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»Ich denke nicht daran«, keuchte Eldekerk. »Ich bleibe hier, und wenn Sie mich totschlagen.«

»So?« fragte Shannon ruhig. »Warum werfen Sie nicht einen Blick auf die See, ehe Sie antworten, Eldekerk?«

Eldekerk gehorchte. Und es dauerte nur Sekunden, bis er begriff, was Shannon gemeint hatte.

Der Strand war deutlich schmäler geworden. Fast die Hälfte des feinkörnigen weißen Sandes war bereits unter nachtschwarzem Wasser verschwunden, und mit jeder Woge, die heranrollte und sich wieder zurückzog, fraß die See ein weiteres Stück Land. Die Flut kam. In einer halben Stunde würde der Strand unter Wasser stehen, und in einer weiteren Stunde würde der Ozean den Fels mehr als zwei Yards hoch umspülen. Einen ganz kurzen Moment lang dachte er daran, am Seil wieder nach oben zu klettern. Aber er wußte im selben Augenblick, daß er es nicht schaffen würden.

»Sie haben das gewußt«, sagte er vorwurfsvoll. »Sie wußten, daß ich nicht wieder hinaufsteigen kann und daß wir in diese Höhle müssen.«

»Nein«, antwortete Shannon. »Ich hatte vor, Ihnen zu helfen. Aber das da ist wichtiger.« Er deutete auf die Höhle, und aus irgendeinem Grunde - warum, wußte er selbst nicht - glaubte ihm Eldekerk.

Erst zwei Schritte vor dem Höhleneingang blieben sie stehen. Shannon bedeutete ihm mit Gesten, zurückzubleiben, lief geduckt die steile Geröllhalde hinauf, die zur Höhle emporführte, und verschwand für Augenblicke im Inneren des Berges. Als er zurückkam, hob er den Arm und winkte Eldekerk, ihm zu folgen. Der Holländer gehorchte widerspruchslos.

Ein Schwall trockener, nach Wärme und glühendem Fels riechender Luft schlug ihnen entgegen, als sie die Höhle betraten. Das Licht, das draußen nur ein schwacher rötlicher Glanz gewesen war, reichte hier drinnen aus, mehrere Dutzend Schritte weit zu sehen, und Eldekerk erkannte, daß sich der dreieckige Spalt schon nach wenigen Yards zu einer gewaltigen, halbrunden Höhle erweiterte, deren Boden zu glatt war, um auf natürliche Weise entstanden zu sein.

Dann sah er die Stufen.

Sie waren sehr breit und hoch, als wären sie für größere als menschliche Füße gemacht worden, und führten in schwindelerregendem Winkel zu einem weiteren Gang, der tiefer in den Leib des Berges hineinführte und von rötlicher Glut erfüllt war. Ein dunkles, unheimliches Dröhnen wehte Eldekerk und Shannon entgegen.

»Keinen Laut mehr«, wisperte Shannon. »Und bleiben Sie immer dicht hinter mir, ganz gleich, was geschieht.« Eldekerk nickte nervös, preßte sich dicht hinter dem Schwarzgekleideten an den Fels und ging mit klopfendem Herzen weiter.

Das Rauschen der Brandung blieb hinter ihnen zurück, als sie die steile Felstreppe hinaufgingen, aber dafür nahm das dunkle Dröhnen allmählich an Lautstärke zu, und nach einer Weile begann Eldekerk den Rhythmus darin zu erkennen. Es war nicht einfach nur ein Laut, es waren Worte, immer wieder die beiden gleichen, an- und abschwellenden Worte, wenngleich auch welche, die er noch niemals gehört hatte.

»Thuuuuul«, dröhnten die Stimmen. »Thul Saduun! Thul Saduunl«

In Tergards Amtszimmer brannte noch Licht, als einzigem Raum in dem gesamten Komplex, aber obwohl ich annähernd zwei Minuten mit dicht an der Tür gepreßtem Ohr gelauscht hatte, hatte ich nicht das geringste Geräusch gehört. Tergard war allein. Wenn nicht - nun, dieses Risiko mußte ich eingehen.

Behutsam richtete ich mich auf, warf einen letzten Blick in den leeren Gang hinter mir und packte das Gewehr fester, das ich dem Posten abgenommen hatte, der jetzt auf einer Bank neben dem Haupteingang lag und noch ein wenig tiefer schlief als in dem Moment, in dem ich ihn angetroffen hatte. Dann drückte ich die Klinke nach unten, warf mich mit der Schulter gegen die Tür und sprang mit einem Satz in den Raum, das Gewehr bereits im Anschlag.

Tergard saß noch immer in der gleichen Haltung da, in der er mit mir gesprochen hatte.

Und er wirkte nicht halb so überrascht, wie ich erwartete. Genaugenommen wirkte er kein bißchen überrascht. Er machte sich nicht einmal die Mühe, das Weinglas aus der Hand zu stellen.

