»Auf den Inseln?« Eldekerk nickte. »Sehr viele. Manche führen direkt bis zum Krater hinauf, sagt man. Aber es ist nicht sehr ratsam, hineinzugehen.«
»Warum?« fragte Shannon.
Eldekerk deutete mit einer Kopfbewegung in die Richtung, in der der Gipfel des Hauptkraters in der Nacht verborgen war. »Gas«, sagte er. »Gas und Lava. Der Krakatau ist ein aktiver Vulkan, vergessen Sie das nicht. Manche von diesen Höhlen sind so voller Gas, daß ein falscher Furz reicht, sie in die Luft fliegen zu lassen.«
Shannon lächelte flüchtig, drehte den Kopf - und ließ sich mit einer so raschen Bewegung in den Schutz des Felsens fallen, daß Eldekerk erschrocken zusammenfuhr. Abrupt blickte er zum Meer hinüber.
Es war wie in den Nächten zuvor, aber sehr viel näher. Zuerst erschien das Licht, wobei sich Eldekerk nicht einmal mehr sicher war, ob es überhaupt Licht in dem Sinne des Wortes war, den er kannte. Es begann als sanftes, kaum merkliches Glühen über der Wasseroberfläche, wie leuchtender Nebel, der aus dem Nichts kam und sich in trägen, spielerisch auf und ab wogenden Schwaden verteilte.
Dann kamen die Geräusche; der dumpfe anschwellende Singsang und das unheimliche Heulen, das irgend etwas in ihm berührte und zum Schwingen brachte, und schließlich die Boote.
Eldekerk hatte sie noch nie so nahe gesehen wie dieses Mal, nicht einmal durch das Glas seines Fernrohres. Sie erschienen wenig mehr als eine Meile vor der Küste und näherten sich rasch, vorangetrieben von den langen, knöchernen Stangen ihrer Insassen und einem Wind, der so plötzlich aufgetaucht war wie die Boote und den Atem einer fremden, unglaublich düsteren Welt mit sich brachte.
Eldekerk stöhnte auf, als er die Boote zum ersten Male wirklich sah. Es war ein Bild, wie es kein Alptraum schrecklicher hervorbringen konnte:
Die Boote waren keine wirklichen Boote, sondern unbeschreibliche Zwitter aus erstarrter Furcht und gigantischen, lebenden Dingen - die Rümpfe langgestreckt und flach, übersät mit stacheligen Auswüchsen und runden, glänzenden Dingen, die sich dem Auge nicht wirklich zu erkennen gaben, drachenköpfig und schrecklich, die Segel riesige flappende Hautlappen, glänzend wie Leder und absurd geformt, nicht an den Masten befestigt, sondern aus ihnen hervorgewachsen, die Ruder gewaltige lederne Flossen, von einem Knochengerüst wie dem einer Fledermaus durchzogen und lautlos das Wasser peitschend.
Und dann sah er etwas, was ihn um ein Haar aufschreien ließ:
Eines der bizarren Boote war nahe genug herangekommen, daß er die knöcherne Gestalt in seinem Heck erkennen konnte. Sein Leib, der nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus einer dunklen, hornartigen Masse bestand, ein Gesicht ohne Augen und Mund und Nase, nichts als eine glatte, gebogene Fläche, und seine Beine, die unmittelbar aus dem Rumpf des bizarren Schiffes hervorwuchsen...
»Mein Gott«, flüsterte Eldekerk. »Was... was ist das?« Shannon gebot ihm mit einer hastigen Geste zu schweigen. »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Aber wenn es das ist, was ich fürchte...« Er brach ab, richtete sich ein wenig auf und sah nervös zu dem dreieckigen Spalt im Felsen zurück. Eldekerk folgte seinem Blick und registrierte mit plötzlichen Schrecken, daß die Höhlenöffnung genau dort lag, wo die Drachenschiffe landen würden, behielten sie ihren bisherigen Kurs bei. Und daß sie völlig deckungslos und für jeden überdeutlich sichtbar sein mußten, der daraus hervortreten sollte.
Shannon schien zu dem gleichen Schluß zu kommen, denn er deutete mit einer stummen Kopfbewegung auf eine Felsgruppe gut fünfzig Yards weiter westlich, in der sie ausreichende Deckung sowohl zum Meer als auch zum Land hin haben würden. Geduckt schlichen sie los.
Eldekerks Herz raste, als wolle es zerspringen, als sie die feuchtglänzenden Lavatrümmer erreichten. Nervös suchte sein Blick die stumme Prozession der Drachenschiffe.
Sie waren nähergekommen. Das erste befand sich weniger als fünf Schritte vom Strand entfernt und hatte an Tempo verloren, während die anderen weiter heranglitten. Zwischen ihnen brodelte der See, und Eldekerk erkannte eine gewaltige Zahl kopfgroßer, in allen Farben des Regenbogens schimmernder Kugeln, die plötzlich auf den Wellen zwischen den bizarren Booten hüpften. Ein geheimnisvolles Licht ging von ihnen aus.
