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Der Anblick ließ meine Erinnerungen schlagartig zurückkehren. Erschrocken setzte ich mich auf - und fiel ziemlich unsanft wieder in die Kissen zurück, als mir jemand einen Stoß vor die Brust versetzte. Eigentlich war es kein wirklicher Stoß, sondern nur ein sanfter Schubser, aber benommen, wie ich war, ließ er eine Woge rasender Wut in mir aufsteigen.

»Bleiben Sie liegen, junger Mann«, sagte eine Stimme neben mir. Zornig wandte ich den Kopf und blickte in ein streng geschnittenes Gesicht mit fast schwarzer Haut und kurzem krausen Haar.

»Was soll das?« fragte ich ärgerlich. »Ich...«

»Was das soll, kann ich Ihnen erklären«, unterbrach mich mein Gegenüber. »Ich habe mir die Freiheit genommen, Ihnen eine Injektion zu geben, die Ihre Schmerzen lindert. Aber Sie sollten noch zehn Minuten warten, bis das Medikament wirkt. Sonst wird Ihnen nämlich so übel wie noch nie zuvor in Ihrem Leben, mein Freund.«

Verwirrt starrte ich den Farbigen an, dann grub ich den Arm unter der Bettdecke hervor und hob ihn vor die Augen. Meine rechte Hand war unter einem weißen Verband verschwunden, der sich fast bis zum Ellbogen hinaufzog und so stramm angelegt war, daß ich nicht einmal einen Finger bewegen konnte. Und er tat verdammt weh.

»Wer sind Sie?« fragte ich, schon etwas friedlicher gestimmt. »Und was ist geschehen?«

Mein Gegenüber lächelte freundlich. »Mein Name ist Obote«, sagte er. »Ich bin Arzt. Und ich denke, ich hole Ihnen jemanden, der Ihnen alles viel besser erklären kann.« Er stand auf, ließ seine Injektionsspritze nachlässig in der Tasche seines weißen Kittels verschwinden und ging zur Tür, blieb aber noch einmal stehen und sagte: »Aber tun Sie sich selbst und dem armen Matrosen, der diesen Raum sauberhalten muß, einen Gefallen und bleiben Sie liegen, Mister Craven.«

Damit verschwand er, und ich blieb allein zurück. Neugierig sah ich mich um. Ich war nicht in der Kabine, in der ich mich bei meinem ersten Besuch auf der NAUTILUS aufgehalten hatte. Diese Kammer war größer und sehr viel kostbarer eingerichtet. Das Bett, in dem ich erwacht war, schien handgeschnitzt und mußte mindestens hundert Jahre alt sein, und in den Bildern, die die Metallwände zierten, glaubte ich einige alte Meister zu erkennen, obgleich ich alles andere als ein Kunstkenner war. Die Einrichtung war spärlich, aber erlesen genug, dem Buckingham-Palast zur Zierde zu dienen. Ich vermutete, daß es sich um Nemos Privatkabine handelte.

Ich wartete etwa zehn Minuten, bis das halbrunde Metallschott wieder zur Seite glitt und den Weg für Nemo freigab. Der schlanke Kapitän der NAUTILUS lächelte übertrieben, als er meinem Blick begegnete, kam näher und streckte die Hand aus.

Ich beachtete sie gar nicht. Denn im selben Moment war mein Blick auf die beiden Gestalten gefallen, die hinter Nemo den Raum betraten.

Ich stieß überrascht die Luft zwischen den Zähnen hervor.

»Das ist doch...« Ich vergaß die Warnung des Arztes, setzte mich abrupt auf und fiel um ein Haar in Nemos Arme, als mir prompt schwindelig wurde. Mühsam rappelte ich mich hoch, stützte mich auf den unverletzten linken Arm und starrte fassungslos die so wohlbekannten Gesichter an.

»Howard! Rowlf!« murmelte ich. »Wie zum Teufel...«

Die Vision, die ich gehabt hatte, kurz bevor mir die Sinne schwanden, war keine Vision gewesen!

»Nun, mon Ami«, sagte Nemo freundlich, »wenn Sie sich kräftig genug fühlen, können wir vielleicht reden.«

Ich hörte nicht einmal hin, sondern starrte nur abwechselnd Rowlf und Howard an, die vor meinem Bett standen und auf mich herabblickten. »Aber... aber wie... wie kommt ihr hierher?« stammelte ich. »Was... was bedeutet das alles?«

»Sei froh, daß wa hier sin«, polterte Rowlf auf seine unnachahmlich freundliche Art. »Wenn nicht, wärse nämlich jetz Fischfutter, weisse?«

»Du... du hast mich gerettet«, murmelte ich. »Du warst der Mann, der mich von diesem Zeug befreit hat.«

Rowlf nickte. »Warich«, sagte er. »Dich kamma wirklich nichn Moment alleinlassn, ohne dasse inne Bredouille geräts, wie?«

Verwirrt starrte ich ihn an, dann wandte ich mich an Howard. Er ahnte wohl, welche Fragen mir auf der Seele brannten, denn er hob rasch den Arm.

