Выбрать главу

Siebzehntausend Meilen entfernt und zwei Jahre später:

Der prunkvolle Sessel ächzte hörbar, als Nemo sich hineinfallen ließ. Der Kapitän der NAUTILUS schien um Jahre gealtert zu sein in der letzten Woche. Howard glaubte zu wissen, daß Nemo vor vier Tagen zum letztenmal geschlafen hatte.

»Nun, mein Freund?« fragte er. »Wie weit sind die Reparaturarbeiten an der NAUTILUS gediehen?«

Nemo zögerte einen Moment, ehe er antwortete, und Howard konnte ihm direkt ansehen, wie schwer es ihm fiel, sich auf Howards Frage zu konzentrieren.

»Wir sind... so gut wie fertig«, sagte er schließlich. »Soweit das mit unseren beschränkten Mitteln überhaupt möglich ist.«

»Das heißt, wir kommen hier heraus?« fragte Howard. Nemo nickte. »Ja. Aber mehr auch nicht. Um die NAUTILUS wieder voll manövrierfähig zu bekommen, müssen wir zur Basis zurück.«

»Gefällt mer nich«, mischte sich Rowlf ein. »Was is mittem Kleinen?«

»Monsieur Craven?« erkundigte sich Nemo verwirrt.

Rowlf nickte. »Sachich doch.«

»Meine Männer haben den See abgesucht«, sagte Nemo. »Und auch die Gebäude, die noch begehbar waren. Aber sie haben keine Spur von ihm gefunden. Es tut mir leid.«

»Dann sollnse noch mal suchen«, grollte Rowlf. »Ich denke ja nich dran, den Kleen' im Stich zu lassn. Immerhin hatter uns alln 's Leben gerettet, nich?«

»Das bestreitet niemand«, sagte Nemo, in einem Ton, als müsse er sich verteidigen. »Aber ich habe erstens nicht genug Leute, um den See so gründlich abzusuchen, wie es nötig wäre«, erklärte er, »und zweitens wäre es reichlich sinnlos. Wenn er noch lebt, ist er nicht mehr hier.«

»Wieso?«

»Weil der Sauerstoffvorrat, den er in seinem Tank hatte, nur für zwei Stunden ausreichte«, antwortete Howard an Nemos Stelle. »Nicht für vier Tage. Nemo hat recht, Rowlf - es hat keinen Sinn, weiter nach ihm zu suchen. Außerdem bin ich sicher, daß er noch lebt.«

Rowlf wollte abermals widersprechen, aber diesmal schnitt ihm Howard mit einer befehlenden Geste das Wort ab und wandte sich demonstrativ zur Tür, so daß Nemo und Rowlf ihm folgen mußten. Schweigend durchquerten sie die NAUTILUS und gingen die Treppe zum Salon hinauf. Der Raum hatte sich verändert, seit Howard das letzte Mal hiergewesen war. Die Bodenplatten, die herausgerissen worden waren, um den Mechanikern Zugang zu den beschädigten Teilen des Schiffes zu gewähren, waren wieder an Ort und Stelle, und auch das Kommandopult, von dem aus Nemo das gewaltige Unterseeboot steuern konnte, war wiederhergestellt worden. Es sah alles ein bißchen provisorisch aus, fand Howard, würde aber sicher seinen Dienst tun. Nemo ging schweigend an ihm vorbei, nahm hinter dem kompliziert aussehenden Pult Platz und fuhr beinahe liebkosend mit den Händen über die zahllosen Schalter, Stellräder und Tasten, die die polierte Metallfläche in nur scheinbarer Unordnung bedeckten.

»Wann geht es los?« fragte Howard.

Nemo zuckte mit den Achseln. »Sobald die Maschinen laufen. In einer Stunde, vielleicht zwei.« Sein Blick bohrte sich in das wogende Schwarz jenseits der riesigen Sichtscheiben, die beinahe die gesamten gegenüberliegenden Wände des Salons einnahmen. Die Außenscheinwerfer des Schiffes waren abgeschaltet worden, um die Batterien zu schonen, und jenseits der zollstarken Quarzglasscheiben herrschte nur die Nacht. Wenn man zu lange hinsah, dachte Howard schaudernd, dann begann sich die Dunkelheit zu bewegen, eigenes, amorphes Leben zu entwickeln, das nicht wirklich da war, sondern nur seinen eigenen Ängsten entsprang, deswegen aber keineswegs weniger schrecklich war. Er vertrieb den Gedanken, ließ sich auf einen freien Stuhl sinken und zog mit einer umständlichen Bewegung, eine dünne, schwarze Zigarre aus der Brusttasche seines Rockes. Nemo kommentierte die Bewegung mit einem finsteren Blick, enthielt sich aber jeder Bemerkung, auch, als Howard ein Streichholz anriß und den blauen Qualm mit sichtlichem Genuß inhalierte.

Ein sonderbares, lastendes Schweigen breitete sich zwischen den drei Männern aus, eine Stille, die sich wie eine unsichtbare Wand zwischen Howard und Nemo senkte, und die auch keiner von ihnen zu durchbrechen wagte.

Es war nicht nur die Erleichterung über ihre wundersame Genesung; nicht einmal nur die Sorge um Robert, die Howard mehr und mehr in düsteres Schweigen versinken ließ. Jetzt erst, als alles vorbei war, begann er den Druck zu spüren, unter dem Rowlf und er während der letzten Wochen gestanden hatten. Es war, als begreife er erst jetzt wirklich, was während dieser Zeit alles geschehen war.

»Kriegst du das Schiff wieder hin?« fragte er plötzlich. Nemo, der ebenso in seine eigenen Gedanken versunken gewesen war, fuhr mit einem sichtlichen Ruck auf. »Die NAUTILUS?« Er nickte, um seine eigene Frage zu beantworten. »Sicherlich. Schlimmstenfalls könnte ich sie neu bauen lassen, aber das wird nicht notwendig sein. Wir haben in der Basis alles, was wir brauchen, um das Schiff wieder seetüchtig zu machen.«

»Ich mache mir Vorwürfe«, gestand Howard. »Ich hätte dich niemals in diese Sache hineinziehen dürfen.«

»Unsinn«, widersprach Nemo. »Ich habe dich in diese Sache hineingezogen, wenn du es vergessen haben solltest. Als ich auf diese unterseeische Stadt und Dagons Kreaturen stieß, war mir sofort klar, daß ich deine Hilfe brauchen würde.«

»Das meinte ich gar nicht«, murmelte Howard.

»Aber du warst sicher. Die ganze Welt hielt dich für tot und die NAUTILUS für zerstört - bis du an Land gegangen bist, um Robert zu holen. Jetzt wird die ganze Hetzjagd von vorne beginnen.«

Seltsamerweise lächelte Nemo. »Du vergißt, daß du es warst, der mir diesen wahrhaft bühnenreifen Abgang auf Lincoln, der geheimnisvollen Insel, ermöglichte«, sagte er. »Überdies weiß bisher rein niemand, daß die NAUTILUS nach wie vor existiert. Und dabei wird es auch eine ganze Weile bleiben. Dieser Cyrus Smith und seine Leute waren von meinem Tod überzeugt, da bin ich mir sicher. Mein Gott, daß das schon 16 Jahre zurückliegt...«

Ein heller Gongton unterbrach Nemos gerade erst in Schwung gekommenen Redefluß. Der Kapitän der NAUTILUS drehte sich im Stuhl herum, griff nach dem Sprachrohr, das aus der rechten Seite des Kommandopultes wuchs, und sprach ein paar schnelle Worte in seiner Muttersprache hinein, die Howard nicht verstand, ebensowenig wie die Antwort, die Augenblicke später aus dem Rohr kam. Aber Nemo schien äußerst zufrieden, als er das Instrument zurücklegte.

»Wir können starten«, sagte er. »Die Maschinen werden in wenigen Augenblicken anlaufen. Aber bleibt bitte sitzen«, fügte er rasch hinzu, als sich Howard erheben wollte, um an seine Seite zu treten. »Es könnte ein wenig holprig werden. Wir müssen gegen die Strömung fahren, und ich habe nur ein Viertel unserer normalen Kraft zur Verfügung.«

Wie um seine Worte zu bestätigen, begann der Boden plötzlich ganz sanft zu zittern, und Sekunden später drang das erste, noch mühsame Pochen der großen Motoren an Howards Ohr. Der Laut schwoll rasch an und wurde schließlich zu einem machtvollen, monotonen Wummern, das den gesamten Leib der NAUTILUS wie das Schlagen eines riesigen stählernen Herzens ausfüllte. Trotzdem wartete Nemo noch beinahe fünf Minuten, ehe er sich endlich vorbeugte und mit raschen, routinierten Bewegungen Schalter und Hebel auf seinem Pult zu bedienen begann. Binnen Sekunden erwachte das Kommandopult zu blinkendem Leben.

Dann zerriß der grellweiße Kegel eines mächtigen Lichtstrahles das Dunkel jenseits des Fensters, als Nemo die Scheinwerfer einschaltete. Für Augenblicke sah Howard nichts außer schwarzem Wasser, in dem kleine, an tanzende Schneeflocken erinnernde weiße Partikel hüpften; darunter der dunkle, wie eine erstarrte Dünung gewellte Boden des Sees. Dann durchlief ein zweites, machtvolleres Zittern den gewaltigen Rumpf der NAUTILUS, und plötzlich quollen Schlammwolken in den Lichtstrahl der Scheinwerfer. Langsam, wie ein mächtiges stählernes Tier, das sich nur mühsam seiner Ketten entledigt, hob sich die NAUTILUS vom Seegrund, vollführte einen Schwenk um annähernd hundertachtzig Grad und begann, schneller werdend, auf den östlichen Rand des Sees zuzugleiten.