»Helfen... sie mir«, stöhnte Roosfeld. Die Schwäche in seinen Gliedern wurde immer schlimmer, und hinter seinen Gedanken begann sich etwas Dunkles zusammenzuballen. »Helfen?« In Tergards Blick war kein Mitleid, als er den Kopf schüttelte. »Wie soll ich dir helfen, du Narr?« fragte er. »Wir sind meilenweit von der Garnison entfernt. Ich kann nichts für dich tun.«
Er stand auf, schob sein Schwert in den Gürtel zurück und wies mit einer herrischen Geste nach Westen, zum Gipfel des Krakatau. »Weiter!« befahl er. »Wir müssen vor Sonnenuntergang oben sein.«
Gehorsam wandten sich die Templer um und gingen, und nach einem letzten, mitleidlosen Blick auf Roosfeld drehte sich auch Tergard selbst um.
»Helfen sie mir!« flehte Roosfeld. »Sie... sie können mich doch nicht einfach hier zurücklassen.«
Beinahe war er überrascht, als Tergard tatsächlich noch einmal stehenblieb und zu ihm zurücksah. Aber plötzlich lächelte der Tempelherr; ein dünnes, grausames Lächeln, das Roosfeld beinahe mehr traf als der Schmerz, der nun allmählich in seinem Leib emporkroch.
»Doch, Roosfeld«, sagte Tergard leise. »Ich kann.«
Vor einer Stunde war der Dschungel hinter uns zurückgeblieben, und die letzte Meile der Strecke zum Gipfel hinauf waren wir durch eine Landschaft aus Felsen und scharfkantigen Lavatrümmern und jäh aufklaffenden Spalten geirrt, wie sie bizarrer kaum auf der Oberfläche eines fremden Sternes sein konnte.
Die Luft schmeckte scharf und brannte beim Atmen in den Lungen, und vom Himmel strahlte der blutigrote Widerschein der Lava auf uns herab.
Ich vermochte kaum noch zu gehen. Immer wieder verschwamm der Gipfel vor meinen Augen, und wäre Shannon nicht gewesen, der mich von Zeit zu Zeit sanft an der Stirn berührte und mir neue Kraft gab, wäre ich wahrscheinlich schon nach der Hälfte des Weges zusammengebrochen. Die Schmerzen kamen jetzt in Schüben, wie ein Bombardement kleiner, weißglühender Nadeln, die sich tief in meine Brust bohrten und sich meinem Herzen jedes Mal ein Stückchen weiter näherten, und wenngleich sie noch immer nicht so heftig waren, daß ich nicht mehr hätte weitergehen können, zehrten sie doch an meinen Kräften.
Oas Schlimme war, daß mir Shannon diesmal nicht helfen konnte. Er hatte es getan, unten im Lager, und den Schmerz vertrieben, aber es kostete ihn jedes Mal große Anstrengung, es zu tun. Und er konnte mich nicht ununterbrochen bewachen, während unser geheimnisvoller Feind nach Gutdünken zuschlagen konnte.
Oas hieß - so geheimnisvoll war unser Gegner gar nicht. Weder Yo Mai noch ich hatten eine Erklärung dafür gefunden, warum er mich nach allem, was er gesehen und gehört hatte, noch immer angriff, aber der wühlende Schmerz in meiner Brust bewies mir, daß er es tat. Vielleicht war Tergards hypnotischer Bann doch stärker gewesen, als wir angenommen hatten, oder der Haß auf alle Weißen war so stark in ihm, daß er keinen Unterschied mehr zwischen uns und Tergards Mörderbande machte. Vielleicht hatte er auch schlichtweg den Verstand verloren - was ihn nicht daran hindern würde, mich umzubringen, wenn wir ihn nicht rechtzeitig fanden. Unsere einzige Hoffnung war, daß Yo Mai und eine Handvoll seiner Leute uns begleitet hatten, um uns den Weg zu den heiligen Höhlen ihres Volkes zu zeigen. Im Moment allerdings zweifelte ich ernsthaft daran, ob wir diese Höhlen überhaupt noch erreichen würden. Der Hang wurde immer steiler, und auch das letzte Zeichen von Leben war längst hinter uns zurückgeblieben; wir stolperten über eine verbrannte, geborstene Landschaft, über die nach Schwefel stinkende Dämpfe trieben und von deren Himmel es manchmal Feuer regnete.
Obwohl die Sonne sank und unten im Tal längst die Dämmerung hereingebrochen sein mußte, war es hier oben noch immer taghell. Aber es war ein hartes, rotes Licht, das nicht vom Himmel, sondern aus dem Schlund des Vulkankraters vor uns kam, und es brachte eine erstickende Hitze mit sich.
Beides würde noch schlimmer werden, sobald wir den Grat überstiegen hatten, denn der Eingang der heiligen Höhlen lag auf der Innenseite des Kraters.
