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Erneut versuchte das Mädchen zu sprechen, aber wieder bekam es nur eine Anzahl würgender, mühsamer Töne hervor. Mit einer schwächlichen Bewegung befreite es sich aus Howards Umarmung, setzte sich auf und machte eine vage, nicht zu deutende Geste mit der Hand.

»Beruhigen Sie sich«, sagte Howard rasch. »Es besteht kein Grund mehr, Angst zu haben, Miß. Der Doktor wird gleich kommen.«

Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Keinen... Arzt«, sagte sie. »Ich brauche nur... ein wenig Ruhe.«

Howard nickte, stand auf und winkte Rowlf zu sich herab. »Bring sie in Nemos Kabine«, sagte er.

Aber wieder wehrte das dunkelhaarige Mädchen ab, als sich Rowlf nach ihr bücken und sie hochheben wollte.

»Dazu ist jetzt keine Zeit«, sagte sie, Ihre Stimme klang gehetzt; sie atmete schwer wie ein Mensch, der bis zum Zusammenbruch gerannt war. Aber Howard war sicher, daß das nicht an der phantastischen Verwandlung lag, deren Zeuge sie geworden waren. Das Mädchen hatte Angst. Panische Angst.

»Ich muß mit Mister Lovecraft sprechen«, sagte sie plötzlich. »Sind Sie Lovecraft?«

Howard nickte überrascht. »Woher... kennen Sie mich?« fragte er.

»Robert hat von Ihnen erzählt«, antwortete das Mädchen. »Er sagte, Sie wären sein Freund, und ich könnte mich an Sie wenden, wenn ich Hilfe brauchte.«

»Hilfe?« Howard blinzelte verwirrt. »Wobei?«

»Es geht nicht um mich, Mister Lovecraft«, antwortete das Mädchen. »Es ist Robert, der Hilfe braucht. Er ist in Gefahr und nicht nur er. Möglicherweise...« Sie stockte, einen ganz kurzen Moment nur, aber doch so, daß Howard es hörte und richtig deutete. »... möglicherweise die ganze Welt, Mister Lovecraft.«

Eine Sekunde lang starrte Howard noch verwirrt auf das dunkelhaarige Mädchen hinab, dann richtete er sich mit einem Ruck auf und nickte Rowlf zum zweiten Male auffordernd zu.

»Bring sie in Nemos Kabine«, sagte er noch einmal. »Schnell.«

Die Zuidermaar hatte noch drei weitere Schüsse auf uns abgegeben. Keiner war auch nur in gefährlicher Nähe des Bootes eingeschlagen, und jetzt, nachdem der erste Schrecken vorüber war und ich Zeit gefunden hatte, zu mir selbst zu kommen und über die Dinge nachzudenken, war ich ziemlich sicher, daß sie auch nicht hatten treffen sollen. Es wäre dem riesigen Kriegsschiff wahrscheinlich ein leichtes gewesen, uns mit einer vollen Breitseite seiner möglicherweise antiquierten, nichtsdestotrotz aber äußerst wirkungsvollen Zwölfpfünder zu versenken.

Nein - die vier Kanonenkugeln, die man uns nachgeschickt hatte, waren nicht mehr als eine Warnung gewesen. Man wollte uns lebend.

Ich teilte das Ergebnis meiner Überlegungen Shannon mit, aber er zuckte nur mit den Achseln und forderte mich ziemlich grob auf, weiter zu rudern und meinen Atem für wichtigere Dinge aufzusparen.

Shannon hatte sich verändert, das war mir schon vor geraumer Zeit aufgefallen. Aber erst die unglaubliche Brutalität, mit der er Harmfeld und seine Männer gezwungen hatte, über Bord zu springen und durch die haifischverseuchten Gewässer Krakataus zur Zuidermaar zu schwimmen, hatte mir mit aller Deutlichkeit vor Augen geführt, wie stark diese Veränderung war. Der schwarzgekleidete, blonde junge Mann, dem ich gegenübersaß, war nur noch äußerlich der Shannon, den ich kennengelernt und der mir zweimal das Leben gerettet hatte, ohne auf sein eigenes Rücksicht zu nehmen. War es wirklich nur Necrons Einfluß, den ich beobachtete? dachte ich schaudernd. Und wenn, würde es ihm je gelingen, wieder zu dem warmherzigen, stets zu einem Lächeln bereiten jungen Mann zu werden, als den ich ihn kennengelernt hatte?

Wir näherten uns der Küste, und die Brandung begann sich stärker bemerkbar zu machen, so daß ich für die nächste Viertelstunde voll und ganz damit beschäftigt war, das Boot wenigstens notdürftig auf Kurs zu halten und gleichzeitig auf die Felsen und Riffe zu achten, die diesem Teil Krakataus vorgelagert waren und wie steinerne Zähne darauf warteten, sich in den Rumpf unserer Pinasse bohren zu können. Das Schiff war schwer zu navigieren, denn es war für eine weitaus größere Mannschaft gebaut; ohne Shannons schier übermenschliche Kräfte wären wir wahrscheinlich - wieder einmal - verloren gewesen.

