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»Ich wollte den Mann sehen, der meine Sklaven in Furcht zu versetzen vermag«, antwortete Dagon. »Aber ich habe etwas anderes erwartet.«

Shannon nickte, richtete sich noch ein wenig weiter auf - und hob plötzlich die Hände hinter dem Rücken hervor. »So etwas, zum Beispiel?« fragte er ruhig.

Dagon keuchte vor Überraschung. Shannon hatte die Fesseln nicht etwa zerrissen; obwohl sie aus daumendicken Hanfstricken bestanden, hätte Dagon dies kaum erschreckt, denn Kraft war etwas Relatives, und die Menschen waren im allgemeinen so schwach. Nein - die Fesseln waren verschwunden. Genauer gesagt, sie hatten sich verwandelt!

Aus den zerfaserten braunen Stricken waren zwei dünne, schwarzgrün glänzende Schlangen geworden, die sich zischend und züngelnd um Shannons Handgelenke wanden!

Es dauerte Sekunden, bis Dagon seine Fassung wiederfand. »Das ist... beeindruckend«, sagte er stockend. »Aber mehr auch nicht. Glaubst du, dein Leben mit ein paar Taschenspielertricks retten zu können?«

»Das wird kaum nötig sein, Dagon«, antwortete Shannon, und irgend etwas war in seiner Stimme, was den Fischgott abermals aufblicken und das glatte Jungengesicht seines Gegenübers genauer ansehen ließ. Täuschte er sich, oder hatte es sich verändert? Dagon vermochte es nicht genau zu sagen, aber es schien, als wäre Shannons Gesicht reifer geworden, härter und... Ja, dachte er verstört. Älter.

»Was hat das zu bedeuten?« fragte er scharf.

Shannon lächelte, aber es war ein ganz und gar grausames Lächeln, ohne die mindeste Spur eines echten menschlichen Gefühls.

»Ich habe dir einen Vorschlag zu machen, Dagon«, sagte Shannon. »Einen Vorschlag, der wahrscheinlich dein Leben retten wird. Ich bin nicht hier, um dich zu vernichten. Wäre ich deshalb gekommen, dann wäre ich kaum so närrisch gewesen, mich von deinen Dienern fangen zu lassen, glaube mir.« Er setzte sich vollends auf, schwang die Beine vom Bett und stand nach sekundenlangem Zögern auf. Dagon bemerkte, daß seine Bewegungen viel von ihrer Eleganz verloren hatten. Sie wirkten noch immer schnell und kraftvoll, aber es waren nicht mehr die eines jungen Mannes. Und die Fesseln an Händen und Füßen waren nun vollends verschwunden.

»Du hast es mir sehr schwer gemacht, Dagon, dich zu finden«, fuhr Shannon fort. »Aber noch ist es nicht zu spät. Wenn du tust, was ich dir sage, dann kann ich die Verwandlung aufhalten.«

Dagon keuchte. »Die...«

In Shannons Augen glomm ein rasches, kaltes Lächeln auf. »Spiel nicht den Narren. Ich kenne dein Geheimnis, Dagon.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf den Mantel des Fischgottes. »Es hat bereits begonnen, nicht?«

Dagon starrte ihn an. Seine schillernden Fischaugen waren weit vor Schrecken, und plötzlich, beinahe gegen seinen Willen und in einer Bewegung, die er nicht einmal aufhalten konnte, als er es versuchte, hob er die Hände unter dem Mantel hervor und streckte sie dem schwarzgekleideten Magier entgegen.

Es waren nicht die Hände eines Menschen - aber das waren sie ja nie gewesen -, aber auch nicht mehr die Hände Dagons, des Fischgottes. Die schlanken, mit durchscheinenden Schwimmhäuten verbundenen Finger waren zu plumpen, schwärzlich-braun glitzernden Pranken geworden, verkrümmt und knotig und von Pusteln und nässenden Geschwüren übersät. Aus seinen Daumen wuchsen gräßliche Raubtierkrallen hervor, und auch die anderen Nägel waren blutig; das schimmernde Weiß frischer Nägel, die sich zu Fängen auswuchsen, glänzte durch das zerfetzte Fleisch.

Und die Veränderung war nicht allein auf seine Hände beschränkt. Wie braune, unterschiedlich lange Handschuhe zog sich die fürchterliche Färbung seine Arme hinauf; Haut, die zu Horn und irgend etwas anderem Schrecklichen geworden war.

Einen Moment lang betrachtete Shannon die Krallenhände des Fischgottes interessiert, dann trat er zurück, seufzte und fuhr sich mit den Fingern über das Gesicht. Seine Haut schien dunkler zu werden, und abermals hatte Dagon das Gefühl, den jungen Mann vor seinen Augen altern zu sehen.

