Frage, sondern blickte einen Moment aus dem Fenster, wo sich das Mondlicht auf den schwarzen Felsen der Steilküste wie auf poliertem Stahl spiegelte. »Wir sollten nur einen Tag in dieser Bucht bleiben, Sir«, murmelte er. »Jetzt ist es fast eine Woche.«

»Unser genauer Befehl lautet, so lange hierzubleiben, bis wir Nachricht von Fregattenkapitän Spears bekommen«, sagte Lawrence strenger, als vielleicht nötig gewesen wäre. Er konnte Stayley nur zu gut verstehen, und erst recht die Mannschaft. Die kleine, halb hinter einer vorspringenden Felsnase verborgen liegende Bucht, nur wenige Meilen nördlich von Aberdeen, war ein vorzügliches Versteck, selbst für einen Kreuzer von der Größe der King George. Von See aus war sie praktisch unsichtbar, und die mächtigen Felsbarrieren schützten das Schiff selbst vor dem schlimmsten Sturm. Aber es war etwas... Lawrence suchte vergeblich in Gedanken nach einer passenden Bezeichnung ... etwas Unheimliches an dieser Bucht. Die lotrechten, völlig schwarzen Felsen strahlten selbst bei Tage etwas Düsteres aus, und Lawrence hatte sie ein paarmal schon mit steingewordener Nacht verglichen.

Trotzdem sagte er: »Wir sind nicht hier, um uns zu amüsieren, Mister Stayley, sondern weil wir einen Befehl ausführen. Und wenn irgendein Mitglied der Mannschaft anderer Auffassung sein sollte, dann schicken Sie es zu mir. Ich werde dem Betreffenden gerne den Unterschied zwischen einem Seemann und einem Mitglied der Marine Ihrer Majestät erklären.«

Stayley erbleichte, nickte beinahe übertrieben hastig und drehte sich auf dem Absatz herum, um die Brücke zu verlassen.

Aber er machte nur einen einzigen Schritt, und auch nur, um sofort wieder stehenzubleiben und aus zusammengekniffenen Augen auf den schmalen Ausschnitt offenen Meeres zu blicken, der zwischen den zyklopischen Felsen sichtbar war.

»Was haben Sie?« fragte Lawrence.

»Ich... weiß nicht, Sir«, antwortete Stayley. »Für einen Moment dachte ich, ich hätte etwas gesehen.«

»Dort draußen?«

Lawrence trat neben ihn, runzelte die Stirn und blickte ebenfalls in die dunstig-graue Dämmerung hinaus. Es dauerte einen Moment, aber dann sah er es auch: