Ich erstarrte, während Roosfeld mich eine weitere Sekunde lang mit diesem anzüglichen Grinsen musterte, plötzlich den Kopf in den Nacken warf und aus Leibeskräften zu lachen begann.
Und plötzlich begriff ich, was Tergard gemeint hatte, als er sagte, es gäbe noch eine Kleinigkeit zu erledigen.
Diese Kleinigkeit waren meine mentalen Kräfte gewesen. Was sonst7 dachte ich verzweifelt. Roosfelds Schläge mußten mein Denkvermögen wirklich arg in Mitleidenschaft gezogen haben, daß ich mir wirklich eingebildet hatte, ihn so einfach überzeugen zu können.
Gott im Himmel, Tergard wußte alles von mir! Natürlich hatte er wissen müssen, daß ich einen Speichellecker mühelos zu meinem Sklaven machen konnte, wenn ich erst einmal aus seiner Reichweite war. Und natürlich hatte er dafür gesorgt, daß das nicht geschah.
Auf die einfachste - und nachdrücklichste - Weise.
Indem er mir meine Hexer-Kräfte genommen hatte!
Es wurde wieder Abend, bis wir das Lager erreichten. Der Weg hatte fast die ganze Strecke hindurch mehr oder weniger steil bergauf geführt, und ein paarmal hatte ich den schroffen Gipfel des Krakataus sehen können, des titanischen Vulkans, von dem diese Insel ihren Namen hatte. Er war nähergekommen, sehr viel näher.
Die Garnison hatte an der Küste gelegen, zwar an einer Steilküste, aber doch trotzdem nahezu auf Höhe des Meeresspiegels, während das Lager gute tausend Yards hoch lag. Und es glich einer Festung; mehr, als es das Garnisonshauptquartier tat. Es lag, gut vor neugierigen Blicken verborgen, in einem schroffen Bergeinschnitt, der die Flanke des Krakataus spaltete wie ein Axthieb der Götter, und hatte die ungefähre Form eines langgestreckten Rechteckes, wobei seine hintere, schmalere Seite den natürlichen Konturen des Berges folgte und die gewachsene Geographie der schwarzen Lava in ihre Verteidigungsaufgabe einbezog.
Eine gut dreifach mannshohe Wehrmauer, zum allergrößten Teil aus Lavatrümmern errichtet, umgab ein Areal von sicherlich mehr als drei Quadratmeilen. Das Tor, niedrig und gewölbt und von einem zehn Yards langen überdachten Gang gefolgt, so daß es zu einem leicht zu verteidigenden Tunnel wurde, war von zwei wuchtigen Türmen flankiert. Zwischen deren Schießscharten lugten die Läufe zwar antiquierter, aber nichtsdestotrotz ehrfurchtgebietender Zwölfpfünder hervor. Im Inneren dieser ersten, nach außen gerichteten Wehranlage erhob sich eine zweite, kaum weniger hohe und von Stacheldraht und rostigen Eisenspitzen gekrönte Wand. Dahinter lag das eigentliche Lager - ein rechteckiger Platz, um den sich ein Dutzend niedriger, strohgedeckter Hütten erhob.
Ein unbeschreiblicher Gestank schlug mir entgegen, als der Eselskarren durch das innere Tor rumpelte und sich den Baracken näherte. Roosfeld ließ seine Peitsche knallen, um die erschöpften Tiere noch einmal zu größerer Schnelligkeit anzutreiben, und wie zur Antwort flammte in der vordersten Baracke ein gelbliches Licht auf, und Sekunden später wurde eine Tür geöffnet. Ein Mann trat nach draußen.
Sein Anblick traf mich wie ein Schlag.
Er trug nicht Uniform der niederländischen Marine. Auch nicht die zerschlissenen Lumpen, in die die Wächter gekleidet waren, die draußen auf der äußeren Mauer patrouillierten, sondern ein knielanges, weißes Gewand, auf dessen Brust ein flammendrotes Balkenkreuz prangte, darunter ein Kettenhemd, schwarze wollene Hosen und ebenfalls schwarze Schaftstiefel. An seiner Hüfte blinkte ein fast armlanges, beidseitig geschliffenes Schwert.
Roosfeld lenkte den Eselskarren auf ihn zu, brachte die Tiere mit einem brutalen Ruck an den Zügeln zum Stehen und sprang vom Bock. Der Templer begrüßte ihn mit einem Nicken, ging an ihm vorbei und blickte interessiert, aber ohne die geringste Spur von Mitleid, zu mir hinauf.
»Ein neuer Mann«, stellte er fest. »Wieso nur einer, Roosfeld? Bruder Tergard weiß doch, daß wir mehr Nachschub brauchen.«
»Der da ist was Besonderes«, knurrte Roosfeld. Umständlich öffnete er den Gitterkäfig und ließ die Verschlüsse der Handschellen aufschnappen, die meine Arme hielten.