Schließlich erreichten wir das Ufer, durchnäßt bis auf die Haut und völlig erschöpft, aber unbeschadet, an einer Stelle, die kaum drei nautische Meilen vom Hafen und der Zuidermaar entfernt war, aber durch eine weit ins Meer vorspringende Felsbarriere und das an dieser Stelle sehr seichte Wasser vor einer Verfolgung durch das Kriegsschiff sicher.

Erschöpft stieg ich aus dem Boot und wollte mich in den nassen Ufersand sinken lassen, um Atem zu schöpfen, aber Shannon gönnte mir nicht die geringste Verschnaufpause, sondern bestand darauf, daß wir die Pinasse den Strand hinauf und in die Deckung einiger Büsche zerrten, die dem eigentlichen Dschungel an dieser Stelle vorgelagert waren - eine Aufgabe, die meine Kräfte schier zu übersteigen drohte. Als wir fertig waren und das kleine Schiff wenigstens vor einer Entdeckung vom Meer her sicher, war ich mit meinen Kräften vollends am Ende. Shannon mußte mich stützen, damit ich die Sicherheit des Waldes erreichte.

Danach tat er irgend etwas an meinem Hals - was, bekam ich nicht einmal mit, erschöpft und ausgelaugt, wie ich war -, aber hinterher fühlte ich mich, wenn auch nicht wie neugeboren, so doch wesentlich besser.

Ich wollte aufstehen, aber Shannon schob mich mit sanfter Gewalt zurück und schüttelte den Kopf. »Bleib sitzen«, sagte er. »Ruh dich erst einmal richtig aus. Wir haben Zeit genug.« Er runzelte die Stirn und fuhr in deutlich verärgertem Tonfall fort: »Vor dem Dunkelwerden wäre es zu riskant, weiterzufahren. Dieses verdammte Schiff ist wirklich im allerungünstigsten Augenblick aufgetaucht.«

»Ich verstehe das alles nicht«, gestand ich. »Was soll das bedeuten - Eldekerk tot und wir schuld daran?«

»Du«, korrigierte mich Shannon sanft und fuhr, so hastig, als hätte er etwas gesagt, was er eigentlich nicht hatte sagen wollen, fort: »Ich weiß es so wenig wie du, Robert. Vielleicht ein letzter Gruß unseres Freundes Tergard.«

»Tergard ist tot«, erinnerte ich.

»Möglicherweise ist einer seiner Männer entkommen.« Shannon zuckte mit einem Desinteresse, von dem ich sehr sicher war, daß er es nicht bloß heuchelte, die Achseln. »Dich eines Mordes zu bezichtigen, scheint mir eine ziemlich elegante Methode, dich aus dem Weg zu räumen. Aber das braucht uns alles nicht zu kümmern. Sobald die Sonne untergegangen ist, fahren wir zu der Bucht, die Eldekerk mir gezeigt hat, und schnappen uns Dagon. Und danach verschwinden wir auf Nimmerwiedersehen von dieser verdammten Insel.«

Ich antwortete nicht darauf, sondern ließ mich zurücksinken, lehnte den Kopf gegen die rauhe Rinde eines Baumes und schloß für Sekunden die Augen. Shannons Worte hatten mir wieder den Grund in Erinnerung gerufen, aus dem wir überhaupt hierhergekommen waren in dieses gottverlassene Kaff an der Ostküste Krakataus, von dem ich nicht einmal den Namen wußte.

Das, was wir in der verlassenen Garnison erlebt hatten, hatte uns recht drastisch vor Augen geführt, wie naiv unser Vorhaben, einfach in Dagons unterirdisches Reich zu spazieren und ihm auf die Finger klopfen zu wollen, gewesen war.

Im Grunde hatte es keiner von uns wirklich gewollt, vielmehr war es einfach so gewesen, daß wir beide nicht so recht weitergewußt hatten. Schließlich hatte Shannon vorgeschlagen, ein Boot zu besorgen und zu der verborgenen Bucht auf der anderen Seite der Insel hinauszufahren, in der Dagon Nacht für Nacht erschien, um sich mit den Meeresdämonen zu treffen.

Der Gedanke führte mir schmerzhaft ins Bewußtsein, wie wenig wir im Grunde über die Wesen wußten, die die wahren Herren dieser Insel waren. Und wie aussichtslos unser Kampf...

Ich kam nicht dazu, den Gedanken weiter zu verfolgen. Die Anstrengungen der letzten Stunden machten sich mit Macht bemerkbar, und die Wärme, die selbst hier im Dschungel herrschte, tat ein übriges. Ich schlief ein.