Mit aller hypnotischen Macht schlug ich zu.
»Sie werden mir jetzt alles sagen, Tergard«, sagte ich leise und mit der monotonen, fast ausdruckslosen Stimme, die die suggestive Macht meines geistigen Angriffes noch verstärkt. Ich sah den Schrecken in Tergards Gesicht, als er begriff, was ich tat. Dann erschlafften seine Züge.
»Sie werden mir erzählen, was auf dieser Insel vorgeht!« befahl ich. »Was stellt diese sogenannte Garnison dar? Was wollen Sie hier? Was, zum Teufel, interessiert die Tempelherren an einer Gewürzinsel am Ende der Welt?«
»Nichts, was Sie auch nur das Geringste anginge, mein Junge«, sagte Tergard ruhig.
Es dauerte fast eine Sekunde, bis ich begriff.
Die Antwort, die ich bekommen hatte, war ganz und gar nicht die, die ein Mann gegeben hätte, der unter meinem hypnotischen Bann stand.
Aber das war er auch nicht.
Sein Schrecken, seine plötzliche Resignation, das scheinbare Nachgeben, selbst das so typische Erschlaffen seiner Gesichtszüge, das alles war nichts als eine Täuschung gewesen. Tergard war meinem geistigen Angriff keine Sekunde erlegen. Daß er so tat als ob, war nur eine weitere Bosheit, um mich noch einmal in Sicherheit zu wiegen, eine Sicherheit, in der er mich nur um so härter treffen konnte.
Ich fühlte seinen Gegenangriff kommen, aber mir blieb nicht einmal Zeit, auch nur den Versuch einer Gegenwehr zu starten. Tergards Bewußtsein fiel über mein Denken her wie ein hungriger Löwe über ein Kaninchen und löschte es aus.
Der letzte Gedanke, den ich hatte, war der, daß ich wirklich zu der Kategorie von Menschen zählte, über die Tergard vor Stundenfrist so ausgiebig philosophiert hatte.
Zu den Idioten.
Man mußte schon ein kompletter Idiot sein, sich auf einen geistigen Zweikampf mit einem Master des Tempelordens einzulassen ..
Die Höhle war groß, als wäre der Berg über ihren Köpfen nur eine dünne Schale, und von blutigrotem flackerndem Licht erfüllt. Mörderische Hitze lag wie der erstickende Griff einer unsichtbaren Riesenfaust in der Luft, ließ die Konturen aller Dinge, die weiter als vier, fünf Schritte entfernt waren, verschwimmen und Eldekerks Hals schmerzen. Selbst der Felsen, hinter dem er lag, war glühend heiß.
Seine Augen tränten. Vergeblich versuchte er, Einzelheiten dessen zu erkennen, was sich unter ihm und Shannon abspielte, Da waren Menschen, aber sie waren nur als verschwommene Umrisse zu erkennen, denn das hintere Viertel der Höhle war von weißglühender Lava erfüllt, dem Blut des Berges, das hier wie in einer gewaltigen steinernen Wunde zutage trat.
Er begriff nicht, was er sah.
Und selbst wenn er es begriffen hätte, hätte er sich geweigert, es zu begreifen.
Unter ihm starben Menschen.
Eldekerk konnte gegen das grelle Licht der weißglühenden Lava nicht ausmachen, was im einzelnen geschah, aber das Wenige, was er sah, war schlimm genug. Da waren die Betenden: Eine Gruppe von zwanzig, vielleicht mehr Gestalten, die in einem unregelmäßigen Kreis am Rande des Lavasees hockten und immer wieder dieses fürchterlich monotone Thul Saduun! Thul Saduun! hören ließen, wobei sie sich im Takt ihres eigenen Gesanges hin und her wiegten.
Vor ihnen, im gedachten Schnittpunkt des Halbkreises, den ihre Körper bildeten, stand eine weitere kleinere Gruppe von Menschen, aufrecht und stumm und sonderbar reglos, als wären sie erstarrt. Obgleich sie unmittelbar am Ufer des lodernden Lavasees standen, rührte sich nicht einer von ihnen. Die mörderische Hitze, die der geschmolzene Stein ausstrahlte, schienen sie nicht zu spüren.
Und dann der Mann.
Obwohl Eldekerk ihn nicht erkennen konnte, war er sicher, daß es dieselbe grauenhafte Gestalt war wie die, die er am Strand gesehen hatte. Er war froh, ihn nur als Schatten ausmachen zu können.
