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Ich schlug seine Warnung keineswegs in den Wind, sondern nahm sie sehr ernst. Aber so aufmerksam ich mich auch umsah, es schien nichts zu geben, was mir irgendwie gefährlich werden konnte. Ich sah nicht einmal einen Fisch. Der See schien in weitem Umkreis um die gestrandete NAUTILUS wie ausgestorben.

Wieder fiel mir die mattschwarze Färbung des Schiffsrumpfes auf. Das blauschimmernde Metall, aus dem das phantastische Schiff gebaut war, war blind und farblos geworden, und zwar überall, nicht etwa nur hier und da, was auf die Spuren einer Explosion hingedeutet hätte. Neugierig - und wider besseres Wissen - schwamm ich dicht an den Rumpf der NAUTILUS heran und streckte die rechte Hand aus. Der Stahl des Schiffsrumpfes glänzte noch wie früher, aber er war zur Gänze unter einer dünnen, lederartigen schwarzen Schicht verschwunden, die das Schiff wie eine zweite Haut aus Gummi überzog und sich jeder Kante, jedem Vorsprung und jeder Niete anpaßte.

Und eine Sekunde später wußte ich auch, wovor mich Nemo hatte warnen wollen.

Im selben Augenblick, in dem meine Finger die schwarze Schicht berührten, lief eine zuckende Bewegung durch die Masse, und etwas wie ein fingerloser Arm schnappte hoch und schmiegte sich sanft, aber trotzdem sehr kraftvoll, um mein Handgelenk.

Verzweifelt warf ich mich zurück, aber so dünn und weich das schwarze Material aussah, so zäh war es in Wirklichkeit. Mein Arm saß so unverrückbar in der Masse fest, als wäre er angewachsen.

Und dann sah ich etwas, das mir schier das Blut in den Adern gerinnen ließ...

Die schwarze Gallerte umschloß meine Hand und einen Teil meines Unterarmes wie ein widerlicher Handschuh, aber sie gab sich nicht damit zufrieden, mich einfach festzuhalten, sondern kroch, langsam, aber unaufhaltsam, an meinem Arm empor!

Ich schrie auf und begann wie von Sinnen mit den Beinen zu strampeln - mit dem einzigen Ergebnis freilich, daß meine Füße den Schiffsrumpf berührten und ich plötzlich auch dort festklebte. Ich bäumte mich auf, zerrte und zog mit aller Gewalt, kam aber keinen Zoll frei, sondern spürte im Gegenteil, wie das ekelige Zeug immer schneller an meinem Arm und den Beinen emporfloß. Plötzlich mußte ich an die toten Männer denken, die ich auf dem Meeresgrund gesehen hatte, vermeintlich vom Gewicht ihrer Anzüge gehalten, vielleicht aber auch von etwas anderem...

Plötzlich bemerkte ich einen Schatten, fuhr herum, soweit es meine unglückliche Lage zuließ, und - war ich schon übergeschnappt vor Angst? Ich traute meinen Augen nicht, als ich die breitschultrige Gestalt in dem Taucheranzug erkannte, die sich mir mit hektischen Schwimmbewegungen näherte.

Der Mann gestikulierte heftig mit den Armen, und obwohl ich die Bedeutung seiner Gesten in diesem Moment nicht begriff, tat ich wohl instinktiv das Richtige, indem ich aufhörte, mich zu bewegen, denn er nickte zufrieden, löste einen gläsernen Behälter von seinem Gürtel und schraubte etwas auf sein oberes Ende, das wie eine übergroße Insektenspritze aussah. Er schwamm in weitem Bogen um mich herum, hielt in respektvollem Abstand zum Rumpf des Schiffes inne und hob sein sonderbares Instrument.

Als er es betätigte, schoß eine Wolke einer gelblichen Flüssigkeit hinaus, verteilte sich im Meerwasser und senkte sich als feiner Nebel auf den schwarzen Überzug der NAUTILUS.

Wo sie ihn berührte, begann das Zeug zu verdorren, wurde grau und schrumpelig und löste sich in Sekundenschnelle in grauen schmierigen Schleim auf. Mein Retter nickte zufrieden, schwamm abermals um mich herum und betätigte seine sonderbare Waffe erneut, wobei er die Strömung ausnutzte, um die Flüssigkeit auf eine möglichst große Fläche zu verteilen.

Dann berührte etwas von dem gelben Zeug meine Haut. Und ich schrie vor Schmerz.

Es war nur ein Spritzer, den ich abbekam, aber er brannte sich wie glühendes Eisen in meinen Arm und hinterließ eine sixpencegroße, heftig blutende Wunde.

Es war Säure, nichts anderes als Säure, was der Mann auf das schwarze Etwas spritzte, eine Säure, die scharf genug war, selbst den Rumpf der NAUTILUS anzugreifen, wo sie ihn durch die häßlichen Lücken, die plötzlich in dem schwarzen Überzug klafften, berührte.

