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Es war nicht mehr als ein Schatten, ein gewaltiges, körperloses Etwas, das in unbestimmbarer Entfernung hinter der grauen Nebelwand aufgetaucht war, aber es war zu deutlich, um eine bloße Täuschung sein zu können.

»Was ist das, Sir?« fragte Stayley verstört.

Statt einer Antwort wandte sich Lawrence um, holte seinen Spektiv und trat erneut an die Scheibe. Aber seltsamerweise wurde der Schatten nicht deutlicher, als er durch das Glas sah. »Ich weiß es nicht«, gestand er schließlich. Er senkte das Glas, biß sich nachdenklich auf die Lippen und starrte dann wieder in die graue Unendlichkeit hinaus. Irgend etwas am Anblick dieses monströsen... Dinges berührte ihn, berührte ihn auf sehr unangenehme Art und Weise, ohne daß er das Gefühl irgendwie begründen konnte.

»Es ist viel zu groß für ein Schiff«, murmelte Stayley. In seiner Stimme war ein Beben, das Lawrence aufhorchen ließ. Alarmiert senkte er sein Glas ein zweites Mal und sah seinen Adjutanten an. Stayley starrte aus weit aufgerissenen Augen in den Nebel hinaus. Sein Gesicht war bleich, und Lawrence sah, daß sich seine Hände zu Fäusten geballt hatten und zitterten. Er spürt es auch! dachte er erschrocken.

»Unsinn, Leutnant«, sagte er streng. »Was soll es anderes sein als ein Schiff? Vielleicht ein Seeungeheuer oder der Fliegende Holländer?« Er lachte, aber es klang gepreßt und nicht sehr überzeugend. »Rufen Sie die Offiziere auf die Brücke, Mister Stayley. Und dann beordern Sie die Freiwachen zurück. Wir nehmen Fahrt auf. Ich möchte mir dieses sonderbare Schiff aus der Nähe betrachten.«

Stayley nickte nervös und eilte zur Tür, aber Lawrence rief ihn noch einmal zurück. »Noch etwas, Mister Stayley«, sagte er, zögernd und beinahe gegen seinen Willen. »Geben Sie Befehl, daß der Maat volle Gefechtsbereitschaft anordnen soll. Sicher ist sicher«, fügte er mit einem nervösen Lächeln hinzu.

Das Wasser war so kalt, daß ich für ein paar Sekunden ernsthaft befürchtete, erfrieren zu müssen. Meine Muskeln waren wie gelähmt, und die Luft, die aus dem Tank auf meinem Rücken strömte, schien wie flüssiges Feuer in meiner Kehle zu brennen. Ich sank, weniger durch meine eigenen Bewegungen als vielmehr durch das Gewicht des Oxygentankes in die Tiefe gezerrt, in steilem Winkel nach unten, und ich schätzte, daß ich gute hundert Fuß unter der Oberfläche war, ehe es mir gelang, meine Muskeln zu einer ersten, mühsamen Schwimmbewegung zu zwingen, mit der ich wenigstens mein hilfloses Trudeln auffangen konnte.

Der See hatte sich verändert. Das grüne Leuchten, das noch am Morgen seinen ganzen Boden erfüllt hatte, war zu einem fleckigen blassen Muster geworden, in dem gewaltige, wie hineingefressen wirkende Löcher gähnten. Tangfetzen und aufgewirbelter Morast trieben wie wolkige große Gebilde durch das Wasser, und ein paarmal glaubte ich festere, dunkle Körper zu erkennen, die jedoch niemals so nahe kamen, daß ich mich bedroht fühlte.

Ich sah mich aufmerksam nach dem finsteren Etwas um, das ich vom Ufer aus gesehen hatte, konnte jedoch nirgends auch nur eine Spur davon erkennen - was nicht hieß, daß es nicht da war. Das Wasser war so finster, daß ich praktisch in sein Maul hineinschwimmen konnte, ehe ich es überhaupt bemerkte.

Hastig verscheuchte ich den Gedanken und schwamm schneller. Allmählich begannen mir meine Muskeln wieder zu gehorchen, und das Gewicht meines Atemgerätes tat ein Übriges, mich rasch in die Tiefe sinken zu lassen.

Je weiter ich mich dem Seeboden näherte, desto deutlicher wurden die Spuren der gewaltigen Schlacht, die hier vor Tagesfrist geschlagen worden war. War die Ruinenstadt bei meinem ersten Hiersein noch nahezu unbeschädigt gewesen, so schien jetzt im wahrsten Sinne des Wortes kein Stein mehr auf dem anderen zu stehen. Die Häuser und Paläste waren zerstört, die Brücken und Straßen zerfetzt und zu gewaltigen Haufen chaotisch aufeinandergetürmter Trümmer geworden, und im vordem noch fast glatten Seeboden gähnten jetzt gewaltige, ausge zackte Krater.

Und dann sah ich die NAUTILUS.