»Es ist schon schlimmer, als ich dachte«, sagte Shannon. »Aber nicht zu schlimm.« Er lächelte kalt. »Sie beginnen, dich in einen der ihren zu verwandeln, nicht wahr?«

Dagon nickte. »Woher... woher weißt du das?«

»Ich weiß manches«, antwortete Shannon unwillig. »Und ich kann manches. Ich kann dir zum Beispiel helfen.«

»Du?« keuchte Dagon. »Du kannst...«

Shannon schnitt ihm mit einer unwilligen Bewegung das Wort ab. »Hör mir zu«, sagte er. »Es ist nicht mehr viel Zeit. Bald wird sich das Tor vollends öffnen, und die THUL SADUUN werden auferstehen. Wenn dies geschieht, wirst du zu einem der ihren, nicht nur körperlich, und du weißt es. Dann wirst du deinen Plan wohl kaum noch ausführen können.« Er lächelte abermals, legte eine ganz genau berechnete Pause ein und fuhr mit ebenso genau berechneter, veränderter Stimme fort: »Es sei denn, du nimmst meine Hilfe an.«

»Deine Hilfe?« wiederholte Dagon verstärkt. »Die Hilfe meines Feindes?«

»Feind!« Shannon lachte. »Du bist ein Narr, Dagon. Ich wollte dir Robert Craven auf einem silbernen Tablett servieren, aber dieser Trottel hat plötzlich sein Gewissen entdeckt und ist zurückgerannt, um sich umbringen zu lassen. Ich bin nicht dein Feind. Im Gegenteil - wir sind gewissermaßen Verbündete. Du kennst mich.«

Er trat einen Schritt zurück, hob die Arme und begann leise, unverständliche Worte zu murmeln. Worte, die selbst in Dagon ein spürbares Schaudern hervorriefen.

Dann begann er sich zu verändern.

Es ging ganz schnell. Rings um die hohe, in die Farbe der Nacht gekleidete Gestalt des jungen Magiers ballten sich Schatten und Finsternis zusammen, sein Gesicht verschwand hinter einem Schleier aus huschender Dunkelheit, und etwas geschah mit seiner Gestalt. Sie schien zu schrumpfen, sich auf unbeschreibliche Weise zu verbiegen und zu drehen. Der bizarre Vorgang dauerte nur wenige Sekunden.

Aber als er beendet war, war aus dem jungen, hünenhaft gebauten Mann ein vom Alter gebeugter Greis geworden, ein Mann mit einem Gesicht aus Runzeln und Falten, in dem einzig die Augen noch zu leben schienen.

»Du kennst mich, Dagon«, sagte er noch einmal, und plötzlich sprach er mit einer zitternden Greisenstimme. »Wenn auch nicht unter dem Namen Shannon. Dieser Körper war nicht mehr als ein Mantel, in den ich schlüpfte, um das Vertrauen dieses Narren Craven zu erringen - und dich zu finden. Mein wahrer Name ist Necron.«

Das Meer glühte. Ein unheimliches, rotgelbes Licht brannte irgendwo tief unter seiner Oberfläche, und dahinter, nur als verschwommener Schatten wahrzunehmen, schoß ein kolossales Etwas heran, ein Ding wie ein Wal, aber dreimal so groß und schnell wie ein Pfeil. Eine schaumige Spur markierte seine Bahn; eine weiße, wie mit einem Lineal gezogene Linie, die geradewegs aus dem offenen Meer kam - und genau auf die Zuidermaar deutete!

Harmfeld bemerkte die neue Gefahr eine halbe Sekunde nach mir. Und diesmal reagierte er ungleich schneller als beim ersten Mal. Mit einem Satz war er herum, hetzte über das Schiff und begann gleichzeitig Kommandos zu brüllen. Unter mir wurden knallend die Geschützluken geöffnet, Männer schrien, und überall flammten plötzlich Fackeln und kleine brennende Lunten auf.

Mit einem Satz war ich bei Harmfeld und versuchte ihn zurückzureißen. »Sind Sie wahnsinnig, Kapitän?« schrie ich. »Was immer dort herankommt, es ist größer als Ihr Schiff!« Harmfeld fuhr herum. Seine Hände zuckten, als wolle er mich packen. »Was soll ich tun, Ihrer Meinung nach?« fauchte er. »Hier verschwinden!« antwortete ich, ebenso zornig wie er.

Harmfeld schnaubte. »Sie sind ja verrückt! Die Zuidermaar ist ein Kriegsschiff, Sie Witzbold, kein Paddelboot! Ich brauche eine halbe Stunde, um das Schiff auch nur von der Stelle zu bekommen.« Er ballte die Hand zur Faust, blickte die näherkommende Leuchterscheinung und die schäumende Bugwelle an und schüttelte noch einmal den Kopf. »Was immer dort herankommt - wir werden kämpfen müssen.«