»Was ist das, Shannon?« flüsterte er.
»Still!« zischte Shannon. »Schauen Sie.«
Wieder deutete seine Hand auf den Spalt in der Felswand. Er war jetzt nicht mehr leer. Ein blasses, aber irgendwie unheimliches rotes Glühen zeichnete seine Konturen nach; Licht, das aus dem Inneren der Wand kam und in Eldekerk die Erinnerung an Flammen und Hitze wachrief. Licht, das die Umrisse eines Mannes beleuchtete, der lautlos in der Höhlenöffnung erschienen war und den Alptraumbooten schweigend entgegenblickte. Dann machte er einen Schritt und trat ins helle Licht des Mondes hinaus.
Als Eldekerk sein Gesicht sah, begann er wie von Sinnen zu schreien.
Es mußte auf Mitternacht zugehen, wenn ich den Stand des Mondes und der Sternbilder richtig deutete, und über der Garnison lag eine fast unheimliche Stille. Die Hütte, in die Roosfeld und seine beiden Männer mich geschleift hatten, lag ein wenig abseits des eigentlichen Lagers, noch innerhalb der Umzäunung, aber gute zweihundert Yards von den niedrigen Baracken der Soldaten und dem etwas größeren, festungsähnlichen Hauptanteil der Anlage entfernt. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, warum.
Roosfeld gab mir einen Stoß, der mich quer durch den Raum taumeln und vor der gegenüberliegenden Wand auf die Knie fallen ließ. Wir waren wieder allein; der Niederländer hatte seine beiden Begleiter fortgeschickt und die Tür hinter sich geschlossen, und die Männer hatten den Schlüssel von außen herumgedreht. Der Raum war kahl. Die Wände bestanden aus nacktem, unverputztem Stein und der Boden aus festgestampftem Lehm. Außer der Tür gab es nur noch ein winziges, vergittertes Fenster, aber durch das löchrige Dach fiel genug Licht herein, mich sehen zu lassen. Es gehörte nicht sehr viel Phantasie dazu, sich auszurechnen, welchem Zweck dieses Gebäude diente.
Langsamer, als nötig gewesen wäre, stemmte ich mich in die Höhe, ließ mich gegen die Wand sinken und hob die Hand zum Kopf, als fiel es mir schwer, nicht gleich wieder zusammenzubrechen. Roosfeld lachte häßlich.
»Sie sind ein verdammter Trottel, Craven«, sagte er, während er seine Jacke aufknöpfte. Darunter trug er nichts außer einem mottenzerfressenen weißen Hemd, das sich über seinen mächtigen Muskeln spannte.
»Wirklich«, fuhr er fort. »Sie hätten sich eine Menge Ärger ersparen können. Zwei Stunden sind eine lange Zeit, Craven. Ich schwöre Ihnen, Sie werden nach Tergard schreien, ehe ein Viertel davon vorbei ist.« Grinsend knüllte er seine Jacke zusammen, warf sie in eine Ecke und kam mit wiegenden Schritten näher.
Ich wich zurück, so weit ich konnte, aber schon nach wenigen Schritten hatte er mich in die Ecke gedrängt. Ich hatte eine ziemlich konkrete Vorstellung davon, was er tun würde, sollte ich versuchen, an ihm vorbeizuschlüpfen.
»Sie werden sehen, daß ich euer britisches Fairplay schätze, Craven«, sagte er grinsend. »Ich bin kein Unmensch, wissen Sie? Ich überlasse Ihnen sogar den ersten Schlag.« Er näherte sich mir bis auf zwei Schritte, stemmte die Fäuste in die Hüften und hob den Kopf, wie um mir sein Kinn zu präsentieren. Es war ein beeindruckender Anblick. Wenn einen ein Kinn von den Dimensionen - und zweifellos auch der Festigkeit - eines Ambosses beeindruckt.
»Danke«, sagte ich gepreßt. »Ich verzichte.«
Roosfeld zuckte mit den Achseln. »Wie Sie wollen, Craven«, sagte er. »Ich habe nur fair sein wollen. Aber so...«
Der Schlag kam so schnell, daß ich ihn kaum sah, obwohl ich damit gerechnet hatte. Im letzten Moment wich ich Roosfelds Faust aus, riß die Arme in die Höhe und fing den Hieb mit den Handballen ab. Es war ein Gefühl, als hätte ich einen Dampfhammer mit bloßen Händen aufzuhalten versucht. Ich taumelte, fiel haltlos gegen die Wand und steppte im letzten Moment zur Seite, als Roosfeld mit einem gemeinen Kniestoß nachsetzte.