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Nur rings um das Schiff kräuselte sich leichter Nebel wie Dampf, der von der Wasseroberfläche aufstieg.

»War es das, was Sie mir zeigen wollten?« wandte er sich an seinen Leitenden Offizier, nachdem er das Periskop wieder eingefahren hatte und zurückgetreten war.

Der Mann schüttelte den Kopf, fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen und deutete auf einen runden, mattgrauen Schirm, der wie ein blinder Spiegel inmitten des mit Schaltern und Skalen übersäten Steuerpultes der NAUTILUS lag. »Nein, mon capitaine«, sagte er. »Schauen Sie.«

Nemo trat neugierig neben den Mann, beugte sich über das Pult - und zog erstaunt die Brauen zusammen. Auf der matten Glasfläche war nur ein scheinbar sinnloses Gewirr von Linien, Strichen und konturlosen Schatten zu erkennen, das sich aber für das kundige Auge zu einem verblüffend genauen Abbild des Seegebietes verwandelte, durch das sich das Unterseeboot bewegte. Nemos Blick verharrte für eine Sekunde auf einem verschwommenen, langgestreckten, wolkigen Gebilde, das - wie er wußte - nichts anderes als das Abbild des Schiffes war, das er soeben durch das Periskop beobachtet hatte, und wanderte dann weiter, um an einem anderen, viel größeren Etwas hängenzubleiben.

»Was ist das?«

Nemo wandte sich überrascht um, als er die Stimme hörte. »Howard!« sagte er, halb erleichtert, halb aber auch erschrocken. »Du solltest in deiner Kabine liegen und dich ausruhen.«

Lovecraft fegte seine Worte mit einer unwilligen Handbewegung beiseite. Er sah krank aus. Sein Gesicht hatte zwar die unnatürliche Blässe verloren, war aber noch weit davon entfernt, eine normale Farbe zu haben. Es schimmerte grau. In seinen Augen stand ein fiebriger Glanz. »Was ist das, Nemo?« wiederholte er, nachdem er sich über das Pult gebeugt und einen Moment stirnrunzelnd auf die runde Glasfläche geblickt hatte.

»Das«, Nemo deutete auf den kleineren Schatten, »ist das Schiff, das der Ausguck gesichtet hat.« Sein Finger wanderte weiter und blieb einen Moment auf dem zweiten, größeren Schatten hängen. Es war sonderbar: Obwohl es nur ein verschwommener, heller Fleck auf dem mattgrauen Glas war, der zudem noch unentwegt Form und Größe zu verändern schien, strahlte er etwas spürbar Beunruhigendes aus. »Was ich nicht weiß, ist, was das dort bedeutet.«

»Ein zweites Schiff?«

»Fünfzig Faden unter Wasser?«

Howard überlegte einen Moment. »Ein Tier? Vielleicht ein Wal?«

»Kaum«, antwortete Nemo nach kurzem Nachdenken. »Es ist viel zu groß. Selbst ein Pottwal erreicht nicht ein Viertel dieser Größe.«

Wieder blickte Howard lange - sehr lange - und sehr nachdenklich auf die runde Glasfläche. Auf seinem Gesicht erschien ein sonderbarer, fast bestürzter Ausdruck.

»Zwei Jahre«, murmelte er plötzlich. »Bei Gott, es... es könnte sein.«

»Was könnte sein?« fragte Nemo betont.

Howard schien seine Frage gar nicht gehört zu haben. »Unsere Position«, sagte er. »Wie ist unsere genaue Position, Nemo?«

Nemo sagte es ihm, und der bestürzte Ausdruck auf Howards Zügen verstärkte sich. »Das Schiff!« sagte er. »Wo ist es? Kreuzen wir seinen Kurs?«

Nemo verneinte. »Ich kann es dir zeigen«, sagte er mit einer Geste auf das Periskop. »Aber was soll damit sein? Wir befinden uns zwei Jahre in der Vergangenheit, Howard. Robert wird kaum an Bord sein!«

Wieder schien Howard seine Worte gar nicht gehört zu haben. Mit einem Satz war er am Periskop, fuhr das Gerät aus und preßte die Augen gegen das Okular. Zehn, fünfzehn Sekunden lang starrte er gebannt durch die Optik. Plötzlich stieß er einen überschnappenden Schrei aus, sprang zurück und winkte Rowlf, der bisher schweigend unter der Tür gestanden hatte, mit wilden Gesten zu sich heran.

