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Drei Sekunden später war er tot.

Shannon schlich weiter. Noch zweimal traf er in den nächsten Minuten auf Wächter, die auf ihrem einsamen Streifzug durch die Nacht waren.

Dann war er sicher, daß es in diesem Teil der Festung niemanden mehr gab, der seine Anwesenheit verraten konnte.

Äußerlich unterschied sich das strohgedeckte Gebäude nicht im geringsten von den anderen Baracken, die sich um den Hauptplatz des Lagers gruppierten.

In seinem Inneren war es ein Tor zur Hölle.

Hinter dem Eingang lag ein winziger, fensterloser Raum, in dessen gegenüberliegender Wand eine wuchtige Eisentür war. Aber selbst durch das zollstarke Material hindurch war die erstickende Hitze zu fühlen, die auf der anderen Seite herrschte.

Der Templer war zurückgekommen, nachdem die beiden Männer mich gepackt und hierher geschleift hatten. Er trug jetzt nicht mehr sein Ordensgewand, sondern ein schmuckloses, knöchellanges Hemd von blutroter Farbe, auf dessen Brust- und Rückenteil verwirrende kabbalistische Symbole aufgestickt waren, und das Schwert an seiner Seite hatte einem sonderbar geformten Schlüssel Platz gemacht, mit dem er jetzt die Eisentür öffnete. Seine Lippen formten dabei unhörbare Worte, und auf seinen Zügen lag ein Ausdruck angespannter Konzentration.

Und Angst.

Er gab sich alle Mühe, das Gefühl zu verbergen, aber ich hatte die Zeichen der Furcht zu oft in den Augen von Menschen gelesen, um es nicht zu erkennen. Was immer sich auf der anderen Seite der Eisentür befand, erfüllte den Tempelritter mit panischer Furcht.

Das Schloß sprang mit einem metallischen Klacken auf. Ein Schwall erstickender Hitze und blutrotes, flackerndes Licht fielen in den winzigen Raum.

Der Templer trat zurück, gab meinen beiden Bewachern einen Wink und zog den Schlüssel mit deutlichen Zeichen der Erleichterung aus dem Schloß. Die beiden Männer zerrten mich hoch, stießen mich durch die Tür und blieben wieder stehen. Ich blinzelte geblendet. Der Raum hinter der Metalltür war völlig leer, aber im Boden gähnte ein gut fünf Yards durchmessendes, kreisrundes Loch, das mit lodernder roter Helligkeit wie mit blutigem Wasser gefüllt war. Die Hitze war nahezu unerträglich. In der Luft lag der Geruch nach brennendem Stein.

Hinter uns betrat der Tempelherr den Raum. Auf einen stummen Wink seiner Hand hin stieß mich einer der Männer auf die Knie hinunter und hielt mich fest, während sein Kamerad meine Hände band und mir anschließend auch noch eine Fußfessel anlegte, die es mir bestenfalls gestattete, winzige Schritte zu machen.

»Was, zum Teufel, haben Sie vor?« stöhnte ich, nachdem mich der Bursche wieder auf die Füße gezerrt und etwas näher an den brodelnden Höllenpfuhl gestoßen hatte.

Der Templer starrte mich einen Herzschlag lang an, trat mit gekünstelt wirkenden, langsamen Schritten um den Schacht herum und nahm an seinem gegenüberliegenden Rand Aufstellung. Langsam hob er die Hände, schloß die Augen und murmelte ein einzelnes, düster klingendes Wort.

Die rote Glut erlosch.

Von einer Sekunde auf die andere, so abrupt wie eine Kerze, die urplötzlich ausgeblasen wird, verblaßte die rote Glut, und die erstickende Hitze wich einem zwar noch immer heißen, aber nach der Höllenglut doch beinahe wohltuenden Luftzug. Dann begannen sich die Schatten zu bewegen.

Im ersten Moment war es kaum zu bemerken. Das wogende Dunkel am Grunde des Schachtes vertiefte sich ein wenig, die Schatten im Raum um uns herum wurden schwärzer, etwas bewegte sich dort, wo sich nichts bewegen durfte - und aus der Tiefe stieg eine Gestalt empor.

Ich unterdrückte im letzten Moment einen Schrei, als das Wesen den Rand des Schachtes erreichte.

Auf den ersten Blick glich die Erscheinung einem Menschen. Auf den zweiten nicht mehr.

Es hatte zwei Beine, zwei Arme, einen Leib und einen Kopf, aber damit hörte die Ähnlichkeit zu einem menschlichen Wesen auch schon auf.

