»Natürlich sind Sie kein Spion, Craven«, sagte Tergard spottisch. »Woher auch?«
»Verdammt, ich weiß nicht, wovon Sie reden, Tergard«, stöhnte ich. »Bis vor wenigen Stunden wußte ich nicht mal, daß es diese Insel gibt!«
Tergard gab Roosfeld einen Wink...
Als ich wieder zur Besinnung kam, schüttelte Tergard in einer Art den Kopf, als unterhielte er sich mit einem störrischen Kind. »Warum machen Sie es sich und mir nicht leichter, Craven?« fragte er.
»Ich will meinen Konsul sprechen«, murmelte ich.
Tergard seufzte. »Sie mißverstehen Ihre Lage, mein lieber Freund«, sagte er liebenswürdig. »Wir sind hier nicht in England, nicht einmal in irgendeiner eurer Kolonien. Roosfeld hier kann Sie zu Tode prügeln, wenn ich es ihm sage, und niemand würde auch nur eine Träne deswegen vergießen.« Er stand auf, kam um seinen Tisch herum und beugte sich so dicht zu mir hinunter, daß ich seinen Atem im Gesicht spüren konnte. Seine Hand berührte meine Schulter, und wieder sah ich das Blitzen von Gold und Emaille und blutigrotem Rubin an seinem Ringfinger.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Craven«, sagte er. »Sie werden mir jetzt alles erzählen - wer Sie geschickt hat, was Sie herausfinden wollten und wer Ihre Kontaktleute auf den Inseln sind, und wenn ich Ihre Angaben überprüft habe und merke, daß Sie die Wahrheit gesagt haben, können Sie als freier Mann diese Insel verlassen.«
»Auch als Lebender?« stöhnte ich.
Tergard lachte. Der Druck seiner Hand verstärkte sich um eine Winzigkeit. »Sie gefallen mir, Craven. Ich würde Sie wirklich ungern Roosfeld überlassen, obwohl er es mir sicher übelnehmen wird, wenn ich es nicht tue. Er schlägt gerne, müssen Sie wissen.«
»Sie... Sie irren sich, Tergard«, stöhnte ich. »Ich kann Ihnen nichts sagen. Ich bin kein Spion. Verdammt, ich bin nicht einmal Engländer! Was, zum Teufel, sollte ich hier suchen?« Tergard richtete sich mit einem zornigen Fauchen auf. Seine Augen blitzten. »Spielen Sie nicht den Narren, Cravenl« sagte er. »Ihr verdammten Briten seid auf Indonesien scharf, seit diese Inseln entdeckt wurden. Glauben Sie, wir wären so dumm, nicht zu wissen, welcher Dorn die Tatsache, daß das große englische Empire seine Fahne hier nicht hissen konnte, in eurem Auge ist? Sie sind nicht der erste, Craven, der versucht, sich hier einzuschleichen und Unruhe unter der Bevölkerung zu schüren. Und Sie werden nicht der erste sein, der diesen Versuch bereut, das verspreche ich Ihnen.«
»Ihre Politik interessiert mich nicht im mindesten, Tergard«, sagte ich. »Ich bin weder Engländer, noch arbeite ich für das Empire oder überhaupt irgendeine Regierung. Schicken Sie ein Telegramm an das amerikanische Konsulat in London, und lassen Sie meine Identität überprüfen, wenn Sie mir nicht glauben.«
»Craven, Craven«. seufzte Tergard. »Sie enttäuschen mich. Sie wissen genau, daß das Monate dauern kann.«
»Ich habe Zeit«, antwortete ich patzig.
Tergards Lächeln gefror. »Nun, wenn das so ist«, sagte er lauernd, »wir auch. Aber ich denke, es wird nicht nötig sein, so lange zu warten. Wir werden sicherlich einen Weg finden, der Wahrheit auf andere Weise auf die Spur zu kommen, nicht wahr, Roosfeld?«
Der Angesprochene grinste. »Sicher. Geben Sie mir zwei Stunden, und er erzählt Ihnen alles, was Sie wissen wollen.« Er kicherte und ballte wie in wilder Vorfreude seine gewaltigen Pranken! Seine Gelenke knackten.
»Nun, Craven?« fragte Tergard.
Ich starrte ihn an und schwieg, und nach einer Weile schüttelte Tergard in gespielter Enttäuschung den Kopf und trat einen Schritt zurück.
»Wie Sie wollen, Craven«, sagte er. »Ich wollte Ihnen nur unnötige Schmerzen ersparen. Wir sehen uns in zwei Stunden.«
Roosfeld riß mich so heftig von meinem Stuhl hoch, daß mir schon wieder schwindelig wurde.
