Der Kampf näherte sich seinem Ende. Harmfelds Männer hackten die Tentakel fast schneller ab, als sie aus dem Meer emporwachsen konnten, und wenn ich auch keine Sekunde daran zweifelte, daß ihr Tun nichts als Nadelstiche für das schiffsgroße Monster bedeutete, so waren es doch viele Nadelstiche. Und die Hiebe, die ich dem Scheusal versetzte, taten weh, denn die Tentakel, die meinem Degen zum Opfer fielen, wuchsen nicht wieder nach.
Nach kaum fünf Minuten verlor der Angriff der schwarzen Bestie sichtlich an Schwung, und plötzlich erzitterte die ZUIDERMAAR ein letztes Mal wie unter einem Hieb; das Meer schäumte und brodelte, und der schwarze Gigant verschwand wieder in den lichtlosen Tiefen, aus denen er emporgestiegen war.
Erschöpft ließ ich meine Waffe sinken, lehnte mich einen Moment an die Reling und rang mühsam nach Atem. Als ich mich wieder aufrichtete, stand Leutnant Harmfeld hinter mir. In den Händen hielt er ein Gewehr. Und der Ausdruck auf seinem Gesicht ließ keinen Zweifel daran, daß er entschlossen war, es zu benutzen.
»Was... was soll das?« murmelte ich.
Harmfeld verzog keine Miene. »Legen Sie die Waffe weg, Craven«, sagte er leise. »Und dann nehmen Sie die Hände hoch. Ich erkläre Sie für verhaftet.«
Wahrscheinlich begann Harmfeld spätestens in diesem Moment ernsthaft an meinem Verstand zu zweifeln - aber ich begann lauthals und schallend zu lachen. Ich hörte nicht einmal damit auf, als mir zwei seiner Männer den Degen abnahmen und mir die Hände auf den Rücken banden.
Über das Meer wehten Schreie heran, Schreie voller Angst und Tod und Wahnsinn. Die Nacht war zerrissen vom Peitschen der Schüsse und dem Prasseln und Krachen der brennenden Häuser, und dann und wann durchbrach ein fürchterlicher, brüllender Laut das höllische Crescendo; ein Geräusch, das den Männern an Bord der Zuidermaar einen eisigen Schauer über den Rücken jagte und ihre Seelen erstarren ließ. Denn es war kein Laut, wie ihn die Kehle irgendeines lebenden Wesens hervorbringen konnte.
»Was muß noch passieren, damit Sie mir endlich glauben?« fragte ich gepreßt. »Dort drüben sterben Menschen, Harmfeld. Unschuldige Menschen!«
Der Kapitän der Zuidermaar antwortete nicht auf meine Worte, aber er sah mich auch nicht an, sondern wich meinem Blick aus, und ich spürte, daß er innerlich ganz und gar nicht so unbewegt war, wie er zu sein vorgab. Seine Hände schmiegten sich so fest um die Reling, als wolle er das armdicke Holz zerbrechen.
Es war kalt auf dem Deck des gewaltigen Kriegsschiffes. Die Nacht lag wie ein Vorhang aus Schwärze ringsum auf dem Meer, und bis auf die Todesschreie der sterbenden Stadt war es völlig still. Selbst das Rauschen und Murmeln des Meeres war verstummt. Man hätte glauben können, in einer anderen Welt zu sein. Vielleicht waren wir es auch. »Zum Teufel, lassen Sie endlich Segel setzen!« sagte ich, obwohl ich ganz genau wußte, wie sinnlos meine Worte waren. »Wir müssen von hier verschwinden!«
Kapitän Harmfeld richtete sich an der Reling auf, riß seinen Blick mit sichtlicher Anstrengung von dem schrecklichen Schauspiel am Ufer los und sah mich an. Obwohl die Nacht sehr dunkel war, konnte ich sehen, wie eingefallen und blaß sein Gesicht wirkte. Es war drei Stunden her, daß wir den Angriff der Bestie abgeschlagen hatten, aber der Schrecken saß dem Holländer noch so tief in den Knochen, als wäre es erst Augenblicke her.
»Das kann ich nicht, Craven«, sagte er. Es klang beinahe bedauernd. »Ich muß warten, bis die Boote zurück sind.« Er ballte die Hand zur Faust und blickte abermals zur Insel hinüber. »Wenn man wenigstens etwas sehen könnte!«
»Ich kann Ihnen sagen, was dort drüben geschieht«, antwortete ich wütend. »Es sind die gleichen Ungeheuer wie jenes, das die Zuidermaar angegriffen hat. Sie sind gerade dabei, die Stadt auszulöschen. Und Ihre Männer dazu.« Harmfeld wurde noch blasser. Sein Adamsapfel hüpfte nervös, und ich sah, wie sich seine Rechte zur Faust ballte. Aber er sagte kein Wort, sondern wandte sich nur mit einem Ruck ab und fuhr fort, die brennende Stadt anzustarren.
