Aus dem Inneren des dämonischen Eies floß Lava, weißflammender Stein, heiß wie das Blut einer Sonne und so flüssig wie Wasser. Und darin bewegte sich etwas!
»Jetzt wirst du mein wahres Geheimnis kennenlernen, Robert Craven«, sagte Dagon kalt. »Das Geheimnis der THUL SADUUN. Aber es wird dir nichts mehr nutzen. Du...«
Dagon brach mitten im Satz ab, wandte mit einem Ruck den Kopf und starrte eine Sekunde gebannt in die Richtung, aus der ich gekommen war. Dann hob er den Arm und deutete befehlend in dieselbe Richtung. Seine beiden Begleiter fuhren herum und rannten los, und nach einer weiteren Sekunde wandte sich auch Dagon um und verschwand.
Aber mir blieb keine Zeit, mich weiter um Dagon und seine Sklaven zu kümmern, denn aus dem Inneren des aufgeplatzten Dämoneneies drang ein häßliches, lautes Zischen, und eine neue Hitzewelle strich über mein Gesicht wie eine weißglühende Hand.
Trotz des grausam hellen Lichtes starrte ich erneut auf das fürchterliche Geschehen. Der Inhalt des Eies hatte sich auf dem Boden verteilt und bildete eine gut fünf Fuß messende, rotglühende Pfütze. Die Lava kühlte rasch ab, so daß sich auf ihrer Oberfläche bereits eine rote, krumig geronnene Haut gebildet hatte, aber die Bewegung in ihrer Mitte, dort, wo die Reste der zerborstenen Schale lagen, hatte nicht aufgehört.
Dann erkannte ich, was es war.
Im Zentrum der sicherlich mehr als tausend Grad Fahrenheit messenden Lava zuckte ein armlanger, glühender Wurm! Sein Körper glühte heller als die brodelnde Masse, die ihn geboren hatte, und sein vorderes, augenloses Ende zitterte wie der Schädel einer Schlange hin und her, mit pendelnden, suchenden Bewegungen. Dann hörte er auf, sich zu bewegen. Sein Kopf - ich vermute zumindest, daß dieses Ende sein Kopf war - deutete wie ein ausgestreckter Finger auf mich. Und plötzlich begann er auf mich zuzukriechen. Der Boden begann zu dampfen, als er die Lavapfütze hinter sich ließ; eine Spur dunkelroter, wabernder Glut blieb zurück, wo er über den erstarrten Fels kroch.
Ich erwachte erst aus meiner Starre, als die unglaubliche Erscheinung schon gut die Hälfte der Grube durchquert hatte und sich die Hitze, die sie ausstrahlte, quälend bemerkbar zu machen begann. Mit einem Schrei sprang ich zur Seite, rannte zum anderen Ende der Grube und preßte mich gegen die Wand. Der Lavawurm erstarrte. Einen Augenblick blieb er reglos liegen, dann erhob er sich ein Stück und begann erneut mit diesen pendelnden, suchenden Bewegungen.
Und kroch abermals auf mich zu.
Es war wie in einem Alptraum. Das Ungeheuer war nicht schnell, sondern bewegte sich beinahe träge über den Boden, aber ganz gleich, wohin ich auch auswich, folgte es mir, stur wie ein Automat, und scheinbar ohne das Wort Ungeduld oder Ermüdung zu kennen, während meine eigenen Kräfte schon nach wenigen Minuten nachzulassen begannen.
Hinzu kam, daß die Temperaturen langsam, aber unerbittlich stiegen, denn dort, wo der Wurm entlangkroch, begann der Boden zu glühen. Und er kühlte nicht etwa wieder ab. Die Glut blieb, so daß der Boden der Grube schon bald von einem Wirrwarr weißglühender, sich überschneidender und kreuzender Linien bedeckt war. Der Augenblick, in dem es nichts mehr geben würde, wohin ich ausweichen konnte, war abzusehen.
Meine Gedanken überschlugen sich. Was ich sah, war völlig unmöglich - ein lebendes, sich bewegendes Wesen, dessen Körpertemperatur der von geschmolzener Lava entsprach; ein Schlag ins Gesicht aller Naturgesetze. Aber es war Realität - und es kam näher. Ich mußte aus dieser Fallgrube heraus, ganz gleich, wie! Aber ihre Wände waren acht Yards hoch und so glatt wie poliertes Glas.
Wieder kam der Wurm näher. Seine Bewegungen waren um eine Winzigkeit schneller geworden; fahriger, als ließe seine Geduld allmählich nach, und das Stück Boden, das noch nicht zu heiß war, um darauf stehen zu können, schmolz unbarmherzig zusammen! Noch wenige Minuten, und das Ungeheuer hatte mich in eine Ecke getrieben wie eine Katze eine Maus. Wenn es mich berührte...
