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»So?« Shannon verzog verächtlich die Lippen. »Mir reicht, was ich gehört habe. Wer weiß«, er zuckte mit den Achseln, »vielleicht sind sie sogar Freunde Tergards. Aber das spielt keine Rolle.« Er grinste, ließ die Hand auf die Ruderbank neben sich klatschen und griff nach einem der Riemen. »Wir sind in die Stadt gekommen, weil wir ein Boot brauchten«, fuhr er fort, während er mit der anderen Hand auf einen zweiten Riemen wies und mir ungeduldig bedeutete, danach zu greifen. »Wir haben ein Boot. Alles andere zählt nicht.«

Ich starrte ihn an, noch immer schier unfähig, zu glauben, was ich erlebt und gehört hatte. »Was ist mit dir geschehen, Shannon?« murmelte ich. »Mein Gott, was... was hat Necron dir angetan, das dich so verändert hat?«

Shannon runzelte die Stirn. »Mit mir ist gar nichts geschehen, Robert«, sagte er. »Aber ich fürchte, mit dir. Du wirst weich, und das ist etwas, das wir uns nicht leisten können. Muß ich dich daran erinnern, daß mehr auf dem Spiel steht als das Leben ein paar größenwahnsinniger Seeleute?«

Ich wollte antworten, aber ich wurde abermals davon abgehalten - und diesmal auf eine so drastische Art, daß ich alles, was ich Shannon ins Gesicht hatte schleudern wollen, unverzüglich vergaß.

Ein dumpfer, seltsam trockener Donnerschlag rollte über das Meer zu uns heran, und eine halbe Sekunde später löste sich von der Reling der Zuidermaar eine kleine weiße Dampfwolke und zerstob im Wind.

Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, daß man an Bord des Kriegsschiffes tatsächlich beobachtet haben mußte, was Shannon getan hatte. Und daß man keineswegs gewillt schien, uns ungeschoren davonkommen zu lassen. Präzise ausgedrückt, brauchte ich genau zwei Sekunden, bis diese Erkenntnis in mein Bewußtsein drang.

Genau so lange, wie die erste Kanonenkugel benötigte, die Distanz von der Zuidermaar zu uns zu überwinden und zwei Yards neben der Pinasse ins Wasser zu klatschen. Ich vergaß Shannon und Necron und mein ungläubiges Entsetzen, packte den Riemen fester und ruderte um mein Leben.

Die Tauchkammer war von sanftem elektrischen Licht erfüllt, und das Pochen der Maschinen klang hier unten viel lauter und aggressiver als oben im Salon. Das Geräusch vermischte sich mit dem Gluckern und Rauschen des Wassers, das durch die offene Bodenschleuse eingedrungen war und nun von den starken Elektropumpen der NAUTILUS wieder hinausgepreßt wurde, aber Howard hörte es kaum. Gebannt starrte er auf die schlanke Gestalt, die sich dicht unter der Wasseroberfläche wand und bewegte.

Etwas war nicht in Ordnung. Nemo, Rowlf und er standen auf der schmalen Galerie, die sich dicht über dem mit Wasser gefüllten Teil der Tauchkammer dahinzog, und das Licht, das sich auf der Wasseroberfläche spiegelte und brach, machte es beinahe unmöglich, mehr als einen Schemen zu erkennen. Trotzdem sah er, wie sich die Frauengestalt wie unter Schmerzen wand. Ihr Gesicht zuckte und schien sich zu einer Grimasse zu verzerren, und aus dem Wasser drangen schreckliche, gurgelnde Töne, die Howard schaudern ließen.

»Da stimmt was nicht«, sagte er. »Ich gehe hinunter.« Er wollte sich umwenden und unverzüglich die schmale Eisentreppe hinuntereilen, aber Nemo hielt ihn zurück.

»Warte«, sagte er. Howard gehorchte, wenn auch mit gemischten Gefühlen. Seine Finger schmiegten sich nervös um das schmale Eisengeländer, während er sich vorbeugte. Der Wasserspiegel sank jetzt rasend schnell. Schon nach wenigen Augenblicken war die Mädchengestalt auf dem Grunde der Tauchkammer deutlicher zu erkennen, dann zog sich das Wasser vollends zurück und gab eine zusammengekauerte, blauhäutige Gestalt frei.

Aber das war es nicht, was Howard für Sekunden an seinem Verstand zweifeln ließ. Es war vielmehr der Anblick der schlanken, wohlproportionierten Beine des Mädchens - Beine, die dort waren, wo Nemo und Rowlf und er noch vor Minuten einen gewaltigen, schuppenbedeckten Fischschwanz gesehen hatten!

»Das gibt's doch nich!« keuchte Rowlf. »Das... das is doch unmöglich! Ich spinn doch nich!«

Howard achtete gar nicht auf seine Worte, sondern war mit zwei, drei raschen Sätzen die Treppe hinunter und bei dem Mädchen. Durch seine übergroße Hast verlor er auf dem schlüpfrig gewordenen Metall des Bodens die Balance und fiel mehr neben ihr hin, als er sich kniete, aber auch das registrierte er kaum.

Sein Unglauben und Staunen hatte einem lähmenden, eisigen Entsetzen Platz gemacht, als er begriff, warum die schlanke Frauengestalt in so sonderbar verkrümmter Haltung vor ihm kauerte, was das krampfhafte Zucken und Beben ihrer Schultern zu bedeuten hatte...

Das Mädchen starb!

Die würgenden, schrecklichen Laute, die er gehört und für das Geräusch des abfließenden Wassers gehalten hatte, kamen in Wirklichkeit aus ihrer Kehle; Laute, wie sie ein Mensch ausstoßen mochte, der qualvoll ertrank oder erstickte.

Mit bebenden Händen griff Howard nach ihren Schultern. Die Haut des Mädchens fühlte sich eiskalt an, gar nicht wie die eines Menschen, sondern vielmehr wie die eines Fisches oder einer Schlange, und ihr Haar, das jetzt in unansehnlichen, verklebten Strähnen an ihrem Kopf klebte, kam ihm für Augenblicke viel mehr wie grober Tang denn wie menschliches Haar vor. Zwischen ihren Fingern spannten sich feine, durchscheinende Schwimmhäutchen, und an den Seiten ihres Halses verliefen vierfache Reihen dünner, gerader Schlitze, die Howard im ersten Moment für schlecht verheilte Schnittwunden hielt, bis er begriff, daß es Kiemen waren.

Das Gesicht des Mädchens war zu einer Grimasse der Pein verzerrt, als es den Kopf hob und Howard ansah. In ihren Augen loderte ein Schmerz, der Howard schaudern ließ; ihre Lippen bewegten sich in einer Art, die Howard auf schreckliche Weise an das vergebliche Luftschnappen eines Fisches erinnerte, der unversehens auf das Trockene geraten ist, aber nicht der geringste Laut kam über ihre Lippen. Sie zitterte, zuckte wie unter einem Krampf zusammen und fiel zur Seite. Howard konnte sie im letzten Moment auffangen, ehe sie auf den harten Metallboden prallte.

»Sie stirbt!« schrie er entsetzt. »Nemo - ruf Doktor Obote. Um Himmels willen - schnell!« Aber er wußte im selben Moment, in dem er die Worte sprach, daß der Bordarzt der NAUTILUS zu spät kommen würde. Das Mädchen hatte bestenfalls noch Sekunden zu leben. Ihre Bewegungen wurden bereits schwächer, und der Blick ihrer dunklen, aquamarinblauen Augen begann sich zu verschleiern.

Und dann geschah das Unfaßbare:

Vor Howards ungläubig geweiteten Augen begann sich der Körper der jungen Frau zu verändern, auf eine unglaubliche, bizarre Weise. Der bläuliche Ton ihrer Haut verblaßte zum blassen Teint ganz normaler, menschlicher Haut, ihr Haar glättete sich und wurde gleichzeitig auf unheimliche Weise feiner und seidiger, die Schwimmhäute zwischen ihren Fingern verschwanden, und innerhalb einer einzigen Sekunde glättete sich ihr Hals; die Kiemenöffnungen waren fort, als hätte es sie niemals gegeben.

Und dann hob sich ihre Brust in einem ersten, qualvollen Atemzug.

»Großer Gott!« keuchte Nemo. Er war herumgefahren und hatte die Kammer schon halbwegs verlassen, war jedoch unter der Tür noch einmal stehengeblieben und ebenso wie Rowlf und Howard selbst Zeuge der phantastischen Veränderung geworden, die mit dem Mädchen vonstatten gegangen war. Howard sah, wie sich ein Schatten hinter ihm bewegte und ein neugieriges Augenpaar über seine Schultern zu blicken versuchte.

»Schließ die Tür, Nemo«, sagte er hastig. Dann wandte er sich wieder der Mädchengestalt zu, schlüpfte mit einer fahrigen Bewegung aus seinem Rock und legte ihn wie eine Decke um ihre bloßen Schultern; danach stützte er sie behutsam.

Die Lider des Mädchens öffneten sich. Ihr Blick war wieder klar, und der Ausdruck von Schmerz war aus ihren Augen gewichen.

Aber nur er, dachte Howard schaudernd. Die Angst war geblieben. Angst wovor?