Es hatte vor einer halben Stunde begonnen. Harmfeld und ich hatten in der Kapitänskajüte gesessen, einerseits, um unsere Wunden verbinden zu lassen - von denen wir wahrlich genug abbekommen hatten, auch wenn keine davon wirklich gefährlich war -, andererseits, weil ich geglaubt hatte, daß der Kapitän nach allem, was geschehen war, endlich Vernunft annehmen würde. Aber das war nicht der Fall. Ich hatte ihm so ziemlich alles erzählt, was nach meiner Ankunft auf Krakatau geschehen war; aber natürlich hatte er mir kein Wort geglaubt.
Vielleicht hätte ich umgekehrt auch nicht anders reagiert. Dann hatten uns die ersten Schreie an Deck gelockt. Trotz des bleichen Mondes war die Nacht zu dunkel, als daß wir irgendwelche Einzelheiten erkennen konnten, aber bei dem ersten Schrei war es nicht geblieben. Schon nach Augenblicken hatten Schüsse die Stille zerrissen, und wenig später waren die ersten Brände aufgeflammt.
Im Grunde hatte Harmfeld nichts anderes als seine Pflicht getan, als er alle fünf Pinassen der Zuidermaar mit fast der Hälfte seiner Marinesoldaten bemannen ließ, um sie zum Ufer zu schicken. Und trotzdem war es das falscheste, was er überhaupt tun konnte. Ich hatte versucht, ihn zu warnen. Aber natürlich hatte er nicht auf mich gehört.
Ich war sehr sicher, daß er keinen einzigen seiner Männer lebend wiedersehen würde. Selbst die hell lodernden Brände, die im Laufe der letzten halben Stunde auf die ganze Stadt und den Hafen und sogar auf das Meer übergegriffen hatten, als triebe brennendes Öl auf den Wogen, ließen uns nicht erkennen, was dort drüben wirklich geschah.
Aber das war auch nicht nötig. Meine Phantasie reichte durchaus, mir das zu zeigen, was meine Augen nicht sehen konnten: Es waren Dagons Kreaturen, die gleichen protoplasmischen Ungeheuer, von denen eines die Zuidermaar angegriffen und die Majunde verschleppt hatten, und vermutlich auch einige seiner fürchterlichen Ssaddit, wie die überall aufflammenden Brände bewiesen.
Nein - Harmfeld würde nicht einen seiner Männer wiedersehen. Und wenn wir noch lange hierblieben, waren vermutlich auch wir verloren. Wir hatten den ersten Angriff der Ungeheuer abgeschlagen, aber das besagte nicht viel. Ich kannte Dagon zu genau, um mir auch nur eine Sekunde lang einzubilden, daß er so leicht aufgeben würde.
»Dann nehmen Sie mir wenigstens die Handschellen ab!« sagte ich. »Die Dinger sind nicht besonders bequem.« Harmfeld runzelte die Stirn, sah einen Moment auf die dünne silberne Kette hinab, die meine Handgelenke aneinander band, als müsse er ernsthaft überlegen, wozu sie überhaupt da waren, dann schüttelte er den Kopf. »Das ist auch nicht der Sinn von Handschellen«, sagte er.
»Zum Teufel, Harmfeld, ich habe Ihnen das Leben gerettet!« fuhr ich auf.
Harmfeld fuhr zusammen wie unter einem Hieb. »Sie werden unfair, Craven«, sagte er. »Ich bin Ihnen wirklich dankbar, aber...« Er sprach nicht weiter, sondern seufzte abermals und starrte wieder zur Küste hinüber. »Ich kann es nicht«, sagte er. Es klang wie eine Entschuldigung. »Ich habe meine Befehle, und ich muß mich daran halten. Sie wissen, warum wir Sie und Ihren Freund gefangengenommen haben«, begann er.
»Nein«, sagte ich zornig. »Aber Sie werden es mir sagen.« Harmfelds Miene verdüsterte sich. »Warum machen Sie es sich und mir so schwer?« fragte er. »Sie werden nicht bestreiten, daß Sie Eldekerk gekannt haben. Sie sind zusammen gesehen worden.«
»Aber ich habe ihn nicht umgebracht!« fauchte ich. »Und Shannon auch nicht. Im Gegenteil, Harmfeld. Eldekerk stand auf unserer Seite!«
»Unserer Seite?« hakte Harmfeld nach. »Was heißt das?«