»Dagon!« antwortete ich. »Das sind Dagons Geschöpfe, Shannon! Er... er greift an!«
Shannon fuhr herum. Sein Gesicht war schreckensbleich, aber seine Antwort ging im neuerlichen, urgewaltigen Brüllen der Flammen unter, als die Erde gleich an einem Dutzend anderer Stellen aufbrach, Lava und Hitze und grauenhafte Wurmgeschöpfe ausstoßend. Plötzlich meinte ich auch am Grunde des Risses drüben am Waldrand lodernde rote Bewegung wahrzunehmen.
Es war die Hölle. Männer, Frauen und Kinder irrten ziellos und schreiend durcheinander, und mehr als ein Eingeborener versank lautlos in rotglühender Lava. Zwei, drei der aus trockenem Geäst erbauten Hütten fingen Feuer; Gestalten rannten kreischend an uns vorüber, und ein kleines Grüppchen beherzter Männer versuchte gar, sich den höllischen Kreaturen entgegenzuwerfen und begann mit Bögen auf die zehn Yards langen Ungeheuer zu schießen.
Die schlanken Holzpfeile fingen Feuer, lange ehe sie die glühenden Leiber der Ssaddit überhaupt erreichten, aber die Kreaturen schienen instinktiv zu spüren, daß sie angegriffen wurden, denn sie hielten für einen Moment in ihrem stummen Vormarsch inne - und wandten sich den Majunde zu, die auf sie geschossen hatten!
Es war ein Bild wie aus einem Alptraum. Die bronzefarbenen Krieger wichen Schritt für Schritt vor der unsichtbaren Hitzewoge zurück, die den Ungeheuern vorauseilte, und obgleich sie erkennen mußten, wie sinnlos ihr Tun war, schössen sie Pfeil auf Pfeil auf die Bestien ab ohne sie indes auch nur verletzen zu können. Mit zuckenden Bewegungen krochen die Kreaturen heran, eine Spur aus geschmolzener Erde und brennenden Steinen hinterlassend. Es waren vier, angeführt von einem besonders großen Exemplar, dessen vorderes, augenloses Ende sich immer wieder wie der Kopf eines blinden Wurmes in die Höhe erhob und witternd hierhin und dorthin stieß.
Der Anblick schlug mich so stark in seinen Bann, daß Shannon mich grob an der Schulter packen und herumreißen mußte, um mich aus meiner Starre zu wecken. »Zum See!« brüllte Shannon über das Prasseln der Flammen und das Schreien der Majunde hinweg. »Schnell!«
Wie von Furien gehetzt, rannten wir los. Der See war nur wenige Dutzend Schritte entfernt, aber die Majunde reagierten in ihrer Panik wie erschrockene Tiere - nämlich genau richtig - und suchten wie wir instinktiv im Wasser Schutz vor der Hitze und den heranrückenden Höllenkreaturen.
Die flache Böschung, die den etwas höher gelegenen See vom Ort trennte, war von gleich Dutzenden fliehender Männer und Frauen blockiert, und unmittelbar vor meinen entsetzt aufgerissenen Augen stürzte eine alte Frau zu Boden und wurde von den Nachdrängenden zu Tode getrampelt. Etwas traf mich in die Rippen und ließ mich vor Schmerz aufstöhnen, und für einen kurzen Moment erkannte ich eine hochgewachsene, in einen bunten Mantel gehüllte Gestalt zwischen den flüchtenden Majunde, deren Gesicht hinter einer hölzernen Maske verborgen war. Eine Hitzewelle folgte uns. Die Luft stank so nach Rauch und brennender Erde, daß ich kaum mehr zu atmen vermochte.
Mit letzter Kraft stolperte ich den geröllübersäten Hang hinauf, kämpfte mich mit Händen und Ellbogen zwischen den Majunde hindurch und taumelte ins Wasser. Mein Rücken schien in Flammen zu stehen; ich bildete mir ein, meine Haare in der Hitze knistern zu hören, und der Himmel über dem Dorf strahlte im Widerschein der Lava, als hätte das Firmament selbst Feuer gefangen. Erst als ich fast bis zur Hüfte ins Wasser gewatet war, wagte ich es, stehenzubleiben und mich umzudrehen.
Der gesamte Ort stand in Flammen. Und längst nicht alle Eingeborenen waren in den See geflohen. Es mußten noch Dutzende sein, die in kopfloser Panik zwischen den brennenden Hütten umherliefen, verzweifelt auf der Flucht vor den riesigen, brennenden Wurmungeheuern und den Rissen, die in der Erde klafften. Ein ganzer Teil des Ortes war abgeschnitten, von allen Seiten umgeben von breiten Schluchten voller rotglühender Lava, und überall zwischen den brennenden Gebäuden war der Boden aufgebrochen, Ssaddit in allen nur denkbaren Größen ausspeiend.