Seine Haut war glatt, porenlos und glänzend wie Stahl oder poliertes Holz und von nachtschwarzer Farbe, die Glieder dünn und hart wie metallene Stöcke, zwischen denen sich die Gelenke deutlich als kugelförmige Verdickungen abzeichneten. Seine Hände erinnerten mich an Spinnen. Und sein Kopf...

Es hatte einen Kopf, aber wo sein Gesicht sein sollte, glänzte nur eine schimmernde, total konturlose Fläche wie ein geschlossenes Visier in einem Anzug aus Stahl. Das Wesen strahlte etwas Düsteres, körperlos Bedrohliches aus.

Sein gesichtsloser Schädel wandte sich in meine Richtung, und obwohl es keine Augen oder sonstige sichtbare Sinnesorgane besaß, hatte ich für Sekunden das unangenehme Gefühl, durchdringend gemustert und eingeschätzt zu werden. Dann drehte es sich zu dem Templer um.

Der Mann duckte sich wie unter einem Hieb und deutete mit einer überhasteten Bewegung auf mich.

»Wir grüßen dich, o Bote der THUL SADUUN«, sagte er. »Sei bedankt, daß du unserem Ruf gefolgt bist, und nimm diesen Sterblichen als Opfer für deine Herren.«

»Nur einer?«

Die Stimme des Wesens klang, als versuche jemand mit Stimmbändern aus Stahl zu sprechen. Der Templer nickte hastig und machte eine demütige Geste.

»Sobald die Sonne ein zweites Mal versunken ist, bringen wir mehr«, sagte er. »Ich verspreche es. Wir halten das Wort, das wir deinen Herren gaben. Jener dort ist etwas Besonderes. Die THUL SADUUN werden zufrieden sein, denn er ist für fünfzig andere.«

Für endlose Sekunden starrte ihn das Wesen mit seinem furchtbaren, augenlosen Gesicht an, dann drehte es sich - noch immer scheinbar schwerelos über dem Schacht schwebend - herum und streckte seine schrecklichen Spinnenhände nach mir aus..

Shannon hatte die innere Mauer erreicht, ohne entdeckt oder aufgehalten zu werden. Sie war niedriger als die äußere Wand und leichter zu ersteigen. Und es gab weniger Wächter hier, deren Aufmerksamkeit sich zudem nach innen richtete, auf das Areal aus niedrigen Hütten, in denen die Gefangenen untergebracht waren.

Shannon hatte ihren Rundgang studiert und war zu dem Schluß gelangt, daß ihm mehr als genug Zeit blieb, die Mauer zu überwinden und in den Schatten einer der Hütten zu huschen, ehe der Mann zurückkehrte, dessen Schritten er gerade lauschte. Er hatte den Vorteil des Unerwarteten auf seiner Seite. Die Männer wähnten sich sicher durch die zweite, nach außen gerichtete Verteidigungslinie in ihrem Rücken. Und sie hatten auf die zu achten, die versuchten, aus dem Lager herauszukommen, nicht hinein. Es würde nicht nötig sein, sie zu töten.

Shannon dachte diesen Gedanken ohne das geringste Gefühl. Es war eine Entscheidung, die von rein logischen Gesichtspunkten diktiert wurde: jeder Mann, den er ausschaltete, bedeutete die Gefahr, entdeckt zu werden, ganz gleich, wie vorsichtig und schnell er zu Werke ging.

Es war die gleiche, gefühllose Logik, die ihn bewegen hatte, die Posten draußen auf der äußeren Mauer auszuschalten. Er empfand nichts bei dem Gedanken, fast ein halbes Dutzend Männer getötet zu haben, denn sie waren Feinde gewesen, und der suggestive Befehl, mit dem Necron sein Denken gelähmt hatte, besagte einwandfrei, daß Feinde ausgeschaltet werden mußten. Shannon - der wirkliche Shannon - hätte sich bei diesem Gedanken vor Grauen gekrümmt, aber der Mann, der jetzt lautlos über die Zinnen der Mauer stieg und auf der anderen Seite hinunterhuschte, hatte wenig mit dem jungen Magier gemein, als den Robert ihn in Arkham kennengelernt hatte. Necrons Wille beherrschte ihn völlig. Er war wenig mehr als eine Maschine, ein Automat, der ein bestimmtes Ziel hatte und dies unerbittlich verfolgte.

Es gab einen Punkt, über den er nicht hinaus konnte, nicht einmal unter dem Einfluß von Necrons Willen, aber der Herr der Drachenburg hatte aus seinen Fehlern gelernt und Sorge getragen, daß Shannon diese Entscheidung erspart bleiben würde.