Über mir erscholl ein gellender Schrei. Abrupt hob ich den Kopf.
Auf dem Rand der Fallgrube waren drei Gestalten erschienen, schwarze Schatten, von denen ich nichts weiter erkennen konnte, als daß sie miteinander kämpften!
»Halte durch, Robert!« schrie eine Stimme. »Ich hole dich raus!«
Der Schrei gab mir noch einmal neue Kraft. Ich wartete, bis der Höhlenwurm so dicht an mich herangeglitten war, daß ich vor Hitze aufstöhnte, raffte all meine verbliebene Kraft zusammen und setzte mit einem verzweifelten Sprung über die satanische Kreatur hinweg.
Ein wütendes Zischen ertönte. Die Bestie zuckte hoch, als versuche sie mich noch im Sprung zu erreichen. Ihr glühender Körper streifte mein Bein. Ein furchtbarer Schmerz zuckte bis in meine Hüfte hinauf, Ich fiel, überschlug mich und prallte gegen die Wand. Flammen schlugen aus meiner Hose. Ich stemmte mich hoch und schlug sie mit bloßen Händen aus.
Abermals erklang über mir ein Schrei, und plötzlich war eine der drei Gestalten verschwunden. Sekunden später taumelte die zweite, riß die Arme in die Luft, stürzte nach hinten und prallte dicht neben dem glühenden Wurm auf den Boden! Mit einem Zischen bäumte sich die Kreatur auf wie eine angreifende Kobra - und warf sich mit einem Satz auf die reglose Gestalt!
»Robert! Fang!«
Der Schrei ließ mich aufblicken. Ich sah einen Schatten auf mich zufliegen, griff instinktiv zu und fühlte ein Seil unter meinen Fingern.
Der Ruck, mit dem das Tau straffgezogen wurde, riß mir schier die Arme aus den Gelenken. Hastig versuchte ich mit den Beinen Halt an der Wand zu finden, um meinen geheimnisvollen Retter zu unterstützen, aber das schien ihm zu langsam zu gehen. Wie eine leblose Last zerrte er mich auf die Mauer hinauf, ergriff mich schließlich unter den Achseln und stellte mich mit einem Ruck auf die Füße.
Und in diesem Moment erkannte ich ihn.
»Shannon!«
Der junge Drachenkrieger machte eine hastige Bewegung mit der Hand, als ich weitersprechen wollte. »Jetzt nicht, Robert«, sagte er. »Wir müssen raus hier! Schnell!« Achtlos ließ er das Seil fallen, mit dem er mich aus der Grube gezogen hatte, und gab mir einen Stoß, der mich weitertaumeln ließ.
Trotzdem wandte ich noch einmal den Blick und sah in die Grube hinab.
Der Anblick ließ mich aufstöhnen.
Der unglückselige Mann, den Shannon in die Tiefe gestoßen hatte, war verschwunden, und statt seiner brodelte eine gewaltige Lache aus weißglühender Lava auf dem Boden, in dessen Zentrum sich ein schreckliches, wurmähnliches Etwas wand, fünfmal so groß wie die Kreatur, die aus dem Ei gekrochen war.
Und plötzlich begriff ich den Sinn dieses ganzen schrecklichen Labyrinthes...
Shannon gab mir keine Gelegenheit, meinem Entsetzen Ausdruck zu verleihen, sondern packte mich am Arm und rannte los.
Hinter uns erklang ein ganzer Chor wütender Stimmen, und als ich mich umsah, erkannte ich mehr als ein Dutzend zerlumpter Gestalten, die aus allen Richtungen zugleich auf uns zustürmten, angeführt von Dagon selbst. Trotz der großen Entfernung glaubte ich zu erkennen, daß seine riesigen Fischaugen vor Zorn leuchteten.
Wir kämpften uns bis zum Ende der Labyrinthhöhle durch, und Shannon stürzte wahllos in den ersten Gang, der sich in der Felsenwand auftat. Hitze und Licht blieben hinter uns zurück, aber das wütende Grölen der Verfolger blieb.
Der Weg schien kein Ende zu nehmen. Ich wußte längst nicht mehr, wie Shannon das Kunststück fertigbrachte, in der fast totalen Finsternis nicht die Orientierung zu verlieren; vielleicht wußte er auch selbst nicht, wohin wir eigentlich rannten, sondern stürzte nur ziellos weiter. Gleichwie - irgendwann, sicher nach einer Viertelstunde oder länger, verklang der Chor der Verfolger allmählich hinter uns, und schließlich blieb Shannon stehen, ließ meine Hand los und wandte sich schweratmend um, um in den Gang zurückzublicken.