Die Sonne ging vollends unter, als wir den Grat überschritten und die Caldera des Krakatau unter uns lag - ein gigantisches, weit über eine Meile messendes Oval, dessen jäh in die Tiefe stürzende Flanken aus schwarzverbrannter, wie poliertes Glas schimmernder Lava bestanden und das von flüssigem Feuer erfüllt war.
Der höllische See tief unter uns war von brodelnder Bewegung erfüllt. Gewaltige, träge Blasen stiegen in dem geschmolzenen Stein hoch und zerplatzten, und manchmal schössen feurige Geysire hundert und mehr Yards steil in die Höhe und ließen Feuer und brennende Lavatropfen vom Himmel regnen. Ein dumpfes unablässiges Grollen schlug uns entgegen, ein Laut, der mich an das zornige Fauchen eines gewaltigen steinernen Ungeheuers erinnerte, das uns verschlingen würde, wenn wir ihm zu nahe kamen.
Plötzlich verstand ich, warum dieser flammenspeiende Berg für die Majunde ein Gott war. In gewisser Beziehung war er es wohl wirklich.
»Wo sind diese Höhlen?« wandte sich Shannon an Yo Mai, der dicht hinter uns den Hang hinaufgestiegen und zwischen Shannon und mir stehengeblieben war, um keuchend nach Atem zu ringen. Es erfüllte mich mit einer absurden Zufriedenheit, daß auch die anderen unter dem Biß der schwefelgesättigten Luft litten.
Yo Mai deutete nach rechts unten. »Dort«, sagte er. »Nicht sehr weit. Aber der Weg ist gefährlich. Laßt mich vorausgehen.«
Er machte einen Schritt, aber Shannon griff blitzschnell zu und hielt ihn zurück, mit einem so festen Griff, daß sich das Gesicht des jungen Majunde für Sekunden vor Schmerz verzerrte.
»Keine Tricks, Eingeborener«, sagte Shannon kalt. »Wenn du versuchst, uns zu hintergehen, endest du dort unten.« Er wies mit einer Kopfbewegung auf den See aus brennender Lava und stieß Yo Mai von sich, so heftig, daß dieser um ein Haar das Gleichgewicht verloren hätte.
Yo Mai starrte ihn eine Sekunde lang mit unverhohlenem Haß an. »Du täuschst dich, weißer Mann«, sagte er zornig. »Ich habe euch nicht begleitet, um euch zu helfen. Was unser Magier getan hat, hat unsere Ehre beschmutzt. Er hat die angegriffen, die unter unserem Schutz stehen, und unsere Gastfreundschaft gebrochen. Dafür werde ich ihn bestrafen. Ihr interessiert mich nicht.« Damit wandte er sich um und lief weiter, und Shannon und ich folgten ihm.
»Warum bist du so feindselig?« fragte ich. »Er meint es ehrlich.«
»Feindselig?« Einen Moment lang starrte mich Shannon wütend an, dann blickte er zu Boden, zuckte mit den Achseln und seufzte. »Du hast recht«, sagte er. »Entschuldige. Aber es wird... es wird alles zu viel. Verdammt, als ob es nicht genug wäre, gleichzeitig gegen Tergard und diesen irrsinnigen Fischanbeter zu kämpfen. Meine Nerven sind einfach nicht mehr die besten.«
»Vielleicht wirst du alt«, vermutete ich scherzhaft.
»Das hoffe ich«, antwortete Shannon. »Uralt sogar. Ich habe vor, im Bett zu sterben. Irgendwann in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts.« Er lachte, und nach wenigen Sekunden stimmte auch ich - wenn auch etwas gequält - in sein Lachen ein. Wir waren wohl beide überanstrengt und dadurch reizbarer, als gut war. Eine Sekunde später hörte ich auf zu lachen und griff haltsuchend nach Shannons, Hand, als ein neuer, greller Schmerz durch meine Brust schoß. Shannon fluchte, hielt mich mit der linken Hand aufrecht und fummelte mit der anderen an meinem Hals herum. Eine Sekunde später erlosch der Schmerz wie abgeschnitten. Keuchend rang ich um Atem. Diesmal war es schlimmer gewesen als zuvor. Noch zwei, drei solcher Attacken, dachte ich schaudernd, und es war aus.
»Geht es wieder?« fragte Shannon besorgt.
Ich nickte, schob seine Hand zur Seite und machte einen vorsichtigen Schritt. »Alles in Ordnung«, murmelte ich, mit einer Stimme, die meine Worte Lügen strafte. »Was ist das, Shannon? Welche Art von Magie benutzt er?«
Shannon runzelte die Stirn. »Eine, die er gar nicht kennen dürfte«, sagte er stockend. »Ich... habe davon gehört. Voodoo.«