Dann begannen meine Hände zu schmerzen. Zuerst war es nur ein Brennen, aber es steigerte sich in Sekunden zur Raserei, so daß ich abermals vor Pein aufschrie. Der schwarze Überzug, der mich hielt, begann grau und brüchig zu werden, denn die Säure tötete nicht nur da, wo sie die Plasmamasse unmittelbar berührte, sondern schien sich in ihr weiterzufressen, aber im gleichen Maße, in dem er zerfiel, steigerte sich auch der Schmerz in meiner Hand, und als der schreckliche schwarze Handschuh schließlich abfiel, war meine Hand bis hinauf zum Ellbogen rot von meinem eigenen Blut.

Ich war halb besinnungslos, als der Taucher mich unter den Armen ergriff und mit einem heftigen Ruck losriß. Wie in Trance registrierte ich, wie er mich ein gutes Stück fort von der NAUTILUS und gleichzeitig nach unten zog, zu ihrem Heck und der Tauchkammer hin.

Meine Sinne schwanden, kurz nachdem wir in das Schiff eingedrungen und in die halb geflutete Schleuse geschwommen waren. Aber sie schwanden trotz allem nicht schnell genug, um mich nicht das Gesicht meines Retters erkennen zu lassen. Sei nes und das der zweiten, ebenfalls in einen Unterwasseranzug gehüllten Gestalt, die in der Kammer auf uns gewartet hatte.

Es waren die Gesichter von zwei Menschen, die ich nur zu gut kannte.

Die von Howard Phillips Lovecraft und seines Leibdieners Rowlf.

Das Haus war still. Die Geräusche, die von der Straße hereindrangen und düstere Geschichten erzählten, klangen gedämpft und sonderbar unwirklich; selbst das Licht wirkte blaß und seine Schatten länger und tiefer, als normal war.

Several dachte einen Moment lang fast interessiert über die sonderbare Verfassung nach, in der sie sich befand. Ihr Zustand war... erschreckend. Auf der einen Seite sah sie ihre Lage ganz klar, mit fast wissenschaftlicher Präzision. Auf der anderen war sie halb von Sinnen vor Angst und Entsetzen. Aber es war eine ganz andere Art von Angst, als sie sie bisher gekannt hatte.

Eine Art Taubheit des Geistes, die ihr logisches Denkvermögen zur gleichen Zeit zu lahmen wie zu schärfen schien. Es war verwirrend.

Sie sah zur Uhr. Es war fast elf, und der Gesang vom Marktpla tz her war im Laufe der letzten Stunde immer lauter und lauter geworden. Wenn die Mitternacht herankam, würde er zu einem dröhnenden Chor geworden sein, dem fanatischen Schreien aus Hunderten und Aberhunderten von Kehlen, mit dem sie IHN riefen.

Several runzelte verwirrt die Stirn, als ihr die Bedeutung dieses Gedankens klar wurde. Woher wußte sie das? Woher wußte sie mit einem Mal Dinge, die sie gar nicht wissen konnte? Sie kam zu keinem befriedigenden Ergebnis und verschob die Lösung dieses neuerlichen Rätsels auf später; wie die so vieler. Robert hatte gesagt, daß sie bis kurz vor Sonnenaufgang warten sollte, ohne das Haus zu verlassen, und irgend etwas war an seiner Art zu reden gewesen, was es ihr unmöglich machte, nicht zu gehorchen.

Sie stand auf und wollte zum Fenster gehen, aber noch bevor sie es erreichte, hörte sie die Tür im Erdgeschoß und blieb wieder stehen. Eine Stimme sagte etwas, das sie nicht verstand, und kurz darauf polterten die schweren Schritte von zwei oder auch drei Männern die Treppe hinauf. Several drehte sich zur Tür. Seltsam - sie hätte Angst haben müssen, aber sie fühlte nichts, nicht einmal Erschrecken.

Nicht einmal, als die Tür aufging und die hochgewachsene Gestalt unter der Öffnung erschien. In ihr war nur ein sonderbares Gefühl, als wäre etwas eingetroffen, worauf sie schon lange gewartet hatte.

»Komm mit mir, Several«, sagte McGillycaddy.

Several gehorchte.

Ich hatte das Gefühl, nicht sehr lange ohne Bewußtsein gewesen zu sein. Ich fror erbärmlich, und nach der Kälte war das nächste, was ich fühlte, ein brennender Schmerz, als hätte ich einen nadelgespickten Handschuh über die rechte Hand gestreift. Ich blinzelte, unterdrückte ein Stöhnen und öffnete vorsichtig die Augen. Mildes elektrisches Licht erfüllte den Raum, in dem ich mich befand. Knapp zwei Meter über meinem Kopf spannte sich eine leichte gebogene Decke aus poliertem Metall, und rechts von meinem Bett war ein rundes, jetzt allerdings sorgsam mit einem schweren samtenen Vorhang abgedecktes Bullaugen-Fenster.