Die Nacht war fast so hell wie der Tag. Die Sonne war vor Stunden untergegangen, aber der Mond verströmte silbernes, mildes Licht. Selbst die Sterne, die von einem nahezu wolkenlosen Himmel herabschienen, schienen an diesem Tage mehr Leuchtkraft zu haben, als bemühe sich die Natur nach Kräften, die gespenstische Szene zu beleuchten.
Eldekerk war erschöpft. Seine Hände waren blutig aufgescheuert, und seine Schultern schmerzten. Es war schwer gewesen, die fünfzig Yards Seil hinabzusteigen, so schwer, daß er auf den letzten Yards ernsthaft damit gerechnet hatte, abzustürzen.
Er war sehr sicher, den Weg hinauf nicht mehr aus eigener Kraft zu schaffen. Die fünfzig Jahre, die er auf dem Buckel hatte, machten sich bemerkbar. Sein Blick streifte die dunkel gekleidete Gestalt des Fremden, der wie er hinter einem Felsen Deckung gesucht hatte und gebannt auf das Meer hinausstarrte, und in die Furcht, die die Nähe Shannons noch immer mit sich brachte, mischte sich eine schwache Spur von Neid. Der schlanke Fremde war das Seil mit der Leichtigkeit einer Spinne herabgeglitten. Nicht einmal sein Atem ging spürbar schneller. Im Gegenteiclass="underline" die Anstrengung, die Eldekerk fast an den Rand des Zusammenbruches gebracht hatte, schien ihm direkt Freude bereitet zu haben.
»Wie lange noch?« fragte Shannon, ohne den Blick vom Meer zu nehmen.
Eldekerk sah zum Mond hinauf, ehe er antwortete. »Nicht mehr lange, wenn sie um die gleiche Uhrzeit kommen wie sonst.«
»Warum sollten sie nicht?« fragte Shannon. Seine Stimme klang amüsiert.
Eldekerk antwortet nicht, sondern schob sich wie Shannon in Stück weiter hinter seiner Deckung in die Höhe und blickte auf den Ozean hinaus. Das Meer lag da wie eine endlose Ebene aus geschmolzenem Pech, nachtschwarz und lichtfressend. Ein spürbarer Hauch von Kälte ging von seiner Oberfläche aus und ließ Eldekerk frösteln.
»Warum... mußte ich mitkommen?« fragte er plötzlich. »Ich habe Ihnen doch alles gesagt, was Sie wissen wollten.«
»Sie wären doch ohnehin hierhergekommen, oder?« fragte Shannon, ohne ihn anzublicken. »Da ist es doch praktischer, wenn wir zusammen gehen.« Plötzlich wandte er doch den Blick. »Außerdem kann es sein, daß ich Ihre Hilfe brauche.« Eldekerk fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lip pen. Wobei sollte er diesem unheimlichen Fremden schon helfen? Es gab absolut nichts, was Shannon nicht besser und zehnmal schneller hätte tun können. Nein, dachte er schauernd. Der wahre Grund war ein ganz anderer.
»Sie... Sie wollen mich umbringen, nicht?« fragte er plötzlich.
Shannon lachte leise. »Sie einzig dazu hierher zu bringen, wäre eine ziemliche Verschwendung von Zeit und Kraft, finden Sie nicht?« fragte er. »Seien Sie nicht albern.«
Einen Moment lang sah er Eldekerk scharf an, dann drehte er sich herum, lehnte sich mit dem Rücken gegen den Felsen, hinter dem sie Deckung gesucht hatten, und ließ seinen Blick über das schmale, sichelförmig gebogene Strandstück gleiten. Eldekerk war überrascht gewesen, wie groß der Strand war, der sich unter dem Felsüberhang verbarg. Der lotrecht abstürzende Fels verbreiterte sich pyramidenförmig an seiner Basis, und der Strand, von oben aus unsichtbar, war eine gute halbe Meile lang, wenn auch an keiner Stelle breiter als zehn Yards. Die dunklen Flutmarkierungen an der Felswand hinter ihnen verrieten Eldekerk, daß er manchmal unter der Wasserlinie liegen mußte. Der Gedanke, noch hier zu sein, wenn die Flut kam, ließ ihn schaudern.
»Was ist das?« fragte Shannon plötzlich und deutete auf eine Stelle schräg hinter Eldekerk. Eldekerk drehte sich ebenfalls um und blickte einen Moment lang konzentriert in die angegebene Richtung, ehe er mit den Schultern zuckte.
Zwanzig, vielleicht fünfundzwanzig Yards hinter ihrem Versteck gähnte ein Spalt in der Form eines auf die Spitze gestellten Dreieckes in der Wand, gut doppelt mannshoch und an der breitesten Stelle sicherlich fünf Yards messend.
»Ich weiß es nicht«, gestand er. »Eine Höhle, vermute ich.«
»Gibt es viele Höhlen hier?«, fragte Shannon.