»Schau durch, Rowlf!« befahl er. »Rasch. Sag mir, daß ich mich nicht täusche!«

Howards hünenhafter Diener gehorchte schweigend. Wie Howard starrte er sekundenlang durch die Optik des Fernrohres, und wie er stieß er plötzlich einen überraschten Schrei aus.

»Das gibt es nich!« keuchte er. »Das isse. Verdammich, das isse! 's is die Lady!«

»Lady?« Nemo verstand nun gar nichts mehr. »Wovon sprecht ihr, Howard? Kennst du dieses Schiff?«

»Kennen?« Howard ächzte. »Kennen? Mein Gott, Nemo, das ist... das dort ist die Lady of the Mistl Wir... wir müssen sofort den Kurs ändern.«

»Den Kurs ändern? Wozu?«

»Bitte frag jetzt nicht, Nemo«, sagte Howard gehetzt. »Tu einfach, was ich dir sage - ich flehe dich an! Es ... es kann sein, daß dieser ganze Wahnsinn mit einem Schlag ein Ende hat.«

Nemo blickte ihn an, schüttelte reichlich verwirrt den Kopf, drehte sich dann aber gehorsam um und gab dem Mann am Steuerpult einen Wink. Im dumpfen Pochen der Maschinen änderte sich nichts, aber Howard wußte, daß die NAUTILUS sich jetzt mit aller Kraft gegen die Strömung stemmte und den Rammsporn an ihrem Bug auf das kleine Schiff fünf Seemeilen voraus richtete. Mit einem raschen Schritt trat er neben den Steuermann, beugte sich über seine Schultern und starrte sekundenlang auf den grauen Schirm und die beiden ungleichen Schatten, die er zeigte.

»Mein Gott, es könnte gelingen«, sagte er noch einmal. »Mit ein wenig Glück, Nemo. Nur ein ganz kleines bißchen Glück, und...«

»Und was?« fragte eine scharfe Stimme von der Tür aus. Howard fuhr hoch, drehte sich abrupt um und blickte die dunkelhaarige, schlanke Frau an, die unter dem runden Schott erschienen war.

»Und was?« wiederholte Jennifer scharf, als Howard nicht antwortete.

»Nichts«, sagte Howard schließlich. »Dies hier ist etwas, das Sie nichts angeht.«

»Glauben Sie?« Jennifer löste sich mit einer raschen Bewegung von der Tür, kam auf Howard zu und blickte über seine Schulter hinweg auf den Schirm. Plötzlich erbleichte sie.

»Sind Sie wahnsinnig geworden?« entfuhr es ihr. »Sie wissen ganz genau, daß Sie das nicht dürfen!«

»Daß er was nicht darf?« mischte sich Nemo ein. »Zum Teufel, würde mir vielleicht irgend jemand endlich sagen, was hier vorgeht?«

»Ihr Freund Howard hat den Verstand verloren!« antwortete Jennifer. »Er wird uns alle umbringen. Und nicht nur uns!«

Nemo blinzelte irritiert. »Was soll das heißen, Howard?« Howard antwortete auch diesmal nicht, und so wandte sich Nemo wieder an Jennifer. »Wenn Sie mir nicht gleich sagen, was Ihr Auftritt zu bedeuten hat, verbringen Sie den Rest der Reise in der Gefangenenkabine, junge Dame«, sagte er zornig.

»Was hat es mit diesem Schiff auf sich? Und was ist das für ein Ding, das ihm folgt?«

»Dieses Schiff, Kapitän Nemo«, antwortete Jennifer, ohne Howard eine Sekunde aus den Augen zu lassen, »ist die Lady of the Mist, das Schiff, mit dem Robert Craven und Roderick Andara im Jahre 1883 die schottische Küste erreichten.«

»Andara?« keuchte Nemo. »Andara ist an Bord?«

»Er ist an Bord, und er wird sterben«, sagte Jennifer.

»Nicht, wenn wir es verhindern können«, sagte Howard. Er wandte sich an Nemo. Seine Stimme wurde beschwörend.

»Überlege doch nur, Nemo!« sagte er. »Roderick ist hundertmal stärker als Robert. Sein Tod wäre so sinnlos! Zusammen mit ihm können wir diese ganze verdammte Bande dorthin zurückjagen, wo sie hergekommen ist. Er könnte Roberts Ausbildung beenden, zehnmal schneller und besser als ich, und er...«

»Und der Schatten, der dem Schiff folgt«, fuhr Jennifer unbeeindruckt fort, »ist eine Inkarnation Yog-Sothoths, Nemo. Das Ungeheuer, das die Lady vernichten und Roderick Andara töten wird.«