Der Weg hier herauf hatte meine letzten Kräfte aufgezehrt. Roosfeld schleifte mich rücklings aus dem Käfig und warf mich kurzerhand vom Karren. Wie durch einen nebligen Schleier registrierte ich, wie der Templer neben mir in die Hocke sank und meinen Kopf anhob, um mir ins Gesicht zu sehen.
»Er sieht schlimm aus«, sagte er. »Warst du das?«
Roosfeld grunzte und deutete mit der Linken auf seinen bandagierten Arm. »Das Schwein hat mir den Arm ausgerenkt«, sagte er. »Er kann von Glück sagen, daß Tergard mir verboten hat, ihm den Schädel einzuschlagen.«
»Nun, sehr viel fehlt nicht mehr daran«, sagte der Templer kopfschüttelnd. Ein deutlicher Ausdruck von Ärger erschien auf seinem Gesicht, als er sich aufrichtete und an Roosfeld wandte.
»Was soll ich mit einem halbtoten Mann?« fauchte er. »Bruder Tergard weiß ganz genau, daß ich nur gesunde und kräftige Männer gebrauchen kann. Krüppel und Sterbende habe ich selbst genug hier.«
»Der da ist nicht zur Arbeit bestimmt«, antwortete Roosfeld.
»Tergard will, daß du ihn nach unten bringst, wenn er sich ein bißchen erholt hat.« Er lachte leise. »Ich soll dir sagen, daß er besonderen Wert darauf legt, daß er nach unten kommt.«
»Warum?« fragte der Templer.
»Warum fragst du nicht Tergard?« fauchte Roosfeld. »Er glaubt, daß er sich besonders über ihn freuen wird. Frag mich nicht, warum. Mir sagt man ja nichts. Ich darf die Knochen für euch hinhalten, aber das ist auch alles.«
Der Tempelherr blickte ihn einen Moment scharf an, dann schüttelte er den Kopf, ging abermals neben mir in die Hocke und sah mir ins Gesicht.
»Können Sie aufstehen?« fragte er. In seiner Stimme lag mit einem Male eine Freundlichkeit und Wärme, die ich von allen möglichen Reaktionen am allerwenigsten erwartet hätte. Ich nickte, stemmte mich mit den Händen halbwegs in die Höhe und sank keuchend zurück. Ich hatte nicht mehr die Kraft, aufzustehen. Jeder einzelne Muskel in meinem Körper war paralysiert.
Der Tempelherr seufzte, richtete sich wieder wieder auf und klatschte in die Hände. Wenige Augenblicke später hörte ich Schritte, dann ergriffen mich harte Hände unter den Achseln und stellten mich auf die Beine.
»Bringt ihn in eine Zelle«, sagte der Tempelherr. »Und sagt dem Wundscher, daß er sich um ihn kümmern soll.«
Die beiden Männer schleiften mich wie eine leblose Last über den Platz und auf eines der barackenähnlichen Gebäude zu. Wieder wurde mir schwarz vor Augen, und was danach geschah, weiß ich nicht mehr.
Eine Zeitlang herrschte Dunkelheit um mich herum, dann wurde eine Tür geöffnet, jemand kam herein und machte sich an mir zu schaffen. Es tat sehr weh, aber kurz darauf verschwanden die Schmerzen fast völlig, und aus dem Gefühl quälender Erschöpfung wurde eine beinahe wohltuende Mattigkeit.
Die Verlockung, einzuschlafen, wurde fast übermächtig. Aber ich durfte ihr nicht nachgeben. Nicht, wenn ich eine Chance haben wollte, jemals lebend aus diesem Lager herauszukommen. Ich hatte keine Ahnung, was Roosfeld und der Templer mit unten gemeint hatten, aber was immer es war, es würde meinen Tod bedeuten, dessen war ich sicher.
Halb in Trance hob ich die Hand und hielt den Arzt am Arm zurück, als er sich von meiner Pritsche erhob und gehen wollte. »Bleiben... Sie«, murmelte ich. »Ich muß mit... jemandem sprechen.«
»Sie müssen schlafen«, widersprach der Arzt und löste mit sanfter Gewalt meine Hand von seinem Arm. »Und zwar mindestens sechsunddreißig Stunden.« Er blickte mich mit deutlicher Sorge an und schüttelte den Kopf. »Wissen Sie, daß Sie tot sein müßten?«
»Ich muß mit... mit jemandem reden«, beharrte ich, obgleich ich kaum die Kraft hatte, die Augen offenzuhalten und zu reden. »Bitte. Es ist... wichtig. Schicken Sie den Mann, der... der hier zu bestimmen hat.«