Der Mann (Mann?!) stand zwischen dem Halbkreis der Betenden und der zweiten Gruppe von Männern, mit hoch erhobenen, wie beschwörend ausgestreckten Armen und ebenfalls völlig reglos. Das grelle Gegenlicht der Lava schien seinen Körper mit flammenden Linien aus unerträglicher Helligkeit nachzuzeichnen. Und von Zeit zu Zeit...
Er hatte es mit eigenen Augen gesehen, zweimal, seit er dicht hinter Shannon in diese furchtbare Höhle geschlichen war, und trotzdem sträubte sich irgend etwas in ihm jetzt noch, zu glauben, was sich dort unten abspielte.
Eine der Gestalten, die bisher reglos am Ufer des Feuersees gestanden hatte, löste sich plötzlich aus ihrer Starre - und warf sich mit weit ausgebreiteten Armen in den Lavasee! Eldekerk schloß stöhnend die Augen. In seiner Brust schien sich eine unsichtbare Stahlfeder zu spannen, stärker und stärker und immer stärker, bis der Druck unerträglich wurde. Er spürte, daß er gleich anfangen würde zu schreien.
»Gehen wir«, flüsterte Shannon in diesem Moment. »Ich habe genug gesehen. Schnell.«
Eldekerk wollte aufstehen, aber er war wie gelähmt; Shannon mußte ihn wie ein Kind auf die Füße ziehen und vor sich her über den weißen Fels schieben, bis sie die Höhle verlassen hatten und wieder im Inneren des Stollens waren. Erst dann fiel die Lähmung ganz langsam von ihm ab.
Plötzlich begannen seine Hände zu zittern, und in seiner Kehle war ein stacheliger Kloß, der ihn zu ersticken drohte. »Mein Gott!« stöhnte er. »Was war das? Shannon, sie... sie bringen Menschen um. Mein Gott, sie... sie opfern Menschenl«
»Ich weiß«, sagte Shannon. Seine Stimme war ganz leise, aber erfüllt von einem Zorn, der Eldekerk frösteln ließ. »Und sie werden noch Schlimmeres tun, wenn wir sie nicht aufhalten, Eldekerk.«
»Wir?« Eldekerk hätte beinahe geschrien. »Aber was... was sollen wir gegen... gegen diese...«
Shannon schnitt ihm mit einer raschen Handbewegung das Wort ab. »Später«, sagte er hastig. »Jetzt müssen wir sehen, daß wir hier herauskommen. Und zwar schnell. Kommen Sie!«
So rasch sie konnten, verließen sie die Höhle, verfolgt vom dumpfen, an- und abschwellenden Singsang des Thul Saduunl, das in Eldekerks Ohren plötzlich einen ganz anderen, fürchterlichen Klang angenommen hatte.
Der Strand war vollends verschwunden, als sie den Ausgang verließen, so daß sie durch fast brusthohes Wasser waten mußten, um die Stelle zu erreichen, an der das Seil hing. Eldekerk wollte danach greifen, aber Shannon schüttelte rasch den Kopf, sprang mit einem Satz an dem Hanfstrick hoch und begann geschickt wie ein Affe in die Höhe zu klettern. Er brauchte kaum zehn Minuten, um die fünfzig Yards Höhenunterschied zum Sims hinauf zu überwinden.
»Binden Sie sich das Seil um, Eldekerk!« klang seine Stimme von oben herab. »Ich ziehe Sie hinauf. Aber Sie müssen mir helfen!«
Eldekerk nickte, obgleich Shannon die Bewegung in der Nacht und über die große Entfernung mit Sicherheit nicht erkennen konnte, knotete sich den Strick zweimal um Brust und Hüften und zerrte daran. Sekunden später straffte sich das Seil, als Shannon von oben daran zog. Eldekerk stemmte die Beine gegen die Wand und begann zu klettern.
Obwohl Shannon den Großteil seines Körpergewichts abfing und ihn mehr die Wand hinaufzog, als daß er wirklich kletterte, überstieg die Anstrengung beinahe seine Kräfte. Sein Atem ging pfeifend und unregelmäßig, als er neben Shannon anlangte, und seine Knie zitterten so stark, daß er erst nach Minuten die Kraft fand, sich aufzurichten und einige Schritte von der Simskante zurückzutreten.
»Geht es noch?« fragte Shannon besorgt.
Eldekerk nickte. »Es... muß. Ich bin ein alter Mann, wissen Sie?«
Shannon lächelte zur Antwort, nahm das Seil auf und wickelte es sorgsam zusammen, um es unter einem Busch zu verstecken. Eldekerk hatte das unangenehme Gefühl, daß er das nicht nur tat, um sich nicht damit abschleppen zu müssen, sondern weil er fest damit rechnete, zurückzukommen und es ein weiteres Mal zu benutzen.