»Keine Bewegung, Tergard«, sagte ich drohend, schob die Tür hinter mir zu und drehte mich blitzschnell um meine Achse. Der Gewehrlauf vollführte die Bewegung getreulich mit, aber es gab niemanden, den ich damit hätte beeindrucken können. Niemanden außer Tergard. Und der war ungefähr so beeindruckt, als zielte ich mit einem Kochlöffel auf ihn.

»Was haben Sie mit Roosfeld gemacht, Craven?« fragte er ruhig. »Ich hoffe doch, Sie haben ihn am Leben gelassen. Ich brauche ihn noch.«

»Als nützlichen Idioten?« fragte ich scharf.

Tergard lächelte. »Nicht ganz. Roosfeld hat seine kleinen Spleens, das gebe ich zu, aber er ist ganz und gar kein Idiot. Lebt er noch?«

»Ich bin kein Mörder wie Sie, Tergard«, sagte ich zornig. »Wenn ich hier heraus bin, können Sie gehen und ihn aufsammeln. Ich hoffe, Sie haben einen guten Arzt im Lager.«

»Sie setzen mich immer mehr in Erstaunen, Craven«, sagte Tergard lächelnd. »Was glauben Sie mit diesem melodramatischen Auftritt erreichen zu können?« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die Flinte in meiner Hand. »Diese Waffe nutzt Ihnen nicht sehr viel, mein lieber Freund. Ein einziger Schuß, und Sie haben die gesamte Garnison auf dem Hals. Was also glauben Sie, erreichen zu können?«

»Zumindest das, nicht zusammengeschlagen zu werden«, knurrte ich. »Sie werden mir jetzt ein paar Fragen beantworten, Tergard. Und vor allem werden Sie mir zuhören.«

»So?« fragte Tergard lauernd. »Werde ich?«

Wütend stapfte ich auf ihn zu, blieb dicht vor dem Schreibtisch stehen und schlug ihm das Weinglas mit dem Lauf des Gewehres aus der Hand. Tergard runzelte die Stirn und sah mich strafend an. »Sie sind kein sehr geduldiger Mensch, Craven«, stellte er fest.

»Nein«, bestätigte ich. »Aber ich bin auch kein Spion, Tergard. Ich möchte, daß Sie das wissen, ehe ich gehe. Ich bin genau das, was ich Ihnen gesagt habe.«

»Und um mir das zu sagen, sind Sie zurückgekommen?« fragte Tergard spöttisch. Seine Ruhe begann mir ernstlich auf die Nerven zu gehen. Ich bin auch zuvor Männern begegnet, die sich von einer Waffe, die auf ihre Stirn zielt, nicht besonders irritieren lassen. Aber selten jemandem wie Tergard, den dieser Zustand allerhöchstens zu amüsieren schien.

»Nicht nur«, sagte ich. »Ich möchte ein paar Antworten. Ehrliche Antworten. Und ich rate Ihnen, mich nicht zu belügen. Ich würde es merken, Bruder Tergard.«

Diesmal brachte ich ihn doch aus dem Konzept. Eine Sekunde lang starrte er mich wortlos an, und seine Augen wurden groß vor Überraschung, dann fragte er: »Woher wissen Sie es?«

Ich deutete auf den Ring, den er an der rechten Hand trug. »Ihre Eitelkeit hat Sie verraten, Tergard. Sie sollten Ihren Logenring nicht in aller Öffentlichkeit tragen.«

Tergard zog die Brauen zusammen, starrte einen Moment auf seine rechte Hand mit dem weißroten Ring, der überdeutlich das Symbol der Tempelherren - ein gleichschenkliges rotes Balkenkreuz auf weißem Grund - zeigte, und seufzte hörbar. »Mein Kompliment, Mister Craven«, sagte er. »Ich dachte wirklich nicht, daß Sie von der Bruderschaft wüßten.«

»Ich weiß noch viel mehr, Tergard«, sagte ich zornig. »Aber leider nicht genug. Was bedeutet das alles hier? Diese sogenannte Garnison ist so wenig eine Niederlassung der niederländischen Armee, wie Sie ein Offizier sind oder De Cruyk ein holländischer Kapitän ist! Was bedeutet das alles?«

»Warum warten Sie nicht ab, Craven?« fragte Tergard trotzig. »Möglicherweise erfahren Sie alles noch eher, als Ihnen lieb ist, Sie jämmerlicher Narr.«

Seine Worte erschöpften meine Geduld endgültig. Ein anderer an meiner Stelle hätte Tergards blödes Grinsen jetzt vielleicht mit dem Gewehrlauf beendet, aber ich wußte eine bessere Methode. Das, was ich vom ersten Moment an hätte tun sollen, statt meine Zeit damit zu vertrödeln, mich mit Tergard zu streiten.