»Das ist der Fluch der Weißen Teufel!« gellte eine Stimme hinter mir. »Ich habe es euch gesagt! Sie haben den Tod gebracht! Sie sprachen von Hilfe, und jetzt seht, was sie euch getan haben!« Mit einem Fluch fuhr ich herum. Die Gestalt des Magiers stand hoch aufgerichtet auf der Uferböschung, vom Widerschein des brennenden Dorfes in ein unheimliches Licht getaucht. Seine Stimme überschlug sich beinahe, als er nacheinander auf Shannon und mich deutete.
»Es ist ihre Schuld!« kreischte er. »Sie waren es, die die fremden Dämonen zu uns geführt haben! Vernichtet sie!«
Ein wütenden Aufschrei ging durch die Menge der Eingeborenen. Fäuste wurden geschüttelt, und mit einem Male blitzten Messer und Pfeilspitzen in der Nacht. Sieben, acht Majunde-Krieger drangen auf Shannon und mich ein.
Ich duckte mich unter einem Messerstich hinweg, packte den Burschen am Arm und tauchte ihn so kräftig unter, daß er seine Waffe fallen ließ; beinahe gleichzeitig stieß ich einem zweiten die flache Hand vor die Brust, daß er mit wild rudernden Armen nach hinten kippte und ins Wasser klatschte.
Aber es war ein Kampf ohne die geringste Chance. Das hüfthohe Wasser behinderte mich, und selbst wenn es anders gewesen wäre - Shannon und ich standen einer fast fünfzigfachen Übermacht gegenüber. Selbst für zwei so hochtrainierte Kämpfer wie uns ein wenig zu viel. Binnen weniger Augenblicke waren wir von Dutzenden von Männern und Frauen umringt, die mit Keulen, Messern und bloßen Fäusten auf uns eindrangen.
Ich wehrte mich, so gut es ging; boxte, schlug und trat um mich, aber für jeden Majunde, den ich wegstieß, drängten zehn andere heran, und der Zauberer peitschte die Menge mit gellenden Schreien zu immer größerer Wut an. Die Situation war geradezu absurd - nicht einmal zwanzig Yards hinter diesen Männern und Frauen starben ihre Brüder, und sie hatten nichts anderes zu tun, als uns umzubringen!
Plötzlich schrie Shannon auf und riß die Arme in die Höhe. Ich war sicher, daß er die Männer vor sich dabei nicht berührt hatte; trotzdem wurden zwei von ihnen wie von Faustschlägen getroffen zurückgeschleudert, und auch die anderen prallten zurück. Mehr als einer verlor das Gleichgewicht und versank gurgelnd im Wasser.
Und dann spürte ich es auch.
Es war wie eine körperlose Woge der Furcht, die aus dem Nichts heranraste und meine Gedanken wie ein Tornado traf. Ich schrie auf, taumelte zur Seite und fiel. Für Sekunden geriet ich unter Wasser.
Als ich wieder auftauchte, bot sich mir ein völlig verändertes Bild. Der aufgepeitschte Mob, der uns noch vor Sekunden nach dem Leben getrachtet hatte, hatte sich in einen Haufen panikerfüllter Menschen verwandelt, die schreiend vor Shannon und jnir zurückwichen, gepackt von einem Entsetzen, das mit Worten nicht zu beschreiben war. Und auch ich spürte die Furcht. Ich ahnte, daß das, was ich empfand, nur ein schwaches Echo dessen sein konnte, was Shannon in die Gehirne der Majunde projizierte, und trotzdem krümmte ich mich vor Furcht und Grauen.
Das Gefühl war unbeschreiblich. Es war Angst, bloße, nur unbegründete und gerade daher um so schlimmere Angst, die jegliche Abwehr durchbrach und die tiefsten Abgründe meiner Seele berührte, die Urangst jeglicher lebenden Kreatur, erweckt zu lodernder Wut.
Dann hörte es auf. Shannon taumelte vor Erschöpfung, fing sich im letzten Moment wieder und deutete zornig auf den Majunde-Zauberer, der noch immer hoch aufgerichtet auf der Böschung stand.
»Du verdammter Narr!« schrie er. »Um euch vor dieser Gefahr zu warnen, sind wir hier! Es sind nicht unsere Dämonen, sondern eure und unsere Feinde, die eure Brüder töten!«
»Du lügst!« keuchte der Magier. »Du bist ein Weißer, und alle Weißen sind Teufel! Du lügst, um auch uns noch zu verderben. Aber ich werde dir beweisen, daß unsere Götter stärker sind als die euren. Ich werde die Dämonen vernichten! Sieh her!«