Sie befand sich unweit der Stelle, an der ich sie das letzte Mal gesehen hatte, als sie Feuer und Tod auf die Stadt Dagons spie. Aber aus dem todbringenden Giganten war ein Leichnam geworden. Jedenfalls war das der erste Eindruck, den ich hatte. Das Schiff lag auf dem Meeresboden, halb auf der Seite, den Bug mit dem gezackten Rammsporn tief in den weichen Schlamm gegraben. Mit einer einzigen Ausnahme waren sämtliche Lichter erloschen, und neben der Backbordseite bewegte sich etwas Finsteres, Großes. Sie sah aus wie ein stählerner Rie senhai, der sich auf den Meeresboden gelegt hatte, um zu verenden.

Seltsamerweise konnte ich nicht die geringste Beschädigung an ihrem Rumpf feststellen, selbst als ich mich dem Schiff näherte und auf seine andere Seite schwamm. Die stählernen Panzerplatten hatten ihren bläulichen Glanz verloren und wirkten jetzt matt und blind, aber der Rumpf der NAUTILUS selbst schien nicht den geringsten Kratzer aufzuweisen.

Dafür sah ich die Toten. Drei, dann vier und schließlich fünf von Nemos Männern, die mit zerfetzten Taucheranzügen und zertrümmerten Helmen in der Nähe des Schiffes trieben, vom Gewicht ihrer Ausrüstungen auf dem Meeresgrund gehalten und zum Teil aufrecht stehend wie furchtbare Statuen. Die Strömung bewegte sie hin und her, so daß es aussah, als streckten sie verzweifelt die Arme nach dem Schiff aus.

Behutsam näherte ich mich dem Schiff - wohlweislich auf der dem finsteren Etwas abgewandten Seite - hielt in einigem Abstand inne und besah mir die NAUTILUS genauer. Aber auch jetzt war nicht die Spur irgendeiner Beschädigung zu erkennen. Ich näherte mich dem Schiff bis auf Armeslänge und schwamm an seinem Rumpf entlang, bis ich das große Bullauge vor mir sah, hinter dem Nemos Salon lag. Ich paddelte heftig mit den Beinen, um den Sog der Strömung auszugleichen, der mich vom Schiff wegtreiben wollte, näherte mich mühsam der gewaltigen gebogenen Scheibe und schlug so heftig mit den Fäusten dagegen, wie ich nur konnte. Die Sehläge dröhnten geisterhaft laut durch den Rumpf des Schiffes. So kristallklar das Glas des Bullauges von innen war, so schwer war es, von außen in das Schiff hineinzusehen; ich erkannte nicht mehr als verschwommene Umrisse. Aber immerhin bewegten sie sich, was mir bewies, daß an Bord des Schiffes zumindest noch ein paar Überlebende waren.

Als sie meine Faustschläge hörten, kam hektische Bewegung in die Gestalten hinter der Scheibe. Drei, vier von ihnen näherten sich dem Bullauge und begannen heftig zu gestikulieren, und in einer der Gestalten glaubte ich Nemo zu erkennen, war mir aber nicht sicher.

Ich schlug noch einmal mit der flachen Hand gegen das Glas, streckte die Arme nach beiden Seiten aus und hob die Handflächen nach außen, um anzudeuten, daß ich nicht wußte, was ich tun sollte. Nemo schien die Geste zu verstehen, denn er begann seinerseits heftig zu gestikulieren, deutete nach unten und dann zum Heck des Schiffes, und schließlich verstand ich. Immerhin hatte er mir die NAUTILUS nicht umsonst ganz genau gezeigt, bevor ich von Bord gegangen war. Offenbar wollte er mich auf die Schleuse aufmerksam machen, die unterhalb des Schiffes angebracht war und ein Aussteigen unter Wasser möglich machte. Selbst jetzt, wo die NAUTILUS mit deutlicher Schlagseite dalag, mußte sie noch zu passieren sein.

Ich nickte übertrieben heftig, um Nemo zu bedeuten, daß ich verstanden hatte, deutete in die gleiche Richtung wie er und wollte mich entfernen, aber Nemo fuhr fort, zu gestikulieren und wie wild mit den Händen zu fuchteln, so daß ich noch einmal zurückschwamm und das Gesicht gegen die Scheibe preßte.

Nemo schüttelte den Kopf, daß seine schütteren Haare flogen. Immer wieder deutete er auf den Boden, manchmal auch auf die Decke oder die Wände, schüttelte den Kopf und machte hektische Gesten, deren Bedeutung ich nicht verstand. Er wollte mir irgend etwas sagen, das war klar, aber ich begriff einfach nicht, was. Annähernd fünf Minuten blieb ich wassertretend vor dem Bullauge hängen, während Nemo auf der anderen Seite versuchte, die Weltmeisterschaft im Grimassenschneiden zu gewinnen, dann schüttelte ich entschieden den Kopf, drehte mich herum und begann zum Heck der NAUTILUS zurückzuschwimmen.