»Später«, sagte er. »Ich erkläre dir alles, Robert, aber im Moment ist keine Zeit dazu.«

Ich brannte vor Neugier und Ungeduld, aber etwas sagte mir, daß Howards Worte wirklich so ernst gemeint waren, wie sie sich anhörten, und so wandte ich mich wieder an Nemo. »Was ist passiert?« fragte ich. »Wieso liegt die NAUTILUS noch hier, und was ist mit Dagon?«

Nemos Gesicht verdüsterte sich. »Dagon hat wenig damit zu tun«, sagte er düster. »Ich fürchte, die Hauptschuld an unserem Unglück liegt bei mir.«

»Sie haben Dagon unterschätzt«, vermutete ich.

Nemo lachte, aber es klang nicht besonders amüsiert. »Unterschätzt?« Er schüttelte heftig den Kopf. »Keineswegs, mein Junge. Dagon trägt nicht die Schuld an unserer Havarie.«

»So?« frage ich zweifelnd. »Ich kann mich täuschen, aber ich hatte den Eindruck, daß ihr neuer Tarnanstrich von Dagon ausgeführt wurde.«

Howard lachte leise, während mich Nemo einen Moment irritiert anstarrte, bis er begriff, was ich meinte. »Ach das«, sagte er. »Natürlich - diese Kreatur gehört zu ihm. Aber wir wußten davon und wären längst nicht mehr hiergewesen, wenn alles nach Plan verlaufen wäre.«

»Und was hat Ihre Pläne gestört?« fragte ich.

»Spears«, antwortete Nemo ernst.

»Spears? Aber wieso?«

»Ich ließ ihn zu meiner unterirdischen Basis bringen«, erklärte Nemo, »um mich später mit ihm zu unterhalten. Aber ich fürchte, ich habe ihn unterschätzt, Robert. Es gelang Spears, aus seiner Unterkunft zu entfliehen. Das allein wäre noch keine Katastrophe gewesen, obgleich er einen meiner Männer getötet hat, denn meine Basis liegt hundert Yards unter dem Meeresspiegel. Aber dann geschah etwas, was niemals hätte geschehen dürfen.«

»Und was?« fragte ich, als Nemo nicht weitersprach, sondern mich nur gewichtig ansah.

Nemo atmete tief ein. »Es gelang ihm, sich an Bord der NAUTILUS zu schleichen«, sagte er. »Niemand hat es bemerkt. Er war hier, als wir in den See einliefen und Dagon und seine Kreaturen angriffen.«

Wieder sprach er nicht weiter, aber diesmal war es keine rein rhetorische Pause; er starrte an mir vorbei, und seine Lippen preßten sich zu einem schmalen Strich zusammen. Die Erinnerung mußte ihm sehr unangenehm sein.

»Er muß den Verstand verloren haben«, murmelte er. »Er schlich sich in die Zentrale, nahm einen Schraubenschlüssel und zertrümmerte das Steuerpult.«

»Mit einem Schraubenschlüssel?« vergewisserte ich mich. »Sie wollen sagen, daß ein einzelner Mann mit einem ordinären Schraubenschlüssel ein Wunderschiff wie die NAUTILUS außer Gefecht setzen konnte?«

Nemo nickte betrübt. »Ich fürchte, es ist so. Es war eine Verkettung unglücklicher Zufälle, die niemand einkalkulieren konnte, aber Tatsache ist, daß die NAUTILUS seit annähernd sechzehn Stunden bewegungsunfähig ist.«

»Aber Ihre Mechaniker kriegen sie doch wieder flott, oder?« fragte ich.

Nemo nickte. »Das ist nicht das Problem. Der Schaden ist groß, zudem Spears Angriff einige Kurzschlüsse hervorgerufen hat, die wiederum andere Teile des Schiffes in Mitleidenschaft zogen, aber es ist nicht so schlimm, daß wir hier nie wieder wegkämen. In acht, spätestens zehn Stunden ist die NAUTILUS wieder manövrierfähig; zumindest notdürftig.«