Damit wandte er sich um und sprang mit weit ausgebreiteten Armen von der Böschung hinunter, um in das brennende Dorf zurückzulaufen.
»Dieser Idiot!« keuchte Shannon. »Er wird ...« Er brach ab, ballte eine halbe Sekunde lang in stummer Wut die Hände zu Fäusten und watete dann ebenfalls los, zurück zum Ufer. Diesmal wichen die Eingeborenen beinahe panikerfüllt vor uns zurück. Niemand machte auch nur noch den Versuch, uns anzugreifen.
Die Hitze traf mein Gesicht wie eine glühende Hand, und meine Augen begannen zu tränen, als ich versuchte, auf den brennenden Ort hinunterzublicken. Das Gebiet vom See bis zum Dschungel hatte sich in ein Muster aus flammenden Tümpeln und gezackten, weiß- und rotglühenden Rissen und Spalten verwandelt, zwischen und in denen sich glühende Leiber wanden. Es mußten Hunderte sein; Ssaddit in allen nur denkbaren Größen. Dagon mußte den größten Teil seiner Armee aufgeboten haben, um das Majunde-Dorf zu überfallen. Shannon ergriff mich am Arm und deutete mit der anderen Hand auf den Zauberer, der lauthals schreiend und die Arme zu einer beschwörenden Geste erhoben auf den vordersten Höllenwurm zurannte. »Dieser Narrl« keuchte er. »Er wird sich umbringen!«
Sein Griff verstärkte sich, so sehr, daß ich aufstöhnte - und plötzlich machte irgend etwas ganz deutlich Klick hinter meiner Stirn.
Die Welt veränderte sich. Licht und Finsternis kippten um; aus hell wurde dunkel, aus dunkel hell, die Farben verschwanden, und ich sah alles nur noch wie in einer monochromen, noch dazu ins Negative verkehrten photographischen Aufnahme.
Es war nicht das erste Mal, daß ich durch Shannons Augen sah. Der Nachthimmel war zu einer weißen, sonderbar bleichen Fläche geworden, die brennenden Risse und Klüfte im Boden zu finsteren Schächten, die Dunkelheit wie übles Pestlicht verstrahlten, die Ssaddit zu schwarzen Kreaturen der Hölle, die Spuren aus vernichtender Dunkelheit hinterließen, wo sie über den hellen Erdboden krochen.
Dann spürte ich, wie etwas Unsichtbares, unglaublich Kaltes aus Shannon herauskroch und einen verborgenen Teil meiner Seele berührte, und mit einem Male hatte ich das Gefühl, ausgesaugt zu werden, binnen Sekundenbruchteilen jeglicher Kraft beraubt und leer. Ich taumelte. Wäre Shannons Hand nicht gewesen, wäre ich gestürzt.
Plötzlich schrie Shannon auf, riß den Arm in die Höhe und deutete mit Zeigefinger und Ringfinger auf den Riesenwurm, auf den der Zauberer zurannte. Etwas Schwarzes, körperloses Böses brach wie ein finsterer Blitz aus seinen Fingern, jagte an der rennenden Gestalt vorbei und traf den Ssaddit. Der Wurm explodierte.
Ein Keim tiefschwarzer Finsternis glomm in seinem Körper auf, fraß das matte Schwarz, in dem ich ihn in der bizarren Unicolor-Welt sah, die ich durch Shannons Augen erblickte, und zerriß seinen Körper.
Shannon deutete auf einen zweiten Ssaddit und schleuderte noch einmal einen Blitz purer, destruktiver Macht auf die Höllenkreatur.
Doch diesmal blieb die erhoffte Wirkung aus. Ich sah, wie sich die Bestie wie unter einem Stromschlag aufbäumte und sich in wilder Agonie zu winden begann, aber die lautlose Explosion, auf die ich wartete, kam nicht, und als ich mich zu Shannon umwandte, war sein Gesicht eine Maske aus Erschöpfung und Schrecken geworden. Keuchend ließ er meine Hand los, und die Welt schnappte mit einem fast schmerzhaften Ruck in die Normalität zurück.
»Ich schaffe es nicht!« stöhnte Shannon. »Sie sind zu stark. Irgend etwas schützt sie.«
»Aber du mußt sie aufhalten!« keuchte ich. »Sie werden uns umbringen, Shannon. Alle!«
Shannon nickte. Nervös fuhr er sich mit der Zungenspitze über die Lippen, starrte einen Moment an mir vorbei auf das chaotische Bild und nickte abgehackt. »Es gibt eine Möglichkeit«, sagte er. »Aber es ist riskant.« Er sah mich an. »Lauf und hol diesen verdammten Trottel da unten zurück, Robert. Wir brauchen ihn. Und beeil dich!«
Ich zögerte. Allein der Gedanke, in den lichterloh brennenden Ort zurücklaufen zu sollen, schien irgend etwas in mir zum Erstarren zu bringen. Aber Shannon hatte recht - wenn der Majunde-Magier starb, hatten wir keine Chance mehr, das Vertrauen der Eingeborenen zu gewinnen. Ich raffte allen Mut zusammen, hob schützend die Hände vors Gesicht - und rannte los.
Die Hitze spottete jeder Beschreibung. Ich bekam keine Luft mehr; meine Haare und Brauen und Wimpern schienen zu brennen. Halb blind von dem gleißenden Licht, das aus der geborstenen Erde drang, torkelte ich die Böschung hinab, setzte über eine brennende Erdspalte hinweg und versuchte die Gestalt des Magiers vor mir auszumachen. Es gelang mir, und er war nicht einmal sehr weit entfernt, kaum zwanzig Schritte, aber es waren zwanzig Schritte in die Hölle hinein. Als ich die Hälfte der Entfernung überwunden hatte, brach die Erde vor mir auf. Mit einem peitschenden Knall riß der Boden auseinander. Steinsplitter und Spritzer rotglühender Lava trafen mich. Etwas Großes, Helles bewegte sich in dem klaffenden Riß.
Ich dachte in diesem Moment nicht mehr, sondern reagierte rein instinktiv. Statt zurückzuprallen und so wahrscheinlich das Gleichgewicht zu verlieren und zu stürzen, was einem Todesurteil gleichgekommen wäre, warf ich mich nach vorn und stieß mich mit aller Kraft ab.
Es dauerte nur eine Sekunde, aber für mich verging eine Ewigkeit, und ich sah jedes noch so winzige Detail des Geschehens mit grausamer Klarheit. Der Riß weitete sich wie ein gierig schnappendes steinernes Maul, und ein ungeheuerliches weißglühendes Scheusal stieß seinen gesichtslosen Kopf aus der brodelnden Lava, gigantisch und heiß wie die Hölle und sich aufbäumend wie eine angreifende Kobra. Sein riesiges, zahn- und lippenloses Maul schnappte nach meinen Beinen und verfehlte sie um Haaresbreite, während ich mit einem verzweifelten Hechtsprung über die Kluft hinwegsetzte. Die Hitze ließ meine Kleider aufflammen.
Ich fiel, rollte mich instinktiv zur Seite und stieß mich mit aller Kraft ab, die ich unter normalen Umständen nicht zu einem Zehntel aufgebracht hätte. Hinter mir erklang ein gräßlicher, zischender Laut. Die Erde bebte, als der weißglühende Leib des Ssaddit wie ein brennender Fels dort niederkrachte, wo ich vor Bruchteilen von Sekunden noch gelegen hatte.
Wie von Sinnen sprang ich auf, setzte über ein kaum handlanges Exemplar von Dagons Höllenkreaturen hinweg und rannte im Zickzack auf den Majunde-Zauberer zu. Der Mann war gestürzt, als Shannon den Ssaddit zum Explodieren gebracht hatte, und er mußte verletzt sein, denn als ich näherkam und er mich erkannte, versuchte er sich auf Hände und Knie hochzustemmen, fiel aber mit einem wimmernden Laut wieder zurück und blieb verkrümmt liegen.
Ich vergeudete keine Zeit damit, ihn anzusprechen, sondern riß ihn an den Schultern in die Höhe.
Um ein Haar wäre es meine letzte Bewegung gewesen. In den Händen des Majunde blitzten plötzlich fünf Zoll rasiermesserscharf geschliffener Stahl, und zu den zahllosen brennenden Schmerzen gesellte sich ein weiterer, als der Dolch meine Kehle verfehlte und mir einen gehörigen Schmiß in der Wange zufügte.
»Hund!« kreischte er. »Du Teufel! Du hast die Dämonen gerufen, und dafür werde ich dich töten!«
Mein Geduldsfaden riß endgültig.
Als er das nächste Mal mit dem Dolch nach mir ausholte, verdrehte ich ihm das Handgelenk, bis er die Waffe fallen ließ, packte ihn grob mit der Linken und knallte ihm eine, daß seine Holzmaske in hohem Bogen davonflog. Dahinter kam ein schmales, erstaunlich junges Gesicht zum Vorschein. Ich lud mir seinen plötzlich erschlafften Körper wie eine leblose Last auf die Schulter und wandte mich um, um zum See zurückzulaufen.
Wenigstens wollte ich es.
Aber da, wo vor Augenblicken noch fester Boden gewesen war, brodelte plötzlich ein Teich aus kochender Lava. Ich drehte mich mit meiner leblosen Last herum - und erstarrte. Auch hinter mir war der Boden gerissen und erbrach Lava und die Glut der Hölle! Weißes Licht drang aus dem gezackten Riß und stach wie mit glühenden Nadeln in meine Augen, und die ätzenden Dämpfe, die aus der Erde quollen, verbrannten mir schier die Lungen.