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Harmfeld atmete hörbar ein. »Ich weiß nicht, was Sie gedacht haben und warum«, sagte er gepreßt. »Und es geht mich auch nichts an. Legen Sie die Waffe weg und heben Sie die Hände.«

Shannon reagierte nicht. Aber ich spürte, daß eine sonderbare Veränderung mit ihm vonstatten ging. Er rührte nicht einen Muskel, aber mit einem Male schien eine fühlbare Spannung von ihm auszugehen. Von einer Sekunde auf die andere erinnerte er mich an ein Raubtier, das nur auf eine Gelegenheit wartete, loszuspringen.

»Das alles ist ein schrecklicher Irrtum, Leutnant«, sagte ich. »Wir haben nichts mit Eldekerks Tod zu tun. Ich wußte nicht einmal, daß...«

»Warum erzählen Sie das alles nicht dem Richter?« unterbrach mich Harmfeld. Ärgerlich trat er auf Shannon und mich zu - wobei er sorgsam darauf achtete, nicht in die Schußbahn seiner Leute zu geraten -, nahm Shannon den Dolch weg und streckte fordernd die Hand nach meinem Degen aus. Ich zögerte einen winzigen Moment, aber das halbe Dutzend drohend erhobener Gewehre zehn Schritte vor mir überzeugte mich rasch davon, wie sinnlos jeglicher Widerstand sein mußte. Seufzend händigte ich ihm die Waffe aus.

»Sie begehen einen furchtbaren Fehler, Harmfeld«, sagte ich. Der Leutnant zuckte mit den Achseln. »Möglich«, sagte er. »Wenn ja, werde ich mich entschuldigen. Wenn nicht, wird es mir ein großes Vergnügen sein, Sie höchstpersönlich an den Fockmast der Zuidermaar zu knüpfen.«

Ich sah ihn fragend an, aber Harmfeld ignorierte meinen Blick, trat zurück und machte eine Bewegung mit der Hand. Zwei seiner Männer ließen die Gewehre sinken, kamen auf uns zu und banden Shannon und mir die Hände auf den Rücken. Ich spürte, wie Shannons Spannung weiter stieg, und warf ihm einen fast flehenden Blick zu. Zu meiner Erleichterung machte er keinerlei Anstalten, sich zu wehren. Erst als wir beide sicher gebunden waren und die Läufe der beiden Gewehre im Rücken verspürten, ließen die vier verbliebenen Marinesoldaten ihre Waffen sinken.

Harmfeld hob abermals die Hand, und zwei der Männer liefen durch die niedrige Brandung zu einer flachrümpfigen Pinasse hinüber, die zwischen den schäbigen Fischerbooten der Dorfbewohner dümpelte. Das Schiff fiel mir erst jetzt auf. Ebenso wie das Emblem an seinem Bug.

Überrascht wandte ich mich an Harmfeld. »Die niederländische Marine?« fragte ich. »Was, in drei Teufels Namen, hat das zu bedeuten? Was suchen Sie hier?«

Harmfeld lächelte kalt. »Nichts. Eigentlich ist es ein purer Zufall, daß wir Krakatau angelaufen haben. Aber ich würde Sie auch aufhängen, wenn ich zur transsylvanischen Gebirgsmarine gehörte, Craven. Eldekerk war ein persönlicher Freund von mir.«

»Sie irren sich!« protestierte ich verzweifelt. »Sie...«

Harmfeld unterbrach mich mit einem Stoß in den Rücken, der mich vorwärtstaumeln ließ. »Erzählen Sie das alles dem Gouverneur von Borneo«, sagte er. »Und jetzt gehen Sie, ehe meine Geduld endgültig erschöpft ist.«

Angetrieben von den harten Stößen des Gewehrlaufes in meinem Rücken, stolperte ich durch die eiskalte Brandung, kletterte ungeschickt und durch meine auf den Rücken gebundenen Hände arg behindert an Bord der Pinasse und ließ mich in ihrem Heck nieder. Shannon nahm neben mir Platz, und nach Harmfeld stiegen auch die Soldaten der Reihe nach in das Schiffchen.

Zwei von ihnen nahmen uns gegenüber Platz und zielten weiter mit ihren Gewehren auf unsere Gesichter, während die anderen nach den Riemen griffen und kräftig zu pullen begannen. Rasch drehte sich das Schiffchen in die Brandung und begann, sich von der Küste zu entfernen.

Erst in diesem Augenblick entdeckte ich das Schiff.

Es war sehr groß; ein Dreimaster, der vor Waffen nur so starrte und weniger als eine halbe Meile vor der Küste lag. Ich hatte ihn bisher nicht gesehen - was allerdings in Anbetracht der Umstände nur zu verständlich war. Das mußte die Zuidermaar sein, von der Harmfeld gesprochen hatte.

»Ihr Schiff?« Die Frage war höchst überflüssig, aber Harmfeld antwortete trotzdem darauf. »Ja. Sie werden es bald kennenlernen.«

»Das glaube ich nicht«, sagte Shannon ruhig.

Harmfeld blinzelte. Ich sah, wie sich der Mann neben ihm spannte und den Kolben seines Gewehres ein wenig fester umklammerte.

»Wie meinen Sie das?« fragte Harmfeld lauernd.

Shannon lächelte. »Ich meine«, antwortete er, »daß es genug ist. Wir sind weit genug von der Küste entfernt. Sie können uns die Fesseln abnehmen.«

Harmfeld starrte ihn an. Sein Unterkiefer klappte herunter, als wolle er etwas sagen, aber dann brachte er nur einen krächzenden Laut zustande.

Der ruhige, beinahe monotone Klang von Shannons Stimme hätte mich warnen müssen, aber ich begriff erst, was er tat, als Harmfelds Blick erlosch und die Gesichtszüge der beiden Bewaffneten erschlafften, als hätten sie plötzlich jegliche Kontrolle über ihre Muskeln verloren.

»Legt die Waffen weg und nehmt uns die Fesseln ab«, sagte Shannon, und diesmal war seine Stimme nicht mehr sanft und freundlich, sondern von einem so harten, suggestiven Klang, daß selbst ich die Ausstrahlung seiner hypnotischen Macht spürte: eine Woge unsichtbarer, knisternder Kraft, die an mir vorüberbrandete und den letzten Rest freien Willens, der den Männern vor uns verblieben sein mochte, wie eine Flutwelle zerschmetterte.

»Tut, was... der Mann sagt«, sagte Harmfeld stockend.

Die beiden Männer mit den Gewehren standen auf, mit Bewegungen, die mehr an die von Puppen als an die lebender Menschen erinnerten. Wortlos warfen sie ihre Gewehre über Bord, traten hinter Shannon und mich und lösten die Stricke, die unsere Handgelenke hielten.

Shannon nahm aufatmend die Hände vom Rücken und begann seine Gelenke zu massieren, um das gestaute Blut wieder in Fluß zu bringen. Sein Blick wich dabei keine Sekunde von dem Harmfelds. »Gut«, fuhr er fort, noch immer in dem gleichen, monotonen Ton, »und jetzt springt über Bord. Alle.«

Ich wollte auffahren, aber ich kam nicht dazu, denn Shannon schien die Bewegung zu spüren, ehe ich sie überhaupt begonnen hatte. Sein Kopf ruckte herum, und für den Bruchteil einer Sekunde war ich es, der die ganze hypnotische Macht seines Blickes spürte. Kraftlos sank ich zurück auf die harte Bank und sah zu, wie Harmfeld und seine Leute gehorsam wie Marionetten aufstanden - und einer nach dem anderen über Bord sprang!

Erst, als auch der letzte Matrose im Wasser war, fiel der lähmende Bann von mir ab. Mit einem Schrei sprang ich auf, verlor auf dem schwankenden Boden den Halt und fiel der Länge nach hin.

Shannon lachte leise, beugte sich vor und streckte die Hand aus, um mir aufzuhelfen. Ich funkelte ihn an, schlug seinen Arm beiseite und stemmte mich aus eigener Kraft hoch.

»Bist du wahnsinnig?« keuchte ich. »Die Männer werden ertrinken. Du ...«

»Das werden sie nicht«, widersprach Shannon. »Es sind Seeleute, oder? Und wir brauchen das Boot.« Er sagte es in einem Ton, als wären diese Worte allein Entschuldigung genug. Das hieß - nein, nicht Entschuldigung: Grund. Shannon brauchte keine Entschuldigung für das, was er tat. Eine Sekunde lang starrte ich ihn wie vor den Kopf geschlagen an, dann fuhr ich herum und blickte zu Harmfeld und seinen Männern. Sie waren ein gutes Stück zurückgefallen, denn das Boot war mittlerweile in den Griff der Strömung geraten und glitt rasch weiter ins offene Meer hinaus und dabei weg von der Zuidermaar. Harmfeld und das halbe Dutzend Matrosen schwammen nach Kräften, und nachdem ich sie einen Moment lang beobachtet hatte, war ich ziemlich sicher, daß sie die Strecke bis zu ihrem Schiff schaffen würden. Außerdem hatte man auf der Zuidermaar sicherlich beobachtet, was hier vorgefallen war, und würde ihnen ein Boot entgegenschicken. Aber das änderte nichts.

»Du ... du mußt wahnsinnig geworden sein!« stammelte ich. »Wir wissen nicht einmal genau, was diese